Skip to main content

OVG Schleswig, Beschl. v. 16.05.2012 – 4 MB 40/12 – „Kein Alkoholverbot am Vatertag“

ZVR-Online Dok. Nr. 9/2018 – online seit 18.07.2018

§ 160 LVwG, § 176 Abs. 1 LVwG

Leitsatz der Redaktion

1. Die Entstehung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erfordert neben dem Konsum von Alkohol ein weiteres Zutun des Konsumenten. Für sich allein genommen begründet der Konsum von Alkohol lediglich einen Gefahrenverdacht, der den Erlass einer Allgemeinverfügung nicht rechtfertigt.Rn. 1
2. Auch unter Anwendung der sog. Je-desto-Formel bedarf die Annahme einer Gefahr zumindest einer gewissen Wahrscheinlichkeit, die für den Eintritt eines Schadens spricht.Rn. 2

Gründe

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. Mai 2012 ist unbegründet.Rn. 3
Der Senat teilt im Wesentlichen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss vom 14. Mai 2012, wonach sich die angefochtene Allgemeinverfügung bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage als rechtswidrig erweist.Rn. 4
In Anbetracht der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit (Eingang der Beschwerde am 16. Mai 2012) beschränkt sich der Senat auf folgende Begründung:Rn. 5
Die Allgemeinverfügung, mit der die Antragsgegnerin für den 17. Mai 2012 (Vatertag) das zugriffsbereite Mitführen und Verzehren von alkoholischen Getränken auf den öffentlichen Flächen in Timmendorfer Strand, Strandallee zwischen Herrenbruchstraße und Saunaring, Timmendorfer Platz, Kurpromenade, Kurpark zwischen Curschmann-Klinik und Strandzuwegung gegenüber der Wohldstraße einschließlich des Seebrückenvorplatzes und der Seebrücke sowie an den parallel verlaufenden Strandabschnitten verboten hat, ist als Allgemeinverfügung auf § 176 Abs. 1 Nr. 2 LVwG gestützt worden. Danach sind Verwaltungsakte, zu denen auch Allgemeinverfügungen im Sinne von § 106 Abs. 2 LVwG zählen, als Maßnahme zur Gefahrenabwehr, die in die Rechte der einzelnen Personen eingreifen, nur zulässig, soweit sie zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich sind. Gesetzliche Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Erlasses einer Allgemeinverfügung ist mithin das Vorliegen einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Eine solche konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht imstande, so liegt keine Gefahr, sondern - allenfalls - eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich höchstrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben. Das setzt eine Risikobewertung voraus, die - im Gegensatz zur Feststellung einer Gefahr - über einen Rechtsanwendungsvorgang weit hinausgeht und mehr oder weniger zwangsläufig neben der Beurteilung der Intensität der bestehenden Verdachtsmomente einer Abschätzung der Hinnehmbarkeit der Risiken sowie der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der in Betracht kommenden Freiheitseinschränkungen in der Öffentlichkeit einschließt, mithin - in diesem Sinne - „politisch“ geprägt oder mitgeprägt ist. Eine derart weitreichende Bewertungs- und Entscheidungskompetenz steht den Polizei- und Ordnungsbehörden nicht zu (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 03.07.2002 - DVBl. 2002, 1562). Der Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, der für die Annahme einer Gefahr erforderlich ist, hängt allerdings von der Größe und dem Gewicht des drohenden Schadens ab: Die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts muss umso größer sein, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden ist, und sie darf umso kleiner sein, je schwerer der etwa eintretende Schaden wiegt. Gleichwohl muss auch dann, wenn ein schwerwiegender Schaden befürchtet wird, auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt dieses Schadens sprechen (BVerwG, a.a.O.).Rn. 6
Die Antragsgegner haben in der streitgegenständlichen Verfügung das zugriffsbereite Mitführen und Verzehren von alkoholischen Getränken auf bestimmten öffentlichen Flächen untersagt. Das verbotene Tun (das Mitsichführen von Alkohol) ist per se nicht geeignet, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt von Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit - gar in Form der Begehung von Straftaten - befürchten zu lassen. Es ist also gerade nicht der Alkoholkonsum an sich, der eine Gefährdung für polizeirechtlich geschützte Rechtsgüter nach sich zieht. Vielmehr müssen dann, wenn Alkohol konsumiert wird, weitere Handlungen des Konsumenten hinzutreten, um Gefahren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit zu verursachen (vgl. Florian Albrecht, Alkoholverbote in der kommunalen Praxis, Verwaltungsrundschau 2012, Seite 41 m.w.n.) Die Entstehung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erfordert ein weiteres Zutun des Konsumenten. Zahlreiche Menschen trinken allein oder in Gruppen auch in der Öffentlichkeit Alkohol, ohne dass dies Rechtsverstöße nach sich zieht. Dementsprechend wird man den Konsum von Alkohol an Ausflügen am Vatertag auch als weitgehend gesellschaftlich gebilligt ansehen müssen (vgl. Hebeler/Schäfer, Die rechtliche Zulässigkeit von Alkoholverboten im öffentlichen Raum, DVBl. 2009, 1424, 1426 f.). Deshalb begründet die gesicherte Erkenntnis, dass am Vatertag - auch in größeren Mengen - Alkohol konsumiert wird, jedenfalls in der Regel lediglich einen Gefahrenverdacht, welcher für sich genommen den Erlass einer Allgemeinverfügung noch nicht rechtfertigt. In der Regel ist die Vorverlagerung der Gefahrenabwehr dergestalt, dass bereits ein nicht unmittelbar sicherheitsgefährdendes Verhalten generell untersagt wird, nicht zulässig (vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 06.10.1998 - 1 S 2272/97 - NuR 1999, 221; diesem zustimmend Senat, Urt. v. 16.06.1999 - 4 L 2/99 -, NordÖR 1999, 381 Rdnr. 21; dort speziell zum Fall einer polizeirechtlich begründeten Satzungsregelung).Rn. 7
