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VGH Mannheim, Urt. v.03.04.2012 – 1 S 241/11 – „‘Herkömmliches‘ Läuten mit der großen Betglocke“

ZVR-Online Dok. Nr. 19/2013 – online seit 18.02.2013

Art. 3 GG, Art. 4 GG, Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 14 GG, § 22 Abs. 1 BImSchG

Leitsatz

Eine auf Unterlassung des liturgischen Glockengeläuts gerichtete Klage ist nicht deshalb begründet, weil sich ein Anwohner durch das Glockengeläut in seiner Religionsfreiheit verletzt sieht.Rn. 1

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der beklagten evangelischen Kirchengemeinde die Unterlassung des täglich um 6.00 Uhr stattfindenden Glockengeläuts.Rn. 2
Der Kläger ist Eigentümer und Bewohner eines Hauses, das ca. 68 m von der Konradskirche der Beklagten entfernt liegt. Die Beklagte läutet jedenfalls an Werktagen jeweils um 6.00 Uhr die große Betglocke zwei Minuten lang mit einem Ausklang von 15 Sekunden. Dieser Brauch wird nach Angaben der Beklagten seit mindestens 1756 gepflegt.Rn. 3
Nachdem sich der Kläger außergerichtlich erfolglos bemüht hat, die Beklagte zu einem Verzicht auf das morgendliche Läuten zu bewegen, hat er am 12.05.2010 Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Glocken im Kirchturm der evangelischen Kirche in Remshalden-Geradstetten täglich zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr zu läuten oder läuten zu lassen. Zur Begründung hat er geltend gemacht, er werde durch das Glockengeläut in seiner Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt. Dies gelte ungeachtet seiner Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche. Er sei in seiner negativen Bekenntnisfreiheit betroffen, da er zur Wahrnehmung eines akustischen Zeichens gezwungen werde, das er selber als religiös ansehe, das kirchlicherseits aber nicht in den Bereich der grundrechtlich geschützten inneren Angelegenheiten i.S.d. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV falle. Es fehle zudem schon an einer gesetzlichen Grundlage für die „Verlärmung des Hausinnern von Kirchennachbarn“. Zur effektiven Gewährleistung seiner Grundrechte bestehe eine staatliche Schutz- und Abwendungspflicht. In diesem Zusammenhang seien auch die gesundheitlich nachteiligen Auswirkungen des Läutens für den Schlaf und eine Beeinträchtigung des Wertes seines Grundstücks zu berücksichtigen. Eine Selbstbindung der evangelischen Landeskirche Baden-Württemberg zur Unterlassung des Geläuts ergebe sich zudem aus einer Richtlinie vom 21.09.1967, nach der Kirchengemeinden zur Abwendung von Belästigungen, zur Vermeidung von Beschwerden und langwierigen Verfahren sowie unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wandels in Form veränderter Arbeitszeiten nicht vor 7.00 Uhr mit dem Glockengeläut beginnen sollten.Rn. 4
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat ausgeführt, bei dem liturgischen Glockengeläut handele es sich um eine sozial adäquate Tradition. Nach einer kirchengerichtlichen Auseinandersetzung habe man den klägerischen Beanstandungen bereits durch Anpassung des Schallpegels und Verzicht auf den nächtlichen Viertelstundenschlag Rechnung getragen. Für die Zeit ab 6.00 Uhr solle es dagegen bei dem hergebrachten Glockenläuten zu Tagesbeginn bleiben.Rn. 5
Mit Urteil vom 13.12.2010 - 11 K 1705/10 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig; da sie ein liturgisches Läuten betreffe, sei insbesondere der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Sie sei jedoch nicht begründet. Der Kläger könne einen Anspruch nicht unmittelbar aus Verfassungsrecht herleiten, auch wenn sein Begehren in den Schutzbereich der Glaubens- und Religionsfreiheit falle. Der klägerischen Inanspruchnahme der negativen Glaubensfreiheit stünden die verfassungsimmanenten Schranken der Religionsfreiheit der Beklagten entgegen. Die negative Bekenntnisfreiheit Einzelner könne die Ausübung der positiven Glaubensfreiheit anderer nicht verhindern. Schließlich sei ein Unterlassungsanspruch unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls auch nicht im Hinblick auf § 22 Abs. 1 BImSchG begründet.Rn. 6
Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Das Verwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung anzuerkennende Schutzpflichten des Staates nicht hinreichend berücksichtigt. Der Kläger sei nicht nur in seiner negativen, sondern auch in seiner positiven Religions- bzw. Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 GG zu schützen. Er verwende die frühen Morgenstunden zu gelegentlicher Lektüre der Bibel oder zur Meditation. Er wolle dabei nicht durch ein verfrühtes Glockengeläut gestört werden. Nach seiner Überzeugung wohne einem Glockenläuten vor Sonnenaufgang ein heidnisches, der Abwehr böser Geister dienendes („apotropäisches“) Element inne; es erinnere zudem an die Henkersglocke und werde damit zum Vorboten eines nahenden Todes. Dem Neuen Testament entspreche demgegenüber die Ruhe bis zum Tagesanbruch. Angesichts des späten Sonnenaufgangs im Winter dürften die Glocken daher erst ab acht Uhr morgens läuten. Darüber hinaus beansprucht der Kläger den Schutz vor Eingriffen Dritter in die Unverletzlichkeit seiner Wohnung nach Art. 13 GG. Eine Lösung sei notwendig im Wege praktischer Konkordanz herbeizuführen. Die Möglichkeit eines schonenden Ausgleichs liege auf der Hand, schließlich würden andere Glaubensgemeinschaften schonendere Mittel zum Gebetsaufruf wählen. Ein grundrechtsadäquater Ausgleich könne auch durch die Verschiebung des Glockengeläuts auf eine Zeit nach 8.00 Uhr hergestellt werden. Zudem handele es sich vorliegend nicht um ein liturgisches Läuten, weshalb seinen Grundrechtspositionen ohnehin der Vorrang gebühre. Schließlich beruft er sich auch auf Art. 3 Abs. 3 GG, da eine Ungleichbehandlung in der Freiheit der Beklagten zur Bekenntnisäußerung gegenüber seinem Bekenntnis zum Ruhewunsch liege.Rn. 7
Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13.12.2010 - 11 K 1705/10 - aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die Glocken im Kirchturm der Evangelischen Kirche in Remshalden-Geradstetten täglich zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr zu läuten oder läuten zu lassen.
Rn. 8
Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.
Rn. 9
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus: Der Kläger könne sich weder auf Art. 4 GG noch auf Art. 13 GG noch auf die Verletzung der Grenzwerte nach der TA-Lärm berufen. Das morgendliche Geläut (Laudes) sei Zeichen für den Tagesbeginn mit Gott. Es handele es sich um eine seit langem bestehende Tradition. Das Läuten sei auch heute sozialadäquat. Zahlreiche Nachbargemeinden läuteten ebenfalls bereits ab 6.00 Uhr morgens. Das Läuten sei durch die positive Religionsfreiheit gedeckt; die Ausübung dieser Freiheit dürfe nicht durch die negative Religionsfreiheit des Klägers abgeschnitten werden. Ein Nachweis des tatsächlichen Bewirkens von Beten durch Gläubige infolge des Läutens sei, anders als vom Kläger behauptet, nicht von der Beklagten zu erbringen. Auch sei der Vortrag des Klägers insoweit widersprüchlich, als er erstinstanzlich primär eine Gesundheitsverletzung infolge geminderter Schlafqualität geltend gemacht habe, während er im Berufungsverfahren eine Beeinträchtigung seiner Glaubensfreiheit vorbringe.Rn. 10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze im Berufungsverfahren sowie die dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten verwiesen.Rn. 11

Entscheidungsgründe

Die nach der Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.Rn. 12

I.

