Skip to main content

VG Wiesbaden, Beschl. v. 22.05.2012 – 6 K 1374/11.WI –„Anspruch auf Überlassung von Rohdaten nach § 1 IFG“ ZVR-Online Dok. Nr. 43/2012 – online seit 18.09.2012

ZVR-Online Dok. Nr. 43/2012 – online seit 18.09.2012

§ 1 Abs.- 1 IFG, § 3 Nr. 4 IFG, § 5 IFG,§ 16 Abs. 1 BstatG, § 3 Abs. 1 BDSG

Leitsätze der Redaktion

1. Die mittels § 3 IFG geschützten speziellen Interessen begründen nur unter besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen ein Geheimhaltungsbedürfnis, das dem Anspruch auf Informationszugang entgegen gehalten werden kann.Rn. 1
2. Der Gesetzgeber hat sich bei der Ausgestaltung des § 3 Nr. 4 IFG an der hergebrachten Regelungssystematik in anderen Gesetzen orientiert und zwischen allgemeinen Verschwiegenheitspflichten auf der einen und einem zu wahrendem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis differenziert (vgl. z.B. § 1 Abs. 3 Satz 2 BDSG, § 23 Nr. 3 BVerfSchG). Diese allgemeinen Verschwiegenheitspflichten gelten absolut und sind einer Relativierung nicht zugänglich.Rn. 2
3. Basierend auf den im Rahmen der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008 erstellten Haushaltsbücher wurden Datenfiles angelegt. Bei diesen sog. „Rohdaten“ dürfte es sich gerade nicht mehr um Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse handeln, sondern um Daten, welche aus den Haushaltsbüchern zu den jeweiligen Fallgruppen genommen worden sind, ohne, dass dafür letztendlich eine statistische Auswertung erfolgte. Die Rohdaten wären insoweit statistische Daten, die nicht unter die Geheimhaltungspflicht des § 16 BStatG fallen. Insoweit besteht ein Anspruch nach § 1 IFG.Rn. 3

Gründe

I.

