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OVG Schleswig, Beschl. v. 26.10.2012 – 4 MB 71/12 – „Alkoholverbot in Zügen“

ZVR-Online Dok. Nr. 18/2013 – online seit 18.02.2013

Art. 2 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 5 VwGO, § 20 BPolG

Leitsätze der Redaktion

1. Im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO ist jeweils die Richtigkeit des Vorbringens desjenigen zu unterstellen, dessen Position gerade betrachtet wird, es sei denn, die Unrichtigkeit des jeweiligen Vorbringens ist ohne Weiteres erkennbar.Rn. 1
2. Für den Senat spricht unter Berücksichtigung der Begründung der aus Anlass eines Fußballspiels erlassenen Allgemeinverfügung und der mit alkoholisierten und randalierenden Fahrgästen in Zügen verbundenen Gefahrenlage vieles dafür, dass das mit der Allgemeinverfügung zeitlich und örtlich eingeschränkt verfügte Verbot des Mitsichführens und Konsumierens von Alkohol rechtmäßig ist. Ob der Alkohol in Glasflaschen oder anderen Behältern mit sich geführt wird, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.Rn. 2

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.Rn. 3
Die Beschwerdegründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein der Prüfung durch das Oberverwaltungsgericht unterliegen, rechtfertigen keine Änderung der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht den erstinstanzlich gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung - soweit nämlich für den in der Allgemeinverfügung genannten Zeitraum und auf den dort genannten Regionalstrecken das Mitsichführen und Konsumieren von Alkohol untersagt wurde - abgelehnt. Aus diesem Grunde kann auch der nunmehr mit der Beschwerde gestellte reduzierte Antrag - Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, soweit das Mitsichführen und Konsumieren von Alkohol in anderen Behältern als Glasflaschen untersagt wird - keinen Erfolg haben.Rn. 4
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auf die Rechtsprechung des Senats hingewiesen, wonach in besonderen Ausnahmefällen, in denen etwa auf Grund der konkreten Örtlichkeit oder anderer spezieller Umstände die an sich vorrangigen Maßnahmen der Polizei vor Ort trotz entsprechenden Polizeiaufgebotes zur Verhinderung sicherheitsrelevanter Verhaltensweisen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen, eine Allgemeinverfügung, welche an das der Gefahrenverwirklichung vorgelagerte Mitsichführen beziehungsweise Konsumieren von Alkohol anknüpft, rechtmäßig sein kann. Das Verwaltungsgericht hatdas Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles unter Berücksichtigung auch der Begründung der Allgemeinverfügung für möglich gehalten und ausgeführt, angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit könne die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung nicht abschließend geklärt werden; mithin hat das Verwaltungsgericht die Allgemeinverfügung weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig erachtet und bei dieser Sachlage in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats eine erweiterte Interessenabwägung vorgenommen. Hierzu macht die Beschwerde geltend, die Interessenabwägung hätte zu Gunsten des Antragstellers ausfallen müssen, weil auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles für aufklärungsbedürftig gehalten worden sei. Zweifel am Vorliegen einer Gefahr und entsprechender Aufklärungsbedarf müssten insoweit zu Lasten der Behörde gehen. Dieser Einwand geht fehl. Lässt sich bei der Prüfung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO weder die Rechtmäßigkeit noch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne Weiteres feststellen, bedarf es zur Entscheidung einer weiteren Interessenabwägung. Diese Abwägung zwischen Aufschub- und Vollziehungsinteresse erfordert eine Gegenüberstellung der Folgen, die einträten, wenn die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagt würde, das Verfahren in der Hauptsache hingegen Erfolg hätte. Diese Auswirkungen sind zu vergleichen mit den Nachteilen, die entstünden, wenn die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt würde, dem Rechtsbehelf in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre. Dabei bedarf es wegen des vorläufigen Charakters des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO keiner umfassenden Aufklärung der möglicherweise eintretenden Nachteile. Vielmehr ist jeweils die Richtigkeit des Vorbringens desjenigen zu unterstellen, dessen Position gerade betrachtet wird, es sei denn, die Unrichtigkeit des jeweiligen Vorbringens ist ohne Weiteres erkennbar (std.Rspr. des Senats, vgl. grundlegend: Beschl. v. 06.08.1991 - 4 M 109/91 - SchlHA 1991 S.220 f.)Rn. 5
Die vom Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit diesen Maßstäben vorgenommene Interessenabwägung begegnet keinerlei rechtlichen Bedenken. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, zwar würden Reisende auf den betroffenen Zugstrecken durch das Alkoholverbot in der festgesetzten Zeit in ihrer nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit eingeschränkt (was sich auch nicht rückgängig machen lasse, wenn sich später herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen für eine Allgemeinverfügung nicht vorgelegen haben), dies stehe jedoch in keinem Verhältnis zu den Schäden für Leib und Leben von Menschen, die zu besorgen seien, wenn die Einschätzung der Antragsgegnerin zutreffe. Der Senat folgt der zur Interessenabwägung ausgeführten Begründung des Verwaltungsgerichts und sieht insoweit gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO von einer weiteren Begründung ab.Rn. 6
Soweit die Beschwerde geltend macht, die Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung stehe jedenfalls deshalb fest, weil allgemein bekannt sein dürfte, dass von den allermeisten Alkoholkonsumenten (oder -transporteuren) in einem abendlichen Regionalzug ab Bremen, Hamburg oder Hannover keinerlei Gefahr für Leib und Leben ausgehe, kann ihr nicht gefolgt werden. Richtig ist nur, dass von einer Allgemeinverfügung wie der vorliegenden auch Alkoholkonsumenten betroffen sind, die selbst keine Gefahren verursachen. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass von einer Allgemeinverfügung, die - in Ausnahmefällen zulässigerweise - bereits das der Gefahrenverwirklichung vorgelagerte Mitsichführen und Konsumieren von Alkohol untersagt, auch sogenannte Nichtstörer betroffen sind. Angesichts des vergleichsweise geringfügigen Grundrechtseingriffes und der grundsätzlichen Möglichkeit der Inanspruchnahme des Nichtstörers nach § 20 BPolG führt dieser Umstand keineswegs automatisch zur Rechtswidrigkeit einer derartigen Regelung. Für den Senat spricht vielmehr unter Berücksichtigung der Begründung der aus Anlass des Fußballspiels BVB Dortmund II - F.C. Hansa Rostock erlassenen Allgemeinverfügung und der mit alkoholisierten und randalierenden Fahrgästen in Zügen verbundenen Gefahrenlage viel dafür, dass das mit der Allgemeinverfügung zeitlich und örtlich eingeschränkt verfügte Verbot des Mitsichführens und Konsumierens von Alkohol hier rechtmäßig ist. Ob der Alkohol in Glasflaschen oder anderen Behältern mit sich geführt wird, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.Rn. 7
Die Beschwerde war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.Rn. 8
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).Rn. 9