Die Klage ist zulässig. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet (BVerwG, Urteil v. 07.10.1983 – 7 C 44/81 – BVerwGE 68, 62 = DVBl. 1984, 227; § 17a Abs. 5 GVG). Die Rechtsfähigkeit der Beklagten ergibt sich aus § 24 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (KiStG).Rn. 13
Dem Kläger fehlt es nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger ist zwar Mitglied der Landeskirche, zu der auch die Beklagte gehört. Daraus folgt aber nicht, dass es sich bei dem Gegenstand des Rechtsstreits zwingend um eine innerkirchliche Angelegenheit handeln würde, für die dem Kläger der Weg zu den staatlichen Gerichten versperrt wäre. Der Kläger fühlt sich durch das Glockengeläut an sich gestört, nicht speziell durch die Urheberschaft der Beklagten. Die Glocken treffen ihn deshalb nicht speziell in seiner Eigenschaft als Kirchenmitglied. Vielmehr nimmt er sie – nachvollziehbar – als eine akustische Beeinträchtigung seiner persönlichen, auch von religiösen Vorstellungen getragenen Ruhe wahr. Sein Vortrag legt es nahe, dass er in gleicher Weise aktiv geworden wäre, wenn es sich nicht um Glocken seiner eigenen Kirchengemeinde, sondern um Glocken der Gemeinde eines anderen Bekenntnisses gehandelt hätte.Rn. 14

II.

