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Peter Schlanstein*: Sind verpflichtende Gesundheitstests für Autofahrer nötig?

ZVR-Online Dok. Nr. 10/2012 – online seit 31.05.2012

Der demografische Wandel macht vor dem Straßenverkehr nicht Halt. Am Steuer eines Kfz sitzen immer mehr Senioren. Schwere Unfälle, verursacht durch betagte Autofahrer, sorgen oftmals für Schlagzeilen und heizen eine Debatte um Fahrerlaubnisbeschränkungen im Alter an. Machen ältere Menschen Fehler im Straßenverkehr, sorgt dies oft für Unverständnis. Nicht zuletzt wegen ihres Gesundheitszustandes gelten Senioren häufig als unberechenbares Sicherheitsrisiko. Sofern über 65-Jährige als Pkw-Fahrer in einen Unfall verwickelt sind, tragen sie zu zwei Dritteln aller Fälle[1] die „Hauptschuld“. Im Unterschied zu anderen EU-Staaten sieht der deutsche Gesetzgeber bislang indes noch davon ab, das Unfallrisiko durch obligatorische Gesundheitschecks zu minimieren.Rn. 1

A. Lebenslange Fahrerlaubnis

Das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland nimmt zu, bereits 2035 wird voraussichtlich die Hälfte der Menschen 50 Jahre und älter sein. Die absehbare demografische Entwicklung sowie die Fahrerlaubnis- und Kfz-Verfügbarkeit werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einem ständig wachsenden Anteil älterer Pkw-Lenker führen. Gegenwärtig sind bereits rund 15 % der Fahrzeughalter in der Bundesrepublik über 65 Jahre alt. Bald wird jeder dritte Autofahrer in Deutschland zur Gruppe der Senioren zählen. [2]Rn. 2
Während der Fahrerlaubnisbesitz über 80-Jähriger heute eher eine Ausnahme darstellt, wird dies in den nächsten zehn bis 20 Jahren anders aussehen, wenn nach den heute 65-Jährigen auch die ältere Altersgruppe mobiler geworden ist.[3] Schon heute sind immer mehr ältere und auch – zumeist glücklicherweise nur an leichteren – Krankheiten leidende Menschen im Besitz einer Fahrerlaubnis und dabei verständlicherweise bestrebt, ihre Mobilität als Kraftfahrzeugführer weiterhin zu erhalten.Rn. 3
Während Berufskraftfahrer sich für bestimmte Fahrerlaubnisklassen[4], insbesondere für Lkw und Busse, regelmäßig ärztlichen Untersuchungen zu unterziehen haben, wird u. a. von Pkw-Fahrern bislang nur ein einziger Sehtest verlangt, nämlich wenn sie, zumeist im jugendlichen Alter von 18 Jahren, erstmals den Führerschein erwerben.Rn. 4

