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VG Berlin, Beschl. v. 23.10.2013 – VG 1 L 251.13 – „Jäger erschießt Islandpony“

ZVR-Online Dok. Nr. 19/2014 – online seit 11.08.2014

§ 5 WaffG, § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG, § 46 WaffG, § 17 BJagdG

Leitsatz der Redaktion

Es gehört zu den elementaren Verhaltensregeln des Gebrauchs von Schusswaffen bei der Jagd, dass der Jäger einen Schuss auf Wild nur dann abgibt, wenn er sich darüber vergewissert hat, dass das Tier, das er beschießt, auch tatsächlich das Tier ist, das er beschießen will. Der Jäger muss das anvisierte Tier vor der Schussabgabe also ordnungsgemäß ansprechen. Bei Zweifeln oder Unsicherheiten hat die Schussabgabe zu unterbleiben.Rn. 1

Gründe

Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 19. August 2013 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juli 2013 anzuordnen bzw. wiederherzustellen, sowie

hilfsweise, dem Antragsteller zu gestatten, seine Waffen und den Wechsellauf sowie ggf. noch vorhandene Munition bei einem Waffenhändler einzulagern und diesen zu verpflichten, die Gegenstände nur aufgrund einer schriftlichen Einwilligung des Antragsgegners an den Antragsteller herauszugeben,

