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Robert Gmeiner: Rezension – Gard, Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung, 2018

ZVR-Online Dok. 1/2019 – online seit 31.03.2019

Gard, André
Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung
Nomos Verlag
Baden-Baden 2018
346 Seiten
89,00 Euro
ISBN: 978-3-8487-4660-6

Die Akzeptanz der Bürger für die Realisierung von Großvorhaben (Opern, Flughäfen, Bahnhöfe, etc.) ist im letzten Jahrzehnt deutlich gesunken. Aufgrund der Bürgerproteste (die zum Teil immer noch anhalten, z.B. der Montagsmarsch in Stuttgart), sah sich der Gesetzgeber genötigt, ein Verfahren zur besseren Beteiligung der Bevölkerung zu schaffen. Dies geschah mit der Einführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in § 25 Abs. 3 VwVfG. Der wesentliche Satz 1 des Absatzes lautet: „Die Behörde wirkt darauf hin [1], dass der Träger bei der Planung von Vorhaben [2], die nicht nur unwesentliche [3] Auswirkungen [4] auf die Belange [5] einer größeren Zahl von Dritten [6] haben können, die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig über die Ziele des Vorhabens, die Mittel, es zu verwirklichen, und die voraussichtlichen Auswirkungen des Vorhabens unterrichtet (frühe Öffentlichkeitsbeteiligung).“ Allein die tatbestandliche Voraussetzung des § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG enthält fünf unbestimmte Rechtsbegriffe, daneben noch einen in der Rechtsfolge.Rn. 1
Mit dieser höchst unbestimmten Norm setzt sich die von André Gard an der Universität des Saarlandes angenommene Dissertation auseinander. Ziel der Arbeit ist die Betrachtung des § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG in seiner Gesamtheit, sodass ihr keine konkrete Forschungsfrage zugrunde liegt. Daher ist das Werk wie eine Kommentierung aufgebaut: auf die Entstehungsgeschichte folgen Tatbestand und Rechtsfolge; zum Schluss widmet sich der Verfasser dem Rechtsschutz und dem Konkurrenzverhältnis zu anderen Vorschriften zur Öffentlichkeitsbeteiligung. Eine Wiedergabe der Gedankengänge würde aufgrund dieser differenzierten Betrachtung der einzelnen Aspekte den Rahmen dieser Rezension sprengen. Dennoch soll der Gang der Untersuchung nachfolgend kurz skizziert werden: Nach einer kurzen Einleitung und historischen Hinführung zur Öffentlichkeitsbeteiligung setzt sich Gard mit den einzelnen Regelungen auseinander. Zunächst bestimmt er ausführlich die tatbestandlichen Merkmale und konkretisiert hierbei die unbestimmten Rechtsbegriffe dergestalt, dass sie dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot genügen. Sodann befasst er sich mit der Hinwirkungspflicht der Behörde als Rechtsfolge und prüft, inwieweit diese einen grundrechtlichen Eingriff darstellt und ob dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Anschließend stellt er die Anforderungen an die Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung und das Verhältnis zwischen Behörde, Vorhabenträger und Öffentlichkeit dar. Im Anschluss befasst er sich mit dem Rechtsschutz. Hierbei differenziert er zwischen primärem Rechtsschutz sowie einer evtl. Staatshaftung. Des Weiteren differenziert er zwischen dem Rechtsschutz des Vorhabenträgers und dem Rechtsschutz der betroffenen Öffentlichkeit. Zuletzt stellt er das Verhältnis zwischen der allgemeinen frühen Öffentlichkeitsbeteiligung und den anderen, spezialgesetzlich geregelten Öffentlichkeitsbeteiligungen (z.B. § 3 BauGB, §§ 9 f. NABEG) dar, die nach § 25 Abs. 3 S. 5 VwVfG eine Anwendung des § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG ausschließen.Rn. 2
Auch wenn Gards Ausführungen größtenteils überzeugen, sollen nachfolgend zwei Punkte angesprochen werden: Verweigert sich der Vorhabenträger trotz der Vorliegen der Voraussetzung des § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen, so könne laut Gard die Behörde von Amts wegen (§§ 10, 24 VwVfG) eine eigene Öffentlichkeitsbeteiligung durchführen (S. 215). Diese Auffassung ist rechtstheoretisch nicht unproblematisch: Rechtsnormen schränken die Handlungsoptionen eines Rechtsträgers ein, um so die Handlungsoptionen eines anderen Rechtsträgers zu erweitern (Vollrath, ARSP 72 [1986], 443 [446]; vgl. auch: von Trotha, ZRSoz 1 (1980), 141 [142 ff.]; Lachmayer, Grundzüge einer Normentheorie, 1977, S. 36). Eine Rechtsnorm, die rechtlich ohne eigene Bedeutung ist, stellt einen rechtstheoretischen Fremdkörper dar (vgl. Franz Reimer, Juristische Methodenlehre, 2016, Rn. 374; Grawert, ZG 6 [1991], 97 [100]). Könnte die Behörde nun auch außerhalb des § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG eine Öffentlichkeitsbeteiligung zum selben Thema und mit demselben Erkenntnisziel durchführen, so fragt sich, welche Bedeutung § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG zukommen soll: Weder werden die Handlungsoptionen der Behörde eingeschränkt (Öffentlichkeitsbeteiligung nur nach Maßgabe der § 25 Abs. 3 VwVfG) noch werden sie erweitert (Möglichkeit der Verwendung der Erkenntnis der nach § 25 Abs. 3 VwVfG durchgeführten Öffentlichkeitsbeteiligung