B. Gefahren der Mobilität im Alter und bei Krankheit

Jeder Kraftfahrer weiß, dass er sein Auto nur lenken darf, wenn "das sichere Führen gewährleistet ist". Wegen dieses u. a. § 2 Abs. 4 StVG zu entnehmenden Grundsatzes sollte jedem Fahrerlaubnisinhaber bewusst sein, dass er sich – bei Fahrtantritt und auch während der Fahrt – selbst auf das Vorliegen oder Auftreten z. B. körperlicher oder geistiger Mängel zu prüfen hat, seien diese durch Krankheiten ausgelöst, durch Medikamente oder etwa Müdigkeit, Alkohol bzw. andere Rauschmittel. Er muss den Grad des Mangels, der seine Fähigkeit, das Fahrzeug sicher zu führen, beeinträchtigen kann, einschätzen und im Zweifel auf die Fahrt verzichten, sie abbrechen oder unterbrechen. Dies dient nicht nur den eigenen Belangen des Kraftfahrers, sondern auch dem Interesse potentiell gefährdeter Verkehrsteilnehmer und insgesamt der Gesellschaft, die etwaige Unfallfolgen auf verschiedenste Weise kompensieren müsste.Rn. 5
Kommt es aber zu einem Unfall infolge geistiger oder körperlicher Mängel, kann seine Verursachung im Falle einer Beeinträchtigung Dritter zur Feststellung einer strafbaren Verkehrsgefährdung führen (§ 315 c Abs. 1 Nr. 1b StGB) und überdies Anlass für eine zu erwartende Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung sein (§§ 229, 222 StGB). Wenn gegenwärtig in Bezug auf krankheitsbedingte Einschränkungen der Fahrsicherheit noch eher selten derartige strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingeleitet werden, mag dies darin begründet sein, dass den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten oftmals handfeste Hinweise auf eine solche Sachlage fehlen.Rn. 6
Andererseits zeigt bereits heute die statistische Auswertung von Personenschadenunfällen mit Pkw-Beteiligung, in die über 75-jährige Fahrer verwickelt sind, dass aus dieser Gruppe drei von vier Unfallbeteiligten (76 %)[5] die „Hauptschuld“ am Unfall im Sinne eines wenigstens „einfachen“ Verkehrsverstoßes zugewiesen wird – und dies trotz einer allgemein niedriger Unfallbelastung bei älteren Fahrern, die u. a. auf deren meist geringere Fahrleistung zurückzuführen sein dürfte. Keine andere Altersgruppe, auch nicht die der jungen Erwachsenen, die nur über eine geringe Fahrerfahrung verfügen und eigene Fähigkeiten teilweise überschätzen, weist eine so hohe Unfallverursacherrate auf. Da bei den verunglückten älteren Fahrern ein erhebliches Dunkelfeld an morbiditätsbegründeten Ursachen vermutet wird, hält der Deutsche Verkehrsgerichtstag 2012 (VGT) in seiner Resolution „weitere Forschungen zur Häufigkeit von Unfällen aufgrund krankheitsbedingter Einschränkungen der Fahreignung (für) erforderlich“.[6]Rn. 7