hat weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag Erfolg.
Rn. 2
I. Der auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Juli 2013 gerichtete (Haupt-)Antrag ist - soweit die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Antragstellers widerrufen worden sind - gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, weil dieser Teil der Verfügung des Antragsgegners mit Blick darauf, dass die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Antragstellers wegen Entfallens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 2 des Waffengesetzes (WaffG) widerrufen worden sind, gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 WaffG kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist. Der gegen die nach § 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WaffG getroffenen Anordnungen gerichtete Aussetzungsantrag ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft, weil der Antragsgegner die sofortige Vollziehung dieses Teils seiner Verfügung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat.Rn. 3
Der zulässige Eilantrag ist jedoch insgesamt unbegründet. Bei der hier allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich der angegriffene Bescheid als rechtmäßig; die Voraussetzungen für den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse sowie für die Anordnung, die Erlaubnisurkunden (Waffenbesitzkarten Nr. 14/85, 103/85, 371/77, 82/84 und 272/08-5) zurückzugegeben und die Schusswaffen einem Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen, liegen vor.Rn. 4
1. Rechtsgrundlage für den Widerruf der Erlaubnisse ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Danach ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.Rn. 5
Voraussetzung für Waffen- und Munitionserlaubnisse ist unter anderem die Zuverlässigkeit des Antragstellers (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden. Leichtfertig verwendet werden Waffen und Munition bei grob fahrlässigem Gebrauch in einer von der Rechtsordnung missbilligten Weise. Grob fahrlässig ist dieser Gebrauch, wenn die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt wurde. Die Befürchtung einer leichtfertigen Verwendung muss nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG auf bestimmte Tatsachen gestützt sein, d.h. auf Verstöße in der Vergangenheit, die einen Schluss auf ein in Zukunft zu befürchtendes Fehlverhalten zulassen. Dabei bedarf es einer Gesamtwürdigung des bisherigen Verhaltens des Betroffenen. Die auf Tatsachen gestützte Besorgnis einer künftigen Leichtfertigkeit in Bezug auf den Gebrauch von Waffen oder Munition kann auch aus einem einzigen Vorfall gezogen werden, wenn darin ein übergroßes Maß an Unvorsichtigkeit in der Verwendung von Waffen zutage tritt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem Fehlverhalten um eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit handelt und ob diese verfolgt und geahndet wurde (vgl. VG Leipzig, Beschluss vom 17. September 2009 - 5 L 335/09 - juris, Rn. 24 m.w.N.; VG Koblenz, Beschluss vom 21. September 2012 - 6 L 828/12.KO - BeckRS 2012, 57645; jeweils zur Parallelvorschrift des § 17 Abs. 3 Nr. 1 Bundesjagdgesetz - BJadgG).Rn. 6
Diese Voraussetzungen sind nach summarischer Prüfung gegeben. Nach den vorliegenden Unterlagen ist davon auszugehen, dass der Antragsteller am 27. August 2012 bei der Jagd ein Islandpony erschossen und dabei die an ihn als Jäger zu stellenden Anforderungen in besonders schwerem Maße verletzt hat.Rn. 7
Es gehört zu den elementaren Verhaltensregeln des Gebrauchs von Schusswaffen bei der Jagd, dass der Jäger einen Schuss auf Wild nur dann abgibt, wenn er sich darüber vergewissert hat, dass das Tier, das er beschießt, auch tatsächlich das Tier ist, das er beschießen will. Das bedeutet, dass der Jäger das Tier vor Schussabgabe jedenfalls nach seiner Art, eventuell auch nach Alter, Geschlecht und Körperzustand ansprechen muss, anderenfalls ein Schuss zu unterbleiben hat. Jede auch noch so geringe Unsicherheit und Unwägbarkeit verbietet den Schuss (VG Augsburg, Urteil vom 25. März 2008 - Au 4 K 06.431 - juris, Rn. 55).Rn. 8
Die vorliegenden Informationen sprechen dafür, dass der Antragsteller gegen diese grundlegende Pflicht der Jagdausübung in erheblicher Weise verstoßen hat. Es lagen nach dem Vortrag des Antragstellers keine Umstände vor, die die Jagdsituation als kompliziert erscheinen ließen. Insbesondere bestanden keinerlei Zeitdruck oder sonstige Umstände, die - wie es etwa bei Treib- oder Drückjagden der Fall ist - besondere Anforderungen an den Jäger stellten. Bei einer derartigen Situation erscheint es bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht nachvollziehbar, dass es zu einer Verwechslung des Islandponys mit einem Wildschwein, das der Antragsteller erkannt haben will, kommen konnte. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller damit rechnen musste, in seinem in der Nähe eines Pferdehofes gelegenen Jagdbereich einem Pony zu begegnen. Zudem handelte es sich bei dem getöteten Tier nach den im Verwaltungsvorgang enthaltenen Fotoaufnahmen (Bl. 163 VV) um ein vergleichsweise stattliches Tier, das aufgrund seiner langen Beine und der Ausprägung des Halsteils eher dem Typ eines Reitpferdes als dem eines Ponys entsprach und das somit bereits seiner Kontur nach nicht einem Wildschwein ähnelte. Als Erklärung für die von dem Antragsteller angeführte Verwechslung verbleibt daher lediglich, dass er sich entgegen seiner grundlegenden Pflichten nicht vergewissert hat, das Tier zu beschießen, das er tatsächlich beschießen wollte, sondern einer Spontan-/Ersteinschätzung folgte und schoss, ohne die gebotene Identifizierung vorzunehmen. Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Verwechslung habe ihre Ursache darin, dass es zum Zeitpunkt des Schusses bereits dunkel gewesen sei. Der Antragsteller hat selbst darauf hingewiesen, dass die Sichtverhältnisse für eine Jagd noch ausreichend waren. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, wäre es dem Antragsteller bereits aus diesem Grund untersagt gewesen zu schießen. Unerheblich ist auch, dass das strafrechtliche Verfahren gegen den Antragsteller wegen Verstoßes gegen § 17 Tierschutzgesetz (TierSchG) nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt wurde. Ausweislich der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Neuruppin vom 7. Dezember 2012 (Bl. 161 VV) wurde das Verfahren eingestellt, weil der Beschuldigte bei dem vermeintlichen Schuss auf ein Wildschwein einem vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum unterlag. Eine leichtfertige Verwendung von Waffen wird damit nicht ausgeschlossen, zumal die strafrechtlichen und ordnungsrechtlichen Maßstäbe nicht identisch sind (vgl. Beschluss der Kammer vom 25. September 2013 - VG 1 L 219.13 - Seite 5 des Abdrucks).Rn. 9