nur nach dessen Voraussetzungen). § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG bedürfte es daher insoweit überhaupt nicht. Zu denken wäre allein, dass die Neuerung gegenüber § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG in der Pflicht zur Hinwirkung der Durchführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung gegenüber dem Vorhabenträger besteht. Nun ist die Behörde sowohl nach § 10 S. 2 VwVfG als auch nach § 24 Abs. 1 S. 1 VwVfG nicht nur zur Amtsermittlung berechtigt, sondern hierzu verpflichtet. Daher stellt sich die Frage, inwieweit die Behörde aufgrund dieser beiden Normen bereits zu einer Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung verpflichtet sein kann. Sollte für die Behörde hierzu eine solche Pflicht bestehen, stellt ein Hinwirken gegenüber dem Vorhabenträger das mildere und sogar noch effektivere Mittel dar (S. 179 ff.), sodass die Behörde aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch im Rahmen der §§ 10, 24 VwVfG diesen Weg beschreiten müsste. Der rechtliche Mehrwert des § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG ist daher nicht nachvollziehbar. Insoweit hätte es einer tatbestandlichen oder rechtsfolgenorientierten Abgrenzung der Öffentlichkeitsbeteiligungen nach § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG einerseits und der §§ 10, 24 VwVfG andererseits bedurft.Rn. 3
Ein wichtiger Punkt bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in die Grundrechte des Vorhabenträgers (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) des § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG ist die Frage, ob der Gesetzgeber diesen Zweck überhaupt verfolgen durfte (hierzu die Anmerkung in Fußnote 820). Als legitimen Zweck arbeitet Gard die Förderung der Akzeptanz des Vorhabens durch die betroffene Bevölkerung (S. 157 ff.) heraus. Es sei gar die Pflicht des Staates, die Akzeptanz seiner Akte zu fördern (S. 161). In dieser Kürze können die Ausführungen nicht überzeugen. Zunächst muss man sich vor Augen führen, dass § 25 Abs. 3 S. 1 VwVfG ein Dreiecksverhältnis (Vorhabenträger, Betroffene, Behörde) zugrunde liegt. Der Vorhabenträger übt grundsätzlich keine öffentliche Gewalt aus (BVerfG [K], Beschl. v. 22.6.2006 – 2 BvR 857/06, BVerfGK 8, 271 f. [Erweiterung einer Landebahn am Hamburger Flughafen]). Aus dem Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) ergibt sich das Verbot, Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten zwischen Privatrechtssubjekten durch die Exekutive zu regeln. Der grundgesetzlichen Kompetenzordnung entsprechend obliegt der Schutz privater Interessen vorrangig der Zivilgerichtsbarkeit (Schoch, JurA 2013, 468 [470, 477]; vgl. auch VGH Mannheim, Urt. v. 08.05.2008 – 1 S 2914/07, VBlBW 2008, 375). Erst wenn durch eine Maßnahme neben den privaten auch öffentliche Rechte betroffen sind, können die Behörden kompetenzrechtlich einschreiten. Anknüpfungspunkt für zu berücksichtigenden Belange im Rahmen der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung ist der betroffene Dritte; ihm muss der Belang zurechenbar sein (S. 93 ff.; [z.B. indem der Wert des Grundstücks sinkt, durch erhöhte Lärm- und Geruchsimmissionen etc., weitere Beispiele auf S. 85]). Die Belange sind keine öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, sodass eine dahingehende Konfliktlösung der Exekutive insoweit entzogen ist. Erst wenn die Exekutive durch die Genehmigung des Vorhabens in die Rechts- und Interessensphäre der Bürger eingreift, ist der Bereich des öffentlichen Rechts betroffen. Dies wird bei der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in der Regel aber noch nicht der Fall sein, da sie bereits vor der Stellung des Antrags erfolgen soll (§ 25 Abs. 3 S. 2 VwVfG) und damit das Verwaltungsverfahren noch nicht eröffnet ist (§ 22 S. 2 Nr. 2 VwVfG; hierzu S. 184 ff.). Dagegen spricht auch nicht der Einwand von Gard, dass es die Pflicht der Behörde sei, die Akzeptanz ihrer Entscheidungen zu fördern. Die Akzeptanzförderung wäre im Übrigen auch systemfremd. Das Vorhaben selbst ist Ausübung der grundrechtlich verbürgten Freiheiten. Dies kann und vor allem darf nicht von einer irgendwie gearteter weiterer Legitimation oder Rechtfertigung abhängig gemacht werden (hierzu ausführlich: Gmeiner, ZVR-Online Dok. Nr. 13/2018, Rn. 14 f.). Erst mit der Genehmigungserteilung tritt die Behörde hoheitlich und damit rechtfertigungsbedürftig der Öffentlichkeit entgegen. Sie kann sich höchstens für die Akzeptanz der Genehmigung stark machen, nicht hingegen der Akzeptanz des Vorhabens.Rn. 4
Zusammenfassend handelt es sich um ein höchst ausdifferenziertes Werk. Gard betrachtet die Regelung des § 25 Abs. 3 VwVfG aus den diversen Blickwinkeln der Beteiligten (Vorhabenträger, Behörde, Öffentlichkeit), der Durchführungsphasen und den damit verbundenen unterschiedlichen Interessen (z.B. Möglichkeiten des primären und sekundären Rechtschutzes des Vorhabenträgers und der Öffentlichkeit), sodass wohl jede in Betracht kommende Konstellation beleuchtet und ausführlich erläutert wird.Rn. 5