C. Verantwortung neben dem Kraftfahrer auch beim Arzt

Für die Erteilung und den Behalt einer Fahrerlaubnis verlangen das Straßenverkehrsgesetz (StVG) und die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), dass die körperlichen und geistigen Voraussetzungen zum sicheren Führen eines Kfz befähigen. Allerdings bleiben die dort formulierten Bestimmungen so allgemein und lückenhaft, dass sie in der Praxis vertiefender Werke, wie insbesondere der von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) herausgegebenen, zur Zeit nicht mehr ganz aktuellen „Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung“ erfordern, deren Rechtsverbindlichkeit überdies klärungsbedürftig ist.Rn. 8
In diesen Leitlinien heißt es u. a., dass konkrete krankheitsbedingte Mängel die Fahreignung aufheben, „wenn aufgrund des individuellen körperlich-geistigen Zustandes beim Führen eines Kfz (eine) Verkehrsgefährdung zu erwarten“ sei. Davon könne ausgegangen werden, wenn die „durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schädigungsereignisses gegeben sei“ [7], nicht aber nur die reine Möglichkeit. Insoweit zeigt sich, dass ein gewisses Risiko krankheitsbedingter Mängel an Fahreignung und Fahrsicherheit vom Verordnungsgeber im Fahrerlaubnisrecht akzeptiert wird, ohne dass dafür ein Maßstab oder ein Grenzwert bestehen.Rn. 9
Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin, Prof. Dr. med. Rainer Mattern, kritisierte hierzu, dass leider die notwendige Selbsteinschätzung eines jeden Menschen im Straßenverkehr „aus verschiedenen Gründen fehleranfällig“ sei und die Entscheidung für eine Fahrtunterbrechung vielfältigen Interessenskonflikten begegne.[8] „Fahrten werden oft nicht unterbrochen, obwohl – objektiv gesehen – das Fahren nicht mehr so sicher ist, wie bei bester Kondition“, berichtete der Rechtsmediziner Mattern. Die häufig unterschätzte Durchführung und Fortsetzung von Fahrten im Zustand der Müdigkeit oder Schläfrigkeit sind dafür ein typisches Beispiel.[9]Rn. 10
Da krankheitsbedingte Beeinträchtigungen der körperlichen und geistigen Eignung zum Führen eines Kfz in manchen Fällen zugleich Defizite bei der Selbsteinschätzung nach sich ziehen, die sich nicht durch subjektiv wahrnehm­bare Symptome ankündigen, besteht für den erkrankten Kraftfahrer die Gefahr, dass seine Fehlleistungen unvorhersehbar auftreten.[10]Rn. 11
Ob und unter welchen Bedingungen bei alters- oder krankheitsbedingten Mängeln noch Auto gefahren werden darf, sollten die Betroffenen daher zunächst individuell mit ihrem Haus- oder Facharzt besprechen. Hierzu hatte der VGT vor drei Jahren bereits auf die besondere Verantwortung der Ärzteschaft zur Aufklärung und Beratung älterer Autofahrer hingewiesen.[11]Rn. 12
Im Ergebnis sagte der VGT im Jahr 2009 „Nein“ zum obligatorischen Mobilitäts-Check und Führerschein auf Zeit für ältere Autofahrer. Es gebe keinen empirisch gesicherten Zusammenhang zwischen Alter, Gesundheitszustand und der Unfallhäufigkeit.[12]Rn. 13
Fraglich erscheint nach wie vor, ob und inwieweit ein Hausarzt, trotz vielfach geklagter Überlastung und bei kurzen Untersuchungszeiten, innerhalb der Sprechstunde hinreichende Informationen zu den Symptomen und sich dadurch begründeten Zweifeln einer mangelnden Kraftfahrereignung seines Patienten zu gewinnen vermag. Nach Einschätzung des renommierten Heidelberger Rechtsmediziners Mattern kennen Ärzte ohnehin allgemein selten die in der Begutachtung einschlägigen Quellen. Erforderliche Richtlinien für den Einzelfall müssten die niedergelassenen Ärzte suchen. In ihrer Ausbildung werde derzeit „besonderes verkehrsmedizinisches Wissen nicht verlangt“, und sei ebenfalls „nicht Gegenstand verpflichtender Fortbildung“[13], berichtete der Universitäts-Professor beim diesjährigen Goslarer Expertentag.Rn. 14

D. Qualitätsverbesserungen bei der Eignungsprüfung

Aktuell dominieren Krankheiten des Kreislaufsystems mit 44 % aller Sterbefälle das Todesursachenspektrum in Deutschland.[14] Ab dem 80. Lebensjahr ist mindestens die Hälfte aller Sterbefälle auf Krankheiten des Kreislaufsystems zurückzuführen. Deshalb hat ein „Positionspapier“ der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie bezüglich des zugleich häufigsten Behandlungsanlasses in den meisten Krankenhäusern, der Erkrankungen der Herz-Kreislaufsystems, nun das Problem der Fahreignung aufgegriffen. Definiert wurde hierbei mit dem Ziel einer größtmöglichen Sicherheit für alle Beteiligten u. a., welches Unfallrisiko durch einen plötzlichen Kontrollverlust eines Fahrers bei einer Herz-Kreislauf-Erkrankung noch akzeptiert werden sollte.Rn. 15
Der Facharzt für Innere Medizin, Prof. Dr. med. Hermann Hubert Klein, bedauerte beim diesjährigen VGT, dass in der bisherigen Praxis die nötigen Vorgaben „nicht einmal annäherungsweise umgesetzt“ worden[15] seien. Da in der fraglichen Begutachtungsleitlinie schon keine Risikoeinschätzung für ein Unfallereignis aufgrund einer Herz-Kreislauf-Erkrankung nachvollziehbar vorgenommen werde, seien auch „die zeitlichen Empfehlungen bezüglich fehlender Fahreignung bei den unterschiedlichen Erkrankungen“ nicht aufeinander abgestimmt. Insoweit habe nun das neue Positionspapier wenigstens den „Wissensstand der Kardiologen in Deutschland zur Fahreignung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ mit Sicherheit deutlich verbessert.Rn. 16
Wer infolge Herzschwäche, einer Minderdurchblutung des Gehirns, die einen plötzlichen unvorhersehbaren Kontrollverlust am Steuer bewirken könne, oder nach einer größeren Operation dauerhaft oder zeitlich befristet zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet sei, müsse verpflichtend vom behandelnden Arzt entsprechend aufgeklärt werden, damit die Problematik von den Betroffenen richtig eingeschätzt werde, forderte der Kardiologe Klein. „Die Aufklärungspflicht eines behandelnden Arztes zur fehlenden Fahreignung eines Patienten ergibt sich aus dem Behandlungsvertrag mit dem Patienten“, stellte der Mediziner fest. Die Information sei als therapeutische Aufklärung anzusehen. Ihre Unterlassung werde „als Behandlungsfehler gewertet“. Die durchgeführte Instruktion des Patienten sei deshalb zu dokumentieren.Rn. 17