Der Kläger begehrt nach dem Informationsfreiheitsgesetz Kopien von rund 60.000 Haushaltsbüchern, die Gegenstand der EVS 2008 waren, ihm in anonymisierter Form zu überlassen. Hilfsweise begehrt der Kläger die im Rahmen EVS 2008 erhobenen Daten als Datenfiles in anonymisierter Form zur Verfügung zu stellen.Rn. 4
Der Kläger bezieht Leistungen nach dem 2. Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Da er die Regelsätze für Alleinstehende für verfassungswidrig hält, führt er mindestens 6 Verfahren bei dem Sozialgericht in D., welches bisher darüber noch nicht entschieden hat. Er beruft sich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 09.02.2010 (Az. 1 BvL1/09u.a.), nach der dem Gesetzgeber aufgegeben worden sei, bis spätestens zum 31.12.2010 die Regelleistungen für Erwachsene und Kinder gemäß dem SGB II transparent und nachvollziehbar zu bemessen. Zwar habe der Gesetzgeber die Regelsätze zwischenzeitlich mit Wirkung zum 01.01.2011 angepasst, sich dabei aber auf die Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008 berufen. Das Vorgehen des Gesetzgebers sei nicht transparent und nachvollziehbar. Insoweit begehre er die 60.000 Haushaltsbücher in der Form von Kopien oder Datenfiles zwecks umfassender und detaillierter Bewertung.Rn. 5
Hierzu wandte sich der Kläger zunächst an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, welches dem Kläger grundsätzlich Informationen zur Einkommens- und Verbraucherstichprobe mitteilte und diesem erklärte, dass die Daten dem Ministeriumvom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellt würden. Darauf beantragte der Kläger beim Statistischen Bundesamt mit Mail vom 11.01.2011 die Vorlage aller 60.000 Haushaltsbücher ohne Namensangabe und konkreten Wohnsitz zwecks Auswertung. Die Beklagtenseite lieferte daraufhin eine Vielzahl von Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008 zum Haushaltsbudget, privater Verbrauch nach Einzelcodes und der tiefsten Gliederung sowie weiteren Informationen. Darüber hinaus teilte man mit, warum die Einsicht bzw. Durchsicht in die Haushaltsbücher nicht möglich sei.Rn. 6
Erstmals mit Schriftsatz vom 25.08.2011 berief sich der Kläger auf das Informationsfreiheitsgesetz und bat um einen klagefähigen Bescheid. Mit Bescheid des Statistischen Bundesamtes vom 15.09.2011 wurde der Antrag abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass man dem Kläger erläutert habe, dass die für die EVS gesammelten, personenbezogenen Daten für Zwecke der amtlichen Statistik erhoben worden sein und somit dem Statistikgeheimnis nach § 16 Bundesstatistikgesetz (BStatG) unterliegen. Nach § 16 Abs. 2 BStatG dürften Daten, die dem Statistikgeheimnis unterfallen, auch in anonymisierter Form nur für die Durchführung wissenschaftlicher Vorhaben an Hochschulen oder sonstigen Einrichtungen unabhängiger Forschung übermittelt werden, wenn die Einzelangaben nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kosten undArbeitskraft zugeordnet werden könnten und die Empfänger Amtsträger bzw. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete nach § 16 Abs. 7 BStatG seien. Der Klägergehöre nicht zu diesem Personenkreis.Rn. 7
Eine Übersendung der 60.000 Haushaltsbücher und zuvor jeweils Name und Anschrift der Person zu entfernen, wäre keine ausreichende Anonymisierung undaußerdem nicht mit dem Bundesstatistikgesetz vereinbar. Mit Zusatzwissen könnten die Personen identifiziert werden. Darüber hinaus habe sich das Statistische Bundesamt gegenüber den Befragten verpflichtet, deren Einzelangaben geheim zuhalten. Diese Ausführungen seien dem Kläger bereits von der Zweigstelle Bonn mit Mail vom 25.01.2011 mitgeteilt worden.Rn. 8
Das IFG des Bundes gebe jedermann nach Maßgabe des Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Allerdings sei dieser Anspruch nicht schrankenlos, sondern an Voraussetzungen geknüpft. So sei z. B. der Zugang zu personenbezogenen Daten eingeschränkt, wie sich aus § 5 IFG ergebe. Hier sei zudem § 3 Ziff. 4 IFG zu beachten. § 3 Ziff. 4 IFG verwehre den Informationszugang u.a. dann, wenn ein besonderes Amtsgeheimnis der Informationsgewährung entgegenstehe. Dies sei vorliegend aufgrund der Beachtung und Wahrung des Statistikgeheimnisses nach § 16 Abs. 6 BstatG gegeben. Es sei ein entsprechendes Amtsgeheimnis.Rn. 9
Gegen den am 16.09.2011 abgesandten Bescheid legte der Kläger mit Fax vom 21.09.2011 Widerspruch ein. Er wies dabei darauf hin, dass er lediglich anonymisierte Daten begehre. Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass er keine Daten wie Namen und Anschrift benötige. Soweit Erfassungsmerkmale Personenidentifizierten, könne darauf verzichtet werden. Im Jahre 2010 habe es in Deutschland 40,3 Mio. Haushalte gegeben. 60.000 Haushalte würden somit weniger als 0,15 % der gesamten Menge entsprechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Haushalt ohne Wissen um Namen und Anschrift identifiziert werden könne, sei somit fast lächerlich. Die Daten der EVS seien nicht korrekt erhoben bzw. würden die Auswertungen aus politischen Gründen manipuliert. Ob das Statistische Bundesamt absichtlich, grob fahrlässig oder nur im vorauseilenden Gehorsam vor der Bundesregierung mitgewirkt habe, könne offen bleiben. Jedenfalls habe das Statistische Bundesamt es zugelassen, dass den Regelsatzberechnungen unbrauchbare Daten zugrunde gelegt würden, ohne dagegen öffentlich aufzuschreien. Die EVS-Daten würden die Lebenswirklichkeit der Menschen in Deutschland nicht wiederspiegeln.Rn. 10
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2011, zugestellt am 15.11.2011, wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass § 1 IFG einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nicht schrankenlos gewährleiste. Vielmehr zähle § 3 IFG eine Reihe von besonderen, öffentlichen Belangen auf, bei deren Vorliegen ein Anspruch auf Informationszugang nicht bestehe. Ein solcher Belang sei auch gegeben, wenn die Informationen einem Berufs- oder besonderem Amtsgeheimnis unterliegen (§ 3 Ziff. 4 letzte Alternative IFG). Ein besonderes Amtsgeheimnis stelle das Statistikgeheimnis nach § 16 Abs. 1 BStatG dar. Es handelt sich um Einzelangaben, die von Auskunftspflichtigen oder Befragten in Erfüllung der statistischen Auskunftspflicht oder bei der Erhebung ohne Auskunftspflicht freiwillig abgegeben würden. Die vorliegende Einkommens- und Verbraucherstichprobe sei eine alle 5 Jahre stattfindende Stichprobenerhebung, an der sich aufgrund der Werbemaßnahmen der Statistischen Landesämter und des Statistischen Bundesamtes Haushalte freiwillig beteiligten. Die in den Haushaltsbüchern von den teilnehmenden Haushalten gemachten Angaben unterlägen damit dem Statistikgeheimnis und dürften nicht herausgegeben werden. Selbst wenn man beiden begehrten Haushaltsbüchern eine Anonymisierung durchführen würde, dürften sie nicht zur Verfügung gestellt werden, da der Kläger nicht die Voraussetzungen des §16 Abs. 6 BStatG erfülle. Auch dürfte der Zugang zu personenbezogenen Daten nach § 5 Abs. 1 IFG nur gewährt werden, soweit das Informationsinteresse des Klägers das schutzwürdige Interesse des Dritten am Anschluss des Informationszugangs überwiege. Vorliegend müsse das Interesse der Teilnehmer der Einkommens- und Verbraucherstichprobe im Ausschluss des Informationszugangs überwiegen.Rn. 11
Der Widerspruchsbescheid wurde am 15.11.2011 zugestellt.Rn. 12
Mit Schriftsatz vom 11.12.2011 hat der Kläger Klage erhoben. Mit weiterem Schriftsatz vom selben Tage beantragte der Kläger, ihm Prozesskostenhilfe zugewähren.Rn. 13
Der Kläger stützt sich bei seinem Auskunftsbegehren darauf, dass der Gesetzgeber nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes die Berechnung der Regelsätze transparent und nachvollziehbar durchführen müsse. Jede Überprüfung