Die Klage ist aber unbegründet. Dem Kläger steht der von ihm geltend gemachten öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch nach den allgemeinen Vorgaben des Bundesimmissionsschutzgesetzes nicht zu. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter besonderer Berücksichtigung seiner Grundrechte.Rn. 15
1. Die beklagte Kirchengemeinde ist nicht nach den allgemeinen Vorgaben des BImSchG zur Unterlassung des morgendlichen Läutens verpflichtet. Zwar kommt dem Verbot des § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i.V.m. den Begriffsbestimmungen des § 3 Abs. 1 BImSchG drittschützender Charakter zu. Die Voraussetzungen für die Annahme einer schädlichen Umwelteinwirkung i.S.d. § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG liegen aber nicht vor. Das streitgegenständliche Glockengeläut der Beklagten begründet keine erheblichen Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den Kläger.Rn. 16
a. Die akustische Beeinträchtigung, die von Glockengeläut ausgeht, ist grundsätzlich erheblich, wenn das Geläut die Schwellenwerte der TA Lärm übersteigt, und grundsätzlich unerheblich, solange es sich unterhalb dieser Schwellenwerte hält. Für ein Überschreiten der Grenzwerte gibt es im Fall des Betläutens der Beklagten keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat eine derartige Überschreitung der Grenzwerte nicht dargelegt. Er hat vielmehr ausdrücklich erklärt, die „Lärmstärke“ spiele für ihn, „soweit sie oberhalb der Hörschwelle, zumindest aber der Weckschwelle“ liege, „keine Rolle“ (Klageschrift, Bl. 13 der Akten 11 K 1705/10 des Verwaltungsgerichts). Der Senat hat auch keine anderweitigen Hinweise auf eine Überschreitung der Schwellenwerte. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen.Rn. 17
b. Eine schädliche Umwelteinwirkung ist darüber hinaus nicht gegeben, wenn die Immission herkömmlich, sozial adäquat und allgemein akzeptiert ist (BVerwG, Urt. v. 30.04.1992 - 7 C 25/91 - juris; BVerwG, Beschl. v. 03.05.1996 - 4 B 50/96 - juris). So liegen die Dinge hier. Das morgendliche Läuten ist eine kirchliche Tradition, die im vorliegenden Fall bereits so lange besteht, dass eine genaue Datierung des Beginns nicht möglich ist. Der Kläger bezweifelt zwar, dass die Beklagte das alltägliche Betläuten seit mindestens 1756 regelmäßig praktiziert. Soweit sich sein Vortrag dabei allein darauf stützt, dass es vor 1924 noch kein elektrisches Geläut gegeben habe, handelt es sich aber um eine bloße Mutmaßung. Da das morgendliche Betläuten jedenfalls seit langem den Tageslauf der Gemeinde prägt, ist es „herkömmlich“ im Sinne des Immissionsschutzrechts.Rn. 18
Das Geläut ist auch sozialadäquat und wird allgemein akzeptiert. Vor allem in der ländlichen Bevölkerung wird dem Glockengeläut keineswegs nur eine religiöse, sondern auch eine den Tag gliedernde soziale Funktion zugeschrieben. Die Sozialadäquanz des Läutens von Kirchenglocken steht und fällt dabei nicht mit der Religions- oder gar Konfessionszugehörigkeit der Bevölkerungsmehrheit. Sie ist auch nicht strikt an bestimmte Tageszeiten gebunden. Immissionsschutzrechtlich genießt allein die Nachtzeit besonderen Schutz. Dieser Schutz endet aber um 6.00 Uhr (vgl. Nr. 6.4 TA Lärm). Von der in Ziff. 6.4 TA-Lärm vorgegebenen Möglichkeit der Verschiebung dieser Zeiten hat die zuständige Behörde ersichtlich keinen Gebrauch gemacht. Schließlich ist auch die Dauer des Betläutens von zwei Minuten nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen die drittschützenden Normen der §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG ist somit nicht festzustellen.Rn. 19
2. Auch die Grundrechte des Klägers lassen das Glockengeläut, dem er ausgesetzt ist, nicht als unzumutbar erscheinen.Rn. 20
a. Der Kläger kann sich auf seine Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) berufen. Im Kern begehrt der Kläger – negatorisch – die Abwehr einer Lärmimmission.Rn. 21
aa. Das Glockengeläut betrifft den Kläger jedenfalls in seiner negativen Religionsfreiheit. Zwar liegt weder ein unmittelbarer noch ein mittelbar-faktischer Grundrechtseingriff durch den Staat vor. In Ausübung der aus den Grundrechten folgenden staatlichen Schutzpflichten haben die staatlichen Gerichte die grundrechtlich geschützten individuellen Rechtsgüter aber auch insoweit zu berücksichtigen, als sie unbestimmte Rechtsbegriffe des einfachen Rechts auslegen und anwenden.Rn. 22
bb. Soweit der Kläger die Zeit zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr zur Schriftlesung oder zur Meditation nutzen möchte, sich daran aber durch das Glockengeläut gehindert sieht, ist durch das Glockenläuten auch seine positive Religionsfreiheit betroffen. Insoweit fehlt es jedoch ebenfalls an einem staatlichen Grundrechtseingriff. Auch in dieser Perspektive kann sich der Kläger deshalb allein auf die Wirkung des Grundrechts als Grundlage einer staatlichen Schutzpflicht berufen.Rn. 23
b. Der Kläger ist im Ergebnis aber weder in seiner negativen noch in seiner positiven Religionsfreiheit verletzt. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verpflichten den Staat nicht zum Einschreiten gegen das Glockengeläut der Beklagten. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Beklagte in Ausübung des Rechts der kirchlichen Selbstbestimmung (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV) und ihrer – kollektiven – Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gehandelt. In dieser Lage ist eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Gewährleistungen geboten, bei der die staatlichen Gerichte nur zu prüfen haben, ob das grundrechtliche Untermaßverbot verletzt ist (grundlegend Isensee, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., Bd. IX, 2011, § 111 Rn. 165 f.). Die grundrechtlichen Wertungen konkretisieren dabei die immissionsschutzrechtliche Abwägung, die zur Feststellung des Merkmals „schädliche Umwelteinwirkung“ i.S.d. §§ 22 Abs. 1 Nr. 1 und 3 Abs. 1 BImSchG erforderlich ist.Rn. 24