E. Ärztliche Meldepflicht bei der Polizei?

Patientenaufklärung und Patientensteuerung werden künftig an Bedeutung gewinnen müssen. Diese seien auf den Straßenverkehr bezogen „ganz wesentliche Aspekte zur Reduzierung von tödlichen Unfällen“, mahnte der Vorsitzende der 1. Strafkammer am Landgericht Bonn, Hinrich de Vries.[16] Er sieht in dem Rat des Arztes ein großes Potenzial zur Risikominderung, weil noch viele Patienten ihre Situation falsch einstuften. Der Bonner Richter diskutierte aus juristischer Sicht neben den strafrechtlichen Risiken für die erkrankten Fahrzeugführer auch die Verantwortung des Arztes, falls es zu einem eignungsbedingten Unfall seines Patienten kommt. So gelte entgegen allgemeiner Einschätzung die ärztliche Schweigepflicht heutzutage nicht mehr absolut. Neben Belehrungs-, Informations- und Dokumentationspflichten könne sich im Einzelfall eine Interventionspflicht des Arztes begründen, falls der Patient trotz einschlägiger Hinweise uneinsichtig bleibe.Rn. 18
In der ersten Stufe könne man diese mit einer „gesteigerten Aufklärungspflicht“ beschreiben, die eine „laute und drastische Intervention in aller Deutlichkeit“ umfasse.

In der zweiten Stufe sei der Arzt auch berechtigt, „über die Angehörigen zu einer Minderung des Unfallrisikos zu kommen“.

Seien all diese Interventionen nicht erfolgversprechend, dürfe und müsse der Arzt, wenn er einen uneinsichtigen Patienten habe, der „aufgrund krankheitsbedingter Fahruntüchtigkeit eine konkrete Gefahr für die Allgemeinheit“ darstelle, „als letztes Mittel auch den Kontakt zur Polizei aufnehmen“.
Rn. 19
Richter de Vries erwartet insoweit, dass es in den nächsten Jahren zu einer faktischen Umsetzung dieser Meldepflicht für Ärzte an die zuständigen Behörden kommen werde, da die Mediziner „mit einer erhöhten Strafverfolgung in den Fällen rechnen (müssen), in denen sie trotz einer Gefahrensituation von ihrer Befugnis zur Kontaktaufnahme mit den Behörden keinen Gebrauch“ machten. Das gelte nicht nur deswegen, weil Patienten sich „nach einem Unfall häufiger durch Schuldzuweisungen gegenüber dem Arzt zu exkulpieren“ versuchten, etwa mit der Äußerung: „Der Arzt hat mich nicht aufgeklärt.“ Denkbar sei darüber hinaus, dass dem Arzt „die Verkennung der krankheitsbedingten Fahruntüchtigkeit im Rahmen einer fahrlässigen Körperverletzung vorgeworfen“ werde.Rn. 20