Durch die danach als leichtfertig zu qualifizierende Tötung des Ponys mit der Jagdwaffe ist die Prognose gerechtfertigt, dass der Antragsteller auch künftig von Waffen oder Munition leichtfertig i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG Gebrauch machen wird. Insoweit ist auch zu beachten, dass der Antragsteller ausweislich des vom aufnehmenden Beamten festgestellten Sachverhalts (Bl. 162 VV) und der Antragsschrift im vorliegenden Eilverfahren vom 19. August 2013 (Bl. 1 ff. d. A.) zunächst zugegeben hat, das Pony erschossen zu haben, im Schriftsatz vom 4. September 2013 nun aber angibt, seine Täterschaft sei nicht belegt. Dies lässt zudem - im Bereich des Waffenrechts nicht hinnehmbare - Zweifel daran aufkommen, ob der Antragsteller über das für den Besitz von Waffen erforderliche Verantwortungsbewusstsein verfügt. Der Einwand des Antragstellers, dass bei der dargelegten Betrachtung jeder Fehlab-schuss zu einer Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit führe, trifft nicht zu. Maßgeblich ist das Ob und das Ausmaß des den Jäger treffenden Verschuldens. Ist die Grenze der groben Fahrlässigkeit überschritten, kommt eine Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG in Betracht (VG Leipzig, a.a.O., - juris, Rn. 39). Ebenso wenig ist - entgegen der Auffassung des Antragstellers - zu beanstanden, dass der Antragsgegner waffenrechtliche Konsequenzen aus dem auch dem Jagdrecht unterliegenden Verhalten des Antragstellers zieht. Denn wie die gleichlautenden Formulierungen in § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG und § 17 Abs. 3 Nr. 1 BJagdG sowie der Verweis in § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG auf § 5 WaffG zeigen, besteht bei der Beurteilung dieses Verhaltens ein Gleichlauf der jagd- und waffenrechtlichen Bestimmungen und sind daher ohne Weiteres Maßnahmen auf der Grundlage beider Rechtsregime möglich (vgl. VG Koblenz, a.a.O.; Beschluss der Kammer vom 21. Juli 2006 - VG 1 A 218.05 - S. 4 des Abdrucks).Rn. 10
Selbst dann, wenn man hinsichtlich des Fehlabschusses am 27. August 2012 von einem weiteren Aufklärungsbedarf und damit von einer nicht hinreichend sicher feststellbaren Rechtmäßigkeit des Widerrufs der waffenrechtlichen Erlaubnisse ausgeht, fällt eine von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs unabhängige Abwägung der widerstreitenden Interessen zu Lasten des Antragstellers aus. Insoweit ist festzustellen, dass nach den vorliegenden Informationen zumindest erhebliche Anhaltspunkte für eine Leichtfertigkeit des Antragstellers und damit für die Annahme einer Unzuverlässigkeit vorliegen. Dies rechtfertigt, sein privates Interesse am Umgang mit Waffen geringer zu gewichten als das öffentliche Interesse, den besonderen mit dem Besitz von Waffen verbundenen Gefahren vorzubeugen. Durch die mit der Jagd verbundene Verwendung von Schusswaffen bestehen erhebliche Gefahrenquellen für Leib, Leben und Eigentum. Im Interesse der Sicherheit der Allgemeinheit darf der Gebrauch von Schusswaffen daher nur durch zuverlässige Personen ausgeübt werden. Es liegt im öffentlichen Interesse, auch eine unter Umständen nur entfernte Möglichkeit (von der hier allerdings nicht auszugehen ist) auszuschließen, dass eine unzuverlässige Person Waffen besitzt und einsetzt.Rn. 11
2. Die Aufforderungen zur Rückgabe der Erlaubnisurkunden und zur Überlassung der Waffen an einen Berechtigten bzw. zur Unbrauchbarmachung der Waffen finden ihre Rechtsgrundlage in § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 WaffG; sie sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Schließlich war der Antragsgegner nach § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG berechtigt, die Sicherstellung und Verwertung der Waffen bei Nichtbefolgung der Anordnung nach Satz 1 anzukündigen.Rn. 12
II. Sollte der Antragsteller im vorliegenden Verfahren auch die mit dem Bescheid vom 12. Juli 2013 versagte Verlängerung seines am 31. März 2013 abgelaufenen Jagdscheins begehren, wäre der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässige Antrag jedenfalls mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 1 BJagdG unbegründet. Insoweit gelten die Ausführungen zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 a) WaffG entsprechend.Rn. 13
III. Der Hilfsantrag hat bereits deshalb keinen Erfolg, weil der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 23. August 2013 erklärt hat, mit einer Einlagerung der Waffen bei einem Waffenhändler einverstanden zu sein. Für eine entsprechende gerichtliche Anordnung besteht daher kein Rechtsschutzbedürfnis.Rn. 14
IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO, §§ 39 ff., 52 GKG. Bei der Wertfestsetzung hat sich die Kammer an Nr. 50 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 orientiert und für die vier Waffenbesitzkarten Nr. 103/85, 371/77, 82/84 und 272/08-5 5.000 Euro, für die vierzehn weiteren in diesen Waffenbesitzkarten eingetragenen Waffen je 750 Euro, für die Waffenbesitzkarte für Sportschützen Nr. 14/85 5.000 Euro, für die in dieser Waffenbesitzkarte zusätzlich ausgewiesene Munitionserwerbsberechtigung 1.500 Euro sowie für die zwei weiteren in dieser Waffenbesitzkarte eingetragenen Waffen je 750 Euro angesetzt. Hierauf basierend ergibt sich in der Hauptsache ein Streitwert von 23.500 Euro, der im Eilverfahren wegen der Vorläufigkeit der erstrebten Regelung zur Hälfte anzusetzen ist.Rn. 15