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Florian Albrecht*: Editorial – Der Kampf um die Bekämpfungsstrategie

ZVR-Online Dok. Nr. 49/2012 – online seit 08.10.2012

Längst sind Outlaw Motorcycle Clubs und die sog. Rockerkriminalität im wissenschaftlichen Diskurs angekommen (vgl. etwa der Beitrag von Landmann in Kriminalistik 2012, 451 ff. und die anonyme Erwiderung in Kriminalistik 2012, 493 f. sowie der Beitrag von Knape/Knapp in DIE POLIZEI 2012, 177 ff. und meine Erwiderung in DIE POLIZEI 2012, 252 ff.). Dies trägt zur Erschließung eines Forschungsgegenstandes bei, der sich nur schwer analysieren lässt, weil er nicht gerade durch Transparenz und Offenheit geprägt ist. Hierzu tragen alle beteiligten Akteure bei, also sowohl die Rocker, als auch die Polizeibehörden.Rn. 1
Nur selten gelangen einige wenige Informationen ans Tageslicht. So wurde über die Internetseite www.hellsangelsmedia.com und die Enthüllungsplattform www.cryptome.org kürzlich die im Oktober 2010 erstellte Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität des Unterausschuss „Führung, Einsatz, Kriminalitätsbekämpfung“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Unterausschuss ist als Teil des Arbeitskreises II „Innere Sicherheit“ der Innenministerkonferenz der Länder zuzuordnen und damit ein Instrument zur bundesweiten Koordination der Polizeiarbeit.Rn. 2
Obwohl der Maßnahmenkatalog nicht Vieles enthält, was einen aufmerksamen Beobachter der aktuellen Entwicklungen überraschen dürfte, ist doch bemerkenswert, dass es sich die Verfasser des Strategiepapiers nicht haben nehmen lassen, auch die überaus problematischen Handlungsvorschläge für einen polizeilichen Umgang mit Rockern zu dokumentieren. Hierzu gehört vor allem der Hinweis, dass nicht nur Kriminalitätsbekämpfung im klassischen Sinne betrieben, sondern selbst gegenüber Personen, die nicht einem Motorrad Club (MC) zugerechnet werden können, für ein „entsprechendes Problembewusstsein“ gesorgt werden soll. Man kann sogar sagen, dass seitens der beteiligten Behörden ein „Erziehungskonzept“ verfolgt wird, das darauf abzielt, mittels einer koordinierten Beeinflussung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen und Institutionen, MCs zu isolieren.Rn. 3
Aus rechtsstaatlicher Sicht äußerst bedenklich sind vor allem die Hinweise, dass seitens der Polizei zum einen eine „anlassbezogene Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen“ angestrebt und zum anderen die Durchführung von Messen und Sportveranstaltungen, also völlig legalen Veranstaltungen, ins Visier genommen werden soll. Solche Ausführungen können durchaus zur Folge haben, dass bereits derjenige, der vollkommen legale Geschäfte mit Mitgliedern eines MCs macht, ins Fadenkreuz der Ermittler gerät. Die wirtschaftlichen Auswirkungen und die beruflichen Einschränkungen die hieraus folgen können, liegen auf der Hand. Gleiches gilt für verfassungsrechtliche Bedenken.Rn. 4
Offen gelegt werden zudem der Umfang und die Intensität der polizeilichen Überwachungsmaßnahmen. Die diesbezüglichen Empfehlungen lassen befürchten, dass mittels technischer Mittel (bspw. Telekommunikationsüberwachung) und im Rahmen von Kontrollen umfassende Persönlichkeitsprofile von Mitgliedern eines MCs erstellt und so aus polizeilicher Sicht verwertbares Datenmaterial gesammelt werden soll. Die Strategie weist ausdrücklich darauf hin, dass von verdeckten Maßnahmen intensiver Gebrauch gemacht werden soll. Selbst Fahrzeugverleiher sowie Taxi- und Busunternehmen sollen als polizeiliche Spitzel eingesetzt werden, damit Bewegungen der MCs und andere relevante Informationen frühzeitig durch die Polizeibehörden erfasst werden können. Ob sich ein solches Gesamtmaßnahmenpakt mit dem seitens des Bundesverfassungsgerichts geschaffenen Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbaren lässt, ist fraglich.Rn. 5