F. Selbstverantwortung durch Gesundheitsscheck stärken

Ein akutes Problem bleiben die bisherigen Mängel beim Erkennen alters- oder krankheitsbedingter Eignungsdefizite. Zwar ist zunächst jeder Fahrer selbst verpflichtet, seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit stets zu überprüfen (§ 2 Abs. 1 FeV), weshalb er sich bei einem Unfall, der infolge von Eignungsmängeln entstanden ist, mit zunehmender Wahrscheinlichkeit dem Fahrlässigkeitsvorwurf konfrontiert sehen wird.Rn. 21
Um die Frage der körperlichen und geistigen Eignung schon im Vorfeld eines möglichen Schadens seitens der Fahrerlaubnisbehörde beurteilen zu können, müsste diese frühzeitig Kenntnis von gesundheitlichen Einschränkungen oder Zweifeln bei der Kraftfahreignung erlangen. Wie dies bei lebenslänglich erteilter Fahrerlaubnis, ohne jeden weiteren Eignungstest, in der Praxis geschehen soll, wird vom Verordnungsgeber leider offen gelassen. Die Fahrerlaubnisbehörde erfährt von alters- oder krankheitsbedingten Mängeln meist nur zufällig, insbesondere durch vereinzelte Meldungen der Polizei gemäß § 2 Abs. 12 StVG, etwa bei gravierenden Verhaltensauffälligkeiten eines Fahrers, der nach einem erkannten Verkehrsverstoß oder bei einer Unfallaufnahme z. B. einen völlig verwirrten Eindruck vermittelt.Rn. 22
Nach dem europäischen Fahrerlaubnisrecht werden nur in den C- und D-Klassen (Lkw und Busse) die Fahrerlaubnisse befristet erteilt, um durch eine regelmäßige Überprüfung die gesundheitlichen Eignung sicherstellen zu können. Ab 2013 sind alle (neuen) Fahrerlaubnisinhaber dazu verpflichtet, vor Ablauf der fünfzehnjährigen Gültigkeitsfrist eine Erneuerung des Führerscheins zu beantragen. Zwar sieht die Einführung einer Gültigkeitsdauer der Führerscheine auf 15 Jahre ab 2013[17] für die auch weiterhin unbefristeten übrigen Fahrerlaubnisklassen u. a. auch die Möglichkeit ärztlicher Untersuchungen vor. Doch regelmäßige Gesundheitschecks, wie die EU sie alle zehn oder 15 Jahre angeregt hatte, soll es in Deutschland nach der beschlossenen Rechtslage[18] vorerst nicht geben.Rn. 23
Die Mehrheit der Länder in Europa befristet indes – neben dem Dokument (wie Deutschland dies lediglich für den dokumentarischen Nachweis vorsieht) – überdies bereits die Gültigkeit der Fahrerlaubnis. Die Altersgrenzen variieren häufig zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr. Danach wird eine wieder zeitlich (z. B. in 1- oder 5- Jahresstufen) begrenzte Verlängerung von einer (zumeist grob körperlichen Untersuchung) abhängig gemacht.[19]Rn. 24