In der Kollision der Religionsfreiheit des Klägers mit der Religionsfreiheit und dem körperschaftlichen Selbstbestimmungsrecht der Beklagten liegt der schonende Ausgleich in der Beachtung der immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte. Dem Kläger kann kein weiter gehender Anspruch auf eine Verschonung von den Glaubens- und Bekenntnisbekundungen der Klägerin zustehen. Ein derartiger Anspruch des Einzelnen würde der laizistischen Weltanschauung einen mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG unvereinbaren Vorrang gegenüber anderen Weltanschauungen (hier: der praktizierten christlichen Liturgie) einräumen (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band 1, 6. Aufl. 2010, Art. 4 Abs. 1, 2 Rdnr. 24; Mückl in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: August 2008, Art. 4 Rdnr. 90; Wenckstern in: Umbach/Clemens, Grundgesetz Mitarbeiterkommentar, Band I, 2002, Art. 4 Rdnr. 92 f.). Im Übrigen verbleibt dem Kläger schon angesichts der Kürze des Läutens der weitaus größte Teil der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr zu ruhiger Schriftlesung und Meditation.Rn. 25
c. Auch die Eigentumsfreiheit des Klägers (Art. 14 Abs. 1 GG) gebietet keine abweichende Würdigung. Der Kläger hat bereits nicht schlüssig dargetan, inwieweit das in seinem Eigentum stehende Wohnhaus durch das Geläut der Beklagten eine bezifferbare Wertminderung erfährt. Vielmehr sind der Wert des Grundstücks und des Gebäudes seit unvordenklichen Zeiten durch die Umgebungsbedingungen geprägt, zu denen das regelmäßige morgendliche Glockengeläut der Beklagten gehört. Das Eigentum des Klägers ist von Verfassungs wegen nur in dem Umfang geschützt, den die Vorschriften der §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG begründen und begrenzen. Das Geläut bedarf daher keiner besonderen Rechtfertigung vor Art. 14 Abs. 2 GG.Rn. 26
d. Soweit sich der Kläger zusätzlich auf die Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) beruft, gehen seine Ausführungen dagegen fehl. Selbst wenn eine unmittelbar dem Staat zuzurechnende Maßnahme in Rede stünde, fehlte es an einem Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts. Art. 13 Abs. 1 GG schützt gegen ein ausforschendes oder die Privatsphäre anderweitig beeinträchtigendes Eindringen in den persönlichen Lebens- und Geheimbereich, den eine Wohnung i.S.d. Art. 13 Abs. 1 GG begründet (vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 13 Rn. 1 a.E.); das Grundrecht schirmt seinen Träger aber nicht gegen unspezifische Umwelteinwirkungen ab, denen die Wohnung in gleicher Weise ausgesetzt ist wie ihre nähere Umgebung (BVerfG, Beschl. v. 29.07.2009 - 1 BvR 1606/08 - NVwZ 2009, 1494, Rdnr. 34). Infolgedessen erfordert auch Art. 13 Abs. 1 GG keine Modifikation der allgemeinen immissionsschutzrechtlichen Vorgaben.Rn. 27
e. Ebenso wenig kann sich der Kläger auf einen Gleichheitsverstoß berufen. Die Beklagte ist im Kernbereich ihres religiösen Wirkens schon nicht an den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG oder eines der besonderen Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG gebunden. Zudem liegen keine strukturell vergleichbaren Fälle vor, aufgrund derer eine Ungleichbehandlung anzunehmen wäre. Es fehlt insoweit bereits an einem gemeinsamen Bezugspunkt.Rn. 28
Ohnehin wäre die Beklagte als eigenständige juristische Person des öffentlichen Rechts gleichheitsrechtlich nicht an das Tun oder Unterlassen anderer Kirchengemeinden gebunden. Ob einzelne andere Kirchengemeinden mit dem Glockengeläut erst um 8.00 Uhr beginnen, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens der Beklagten daher nicht maßgeblich. Es ist vielmehr Ausdruck der ihr zustehenden spezifischen Autonomie aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 GG, dass sie zu anderen Zeiten läutet als die örtliche römisch-katholische Kirchengemeinde oder andere Kirchengemeinden der württembergischen Landeskirche.Rn. 29
Soweit der Kläger einen Gleichheitsverstoß in dem Umstand erblickt, dass die Beklagte ab 6.00 Uhr läuten darf, während er selber sich daran gehindert sieht, ab 6.00 Uhr seine Religionsfreiheit auszuüben, kommt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) von vornherein nicht in Betracht. Die Beklagte behandelt den Kläger nicht anders als Dritte; sie behandelt auch vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich. Ein aktives Handeln der Beklagten steht einem - wenn auch bewussten - Unterlassen des Klägers nicht gleich.Rn. 30
3. Insgesamt erweist sich das angegriffene Glockengeläut daher als rechtmäßig, so dass der vom Kläger geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht besteht.Rn. 31

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.Rn. 32

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die durch das Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Der Fall wirft auch unter Berücksichtigung der Religionsfreiheit des Klägers keine substanziellen neuen Gesichtspunkte auf.Rn. 33