Das Strategiepapier ist als Verschlusssache nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD) auf der untersten Heimlichkeitsstufe eingestuft. Es ist also nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und damit zunächst einmal jeder rechtsstaatlichen Kontrolle durch unabhängige Instanzen entzogen. Dies kann demjenigen, der das Dokument heimlich aus seiner Behörde herausgereicht hat, eine Strafverfolgung wegen der Verletzung des Dienstgeheimnisses (§ 353b StGB) einbringen. Obgleich oft die geforderte Gefährdung „wichtiger öffentlicher Interessen“ nicht vorliegen wird, drohen im Falle der Verurteilung Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Mitarbeiter von Behörden sind nämlich selbst dann grundsätzlich zur vertraulichen Behandlung geheimhaltungspflichtiger Informationen verpflichtet, wenn sie besorgt sind, dass die Informationen seitens der Öffentlichkeit zur Beseitigung eines verfassungswidrigen Umstands benötigt werden. Derartige Bedenken sollen nicht an die große Glocke gehängt, sondern müssen auf dem Dienstweg ausgeräumt werden.Rn. 6
Ob sich auch derjenige nach § 353b StGB strafbar macht, der ein strafrechtswidrig erlangtes Dienstgeheimnis in das Internet stellt und damit öffentlich macht, ist eine schwierige Frage des Einzelfalls. Die Beantwortung hängt auch davon ab, zu welchem Zweck und auf wessen Veranlassung das Dienstgeheimnis aus der Behörde herausgegeben wurde. Jedenfalls kann bereits der Verdacht einer Tatbeteiligung dazu Anlass geben, dass Polizeikräften eine Hausdurchsuchung genehmigt wird.Rn. 7
Wie bereits über TELEPOLIS berichtet wurde, fand bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung der Bekämpfungsstrategie auf www.hellsangelsmedia.com eine durch SEK-Kräfte unterstützte Hausdurchsuchung bei dem Betreiber des Internetportals statt. Dieser war durch das Impressum der Seite ausgewiesen. Weitere Durchsuchungen folgten. Dies allerdings nicht wegen des Verdachts der Anstiftung oder der Beteiligung an der Verletzung eines Dienstgeheimnisses, sondern vielmehr wegen des Verdachts einer unerlaubten Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke (§ 106 UrhG).Rn. 8
Die Vorschrift möchte verhindern, dass jemand, der durch geistige Arbeit etwas hervorgebracht hat, in der Wahrnehmung seines Verwertungsrechts und damit in der Erzielung finanzieller Einkünfte behindert wird. Die Vorschrift schützt allerdings nur Erzeugnisse, die ein Mindestmaß an Qualität aufweisen. Dabei muss es sich nicht um ein Editorial wie dieses handeln. Vielmehr soll dies selbst bei Koch-, Adress- und Telefonbüchern der Fall sein. In der Praxis ist die Vorschrift allerdings vor allem im Rahmen des Inverkehrbringen von gefälschten Sportartikeln, Textilien und Konsumgütern von Bedeutung. Der ebenfalls relevante Fall der Beteiligung an Internetplattformen, auf denen Musik und Filmtitel ausgetauscht werden, fällt auch darunter, wird aber zumeist wegen Geringfügigkeit seitens der Staatsanwaltschaften nicht verfolgt.Rn. 9
Die im vorliegenden Zusammenhang einschlägige Tatalternative der verbotenen Verbreitung untersagt es, geschützte Werke ohne Einverständnis ihres Schöpfers, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wer etwas geschaffen hat, soll also selbst darüber bestimmen dürfen, wem es zur Verfügung gestellt wird. Das gilt grundsätzlich aber nicht für Werke, die von staatlichen Stellen erstellt wurden und im Interesse der Allgemeinheit veröffentlicht wurden. Die Einschränkung hat zur Folge, dass bspw. Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen sowie Gesetze und Verordnungen von jedermann veröffentlicht werden dürfen, sofern Namen und persönliche Angaben geschwärzt wurden. Die Bekämpfungsstrategie unterfällt allerdings keiner dieser von § 5 Abs. 1 und Abs. 2 UrhG erfassten Kategorien. Durch den Verweis „VS-NfD“ wird zudem klar, dass eben kein amtliches Interesse an der Veröffentlichung besteht.Rn. 10