G. Regelmäßiger Sehtest für alle Autofahrer

Besonders dem Sehen und der Wahrnehmung kommt im Straßenverkehr eine entscheidende Rolle zu. Diverse Studien gehen davon aus, dass Autofahrer rund 90 % aller wichtigen Informationen im Verkehrsablauf über das Auge beziehen. Gutes Sehen ist eine grundlegende Voraussetzung, um z. B. Distanzen abschätzen zu können und Verkehrssituationen richtig beurteilen zu können. Dennoch kommt eine jüngste im Auftrag des Kuratoriums Gutes Sehen (KGS) durchgeführte repräsentative Untersuchung zu besorgniserregenden Ergebnissen. So erklärten 34 % der 40- bis 44-Jährigen, 38 % der 45- bis 49-Jährigen sowie 35 Prozent der 50- bis 59-Jährigen in Deutschland, die bislang keine Brille getragen haben, dass sie sich seit mindestens sechs Jahren oder länger keinem Sehtest bei einem Augenarzt oder Augenoptiker unterzogen haben, obwohl sie als Kraftfahrer unter der von einer subjektiv zunächst kaum merklichen Verschlechterung ihrer Sehleistung besonders bedroht sind. Insgesamt zweifeln heute 25 % aller deutschen Kraftfahrer mit Brille (ca. 8,6 Mio. Autofahrer), und 16 % aller Kraftfahrer ohne Brille (ca. 2,9 Mio. Autofahrer), oft auf Grund schon selbst wahrgenommener Sehschwächen, ob ihre Sehleistung voll ausreicht.[20]Rn. 25
Die aktuelle Studie zeigt eindrucksvoll, welche Bedeutung die Aufklärung über die Notwendigkeit regelmäßiger Sehtests schon allein für die Erhaltung der Lebensqualität der Menschen durch ausreichende Sehfähigkeit besitzt, von einer beträchtlichen Erhöhung der Verkehrssicherheit als Kraftfahrer für sich und andere erst gar nicht zu reden.Rn. 26
Für zum Straßenverkehr zugelassene Kraftfahrzeuge gelten in Deutschland zweijährige Prüfintervalle im Rahmen einer – auf Herz und Nieren angelegten – Hauptuntersuchung mit Preisen für den Halter ab 50 € aufwärts. Für die Lenker dieser betriebsgefährlichen, teils hochmotorisierten Individualverkehrsmittel schlagen dagegen persönliche Sehtests, die für die meisten nur einmal im Leben bei der obligatorischen Führerscheinprüfung mit 18 beizubringen sind, beim Optiker mit allenfalls knapp 6 €[21] zu Buche.Rn. 27
Da Krankheits- wie Altersprozesse sehr unterschiedlich verlaufen können, sollte nach überwiegend vertretender Auffassung[22] vor allem das individuelle Leistungsvermögen als für die Fahrkompetenz relevantes Kriterium bewertet werden. Hierzu wären indes Regelungen, die ab einem bestimmten Alter Gesundheitsprüfungen von Fahrerlaubnisinhabern verpflichtend machen, um sie bezüglich ihrer Fahrtüchtigkeit in ihrer Selbsteinschätzung zu unterstützen, sehr hilfreich.Rn. 28
Die Verkehrssicherheit wird – nicht nur vor dem Hintergrund des demografischen Wandels – in absehbarer Zeit der wichtigste Faktor für die individuelle Mobilität der Menschen in Deutschland und Europa bleiben. Denn nach wie vor zählt die Teilnahme am Straßenverkehr, trotz aller erfreulichen Erfolge, die in der Vergangenheit zur Erhöhung der Verkehrssicherheit erzielt worden sind, für alle Altersgruppen zu den gefährlichsten täglichen Aktivitäten.[23]Rn. 29
Der deutsche Verordnungsgeber ist aufgefordert, ähnlich wie in anderen EU-Mitgliedstaaten bereits geschehen, Regeln entsprechend den Vorgaben der neuen EU-Führerschein-Richtlinie zu treffen, auch wenn er sich dabei zunächst nur auf regelmäßige Sehtests für alle fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrer beschränken mag. Die äußerst geringen Kosten für den Einzelnen fallen dabei nicht ins Gewicht. Die Umsetzung dürfte jedoch, nicht nur beim älteren Teil der Bevölkerung, zu einer Steigerung der Lebensqualität durch gutes Sehen und zu einer notwendigen effektiven Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen.Rn. 30
Fußnoten

* Peter Schlanstein ist Erster Polizeihauptkommissar und unterrichtet an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW.