Soweit die Beschwerde geltend macht, dass aufgrund der Erfahrungen in den Jahren bis 2010 entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts von einer aufgrund des verbotenen Verhaltens des Alkoholkonsums bzw. -mitführens bestehenden Gefahr auszugehen sei, ist dies nicht hinreichend konkret dargelegt und ergibt sich dies auch weder aus der Begründung der angefochtenen Allgemeinverfügung noch aus dem Vermerk der Polizeizentralstation vom 03. Februar 2011. Bei dem Verhältnis von 32 Strafanzeigen an Himmelfahrt im Jahr 2010, davon 11 Körperverletzungen, und 6 von der Polizei an ihre Eltern übergebenen betrunkenen Jugendlichen, zu den insgesamt über 1.200 Anwesenden ist ein gefahrenbegründender Sachverhalt allein aufgrund des verbotenen Verhaltens nicht ausreichend belegt. Diese Relation stützt vielmehr die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass es sich hier um eine im Vorsorgebereich ansetzende Maßnahme handelt. Darüber hinaus wird die Eignung des in der Allgemeinverfügung enthaltenen Verbots dadurch in Frage gestellt, dass nicht nur der Alkoholkonsum im betroffenen räumlichen Bereich in Gaststätten, sondern auch der Erwerb von Alkohol an dortigen Strandkiosken erlaubt bleibt, da insbesondere letztere Möglichkeit der Beschaffung von Alkohol, ggf. durch noch nicht so stark alkoholisierte Mitfeiernde oder Dritte, zum Zwecke eines Konsums in der Gruppe gerade denselben Gefahren Vorschub leisten würde, welche die Antragsgegnerin geltend macht.Rn. 8
Hinzukommt, dass nicht festgestellt werden kann, dass die Mehrheit derer, die Alkohol konsumieren und von der Verfügung betroffen sind, die Gefahrengrenze überschreitende Sicherheitsverstöße begehen. in diesem Zusammenhang hat bereits das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt, dass Personen, für die - wie zum Beispiel im Falle des Antragstellers - kein Anlass zu der Annahme besteht, dass sie durch ihr Verhalten die öffentliche Sicherheit so stören werden, dass sie als „Handlungsstörer“ im Sinne von § 218 Abs. 1 LVwG in Anspruch genommen werden könnten, nur unter der Voraussetzung des § 220 LVwG rechtmäßig in Anspruch genommen werden dürfen. Hierzu wendet die Beschwerde ein, der Antragsgegnerin sei es angesichts der Erfahrungen in der Vergangenheit nicht durch eigene Mittel und durch Inanspruchnahme der Polizei möglich, den Störungen zu begegnen. Platzverweise könnten lediglich auf den Anmarschwegen genutzt werden; für Ingewahrsamnahmen stünden keine ausreichenden Kapazitäten zur Verfügung.Rn. 9
Mit diesen - eher allgemein gehaltenen - Argumenten werden jedoch die Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes nicht dargelegt. Reichen die Mittel der Polizei nicht aus, muss diese - insbesondere wenn ein entsprechender Bedarf absehbar ist - im Wege der Amtshilfe um Verstärkung nachsuchen. Der Erlass einer Allgemeinverfügung lediglich mit dem Zweck, der Polizei die ihr obliegende Aufsicht zu erleichtern, ist nicht zulässig (§§ 176 Abs. 2, 58 Abs. 4 LVwG). Es ist nicht substantiiert vorgetragen worden, warum es bei der für 2010 geschilderten und für dieses Jahr erneut erwarteten Sachlage und den in diesem Zusammenhang angeführten Zahlen nicht möglich sein soll, durch konkrete Platzverweise polizeilich auf gefährdendes Verhalten im Einzelfall vor Ort zu reagieren. Dies gilt auch für etwa erforderlich Ingewahrsamnahmen; konkrete Zahlen aus den vergangenen Jahren sind hier ebensowenig vorgetragen worden wie ersichtlich wäre, warum es erforderlichenfalls nicht möglich sein soll, auf die bei größeren polizeilichen Einsätzen allgemein übliche Einrichtung zusätzlicher Gewahrsamskapazitäten zurückzugreifen.Rn. 10
In besonderen Ausnahmefällen, in denen etwa auf Grund der konkreten Örtlichkeit oder anderer spezieller Umstände die an sich vorrangigen Maßnahmen der Polizei vor Ort trotz entsprechenden Polizeiaufgebotes zur Verhinderung sicherheitsrelevanter Verhaltensweisen zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen, kann eine Allgemeinverfügung, welche an das der Gefahrenverwirklichung vorgelagerte Mitsichführen beziehungsweise Konsumieren von Alkohol anknüpft, rechtmäßig sein. Ein solcher Ausnahmefall wird jedoch nach Auffassung des Senats auch durch das Beschwerdevorbringen nicht dargetan.Rn. 11
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.Rn. 12
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den § 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG.Rn. 13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).Rn. 14