Gleichwohl könnte ein Veröffentlichungsrecht existieren. Das Urheberrecht schränkt die Rechte der Urheberrechtsinhaber nämlich insoweit ein, als dadurch in unverhältnismäßiger Weise in die Pressefreiheit eingegriffen würde (§ 50 UrhG). Ausdrücklich erlaubt wird die öffentliche Wiedergabe und Verbreitung von Werken zur tagesaktuellen Berichterstattung in Zeitung und Zeitschriften, aber auch die Verbreitung mittels „neuer Medien“ über das Internet. Tagesaktuell ist ein Thema solange, wie es ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung gibt. Das hat zur Folge, dass auch Dokumente, die bereits Jahre alt sind, als tagesaktuell einzustufen sind. Hinsichtlich der Bekämpfungsstrategie kann angesichts der andauernden Präsenz der Aktivitäten von MCs in den Medien trotz deren Fertigstellung in 2010 von Tagesaktualität ausgegangen werden.Rn. 11
Eine erlaubte Berichterstattung setzt aber voraus, dass man sich auch inhaltlich mit dem veröffentlichten Werk auseinandersetzt und es bspw. bewertet. Das kommentarlose Einstellen des vollständigen Dokuments in das Internet kann gerade nicht als Berichterstattung bezeichnet werden, da der berichterstattende Teil (bspw. ein Kommentar oder eine Analyse) fehlt.Rn. 12
Zu Gunsten der Betreiber von www.hellsangelsmedia.com muss allerdings klargestellt werden, dass das Urheberrecht die finanziellen Interessen der Schöpfer schützen möchte. Es wurde nicht mit der Zielsetzung geschaffen, dem Staat und der Polizei eine Möglichkeit zu bieten, gegen unliebsame Veröffentlichungen vorzugehen. Zudem muss hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts Berücksichtigung finden, dass mit der Veröffentlichung der Bekämpfungsstrategie keine finanziellen Interessen verfolgt wurden. Die Veröffentlichung verfolgt vielmehr die Zielsetzung, die Öffentlichkeit auf einen Missstand hinzuweisen, der sich höchstwahrscheinlich nicht mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbaren lässt. Eine Berufung der Polizei auf urheberrechtliche Rechte zum Zwecke der Zensur könnte daher rechtsmissbräuchlich sein.Rn. 13
Im vorliegenden Fall muss daher geprüft werden, ob nicht etwa das Informationsinteresse der Allgemeinheit gegenüber dem Verwertungsinteresse der Polizei an ihrer Bekämpfungsstrategie überwiegt. Dies ist vor dem Hintergrund der intensiven Berichterstattung über Rockerkriminalität naheliegend. Die aus der Veröffentlichung folgende Beeinträchtigung des Urheberrechts wäre dann als besonders gering einzustufen. Eine Strafbarkeit der Betreiber von www.hellsangelsmedia.com und www.cryptome.org müsste entfallen.Rn. 14
Diese und andere Diskussion wird der Verfasser des vorliegenden Editorials zum Anlass nehmen, sich noch eingehender mit Fragestellungen rund um das verfassungskonforme Polizieren und die grundrechtskonforme Geltendmachung der Vereinigungsfreiheit zu befassen. Der Leser der vorliegenden Ausgabe von ZVR-Online sei eingeladen, sich an dem wissenschaftlichen Diskurs zu beteiligen.Rn. 15
Fußnoten

* Florian Albrecht, M.A., ist Akademischer Rat a. Z. an der Universität Passau. Das Editorial gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Verfassers wieder und steht in keinerlei Zusammenhang mit Forschungsvorhaben der Universität Passau.