[1]Vgl. Statistisches Bundesamt: Verkehrsunfälle - Unfälle von Senioren im Straßenverkehr 2010, 2011, S. 10.
[2]Schlanstein, Verkehrsdienst Heft 9/2007, S. 219 ff.
[3]Vgl. Infas/DLR, Ergebnisbericht „Mobilität in Deutschland 2008“, 2010, S. 168
[4]Vgl. § 23 FeV (Klassen C, CE, D, D1, DE und D1E bzw. Klassen C1, C1E: ab Vollendung des 50. Lebensjahres, mit Ausnahme von § 76 Nr. 9 FeV)
[5]Vgl. Statistisches Bundesamt, Verkehrsunfälle - Unfälle von Senioren im Straßenverkehr 2010, 2011, S. 10.
[6]VGT, Verkehrsgefährdung durch krankheitsbedingte Mängel an Fahreignung und Fahrsicherheit, Empfehlung zum Arbeitskreis III, Nr. 2, Satz 2, 2012.
[7]Gräcmann/Albrecht, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, 2010, Heft M 115, 2.1 Grundsätzliche Beurteilungshinweise.
[8]Mattern, Relevanz des Risikobegriffs und seine Quantifizierung für die Qualität ärztlicher Begutachtung von Fahrsicherheit und Fahreignung, Referat im Arbeitskreis III des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstags vom 25. bis 27. Januar 2012 in Goslar.
[9]Vgl. Wilhelm, ZVS 1/2012, S. 35- 40.
[10]Vgl. hierzu Moser/Kurzthaler/Kopp/Deisenhammer/Hinterhuber/Weiss, ZVS 1/2012, S. 24 – 28.
[11]VGT, Befristung und Beschränkung der Fahrerlaubnis, Empfehlung zum Arbeitskreis VI, Nr. 4, Satz 4.
[12]Schlanstein, 60 Plus ohne Fahrtauglichkeits-TÜV, Deutsche Polizei 5/2009, S. 29 f.
[13]Mattern, Relevanz des Risikobegriffs und seine Quantifizierung für die Qualität ärztlicher Begutachtung von Fahrsicherheit und Fahreignung, Referat im Arbeitskreis III des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstags vom 25. bis 27. Januar 2012 in Goslar.
[14]Saß/Wurm/Ziese, in: Statistisches Bundesamt/Deutsches Zentrum für Altersfragen/Robert Koch-Institut, Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes: Gesundheit und Krankheit im Alter, 2009, S. 36.
[15]Klein, Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie: Fahreignung bei kardiovaskulären Erkrankungen, Referat im Arbeitskreis III des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstags vom 25. bis 27. Januar 2012 in Goslar.
[16]de Vries, Krankheitsbedingte Fahruntüchtigkeit im Strafrecht, Referat im Arbeitskreis III des 50. Deutschen Verkehrsgerichtstags vom 25. bis 27. Januar 2012 in Goslar.
[17]Umsetzung der 3. EG-Führerschein-Richtlinie (Richtlinie 2006/126/EG) ab 19.01.2013, ABl. L 403/18 vom 30.12.2006, Erwägungsgrund 7.
[18]Vgl. § 24a FeV (Gültigkeit von Führerscheinen ) i. d. F. vom 19.01.2013, BGBl I 2011, 3.
[19]Kubitzki/ Janitzek, Sicherheit und Mobilität älterer Verkehrsteilnehmer, Allianz Deutschland AG, 2009, S. 133.
[20]KGS-Allensbach-Studie, Sehbewusstsein der Deutschen 2011, Teil B, Sehtests, 09. Februar 2012.
[21]n-tv, Nicht jeder Sehtest ist kostenlos – Besser vorher den Optiker fragen, Bericht vom 02. April 2012.
[22]Vgl. u. a. VGT, Verkehrsgefährdung durch krankheitsbedingte Mängel an Fahreignung und Fahrsicherheit, Empfehlung zum Arbeitskreis III, Goslar 2012.
[23]Schlanstein, Deutsche Polizei 4/2012, S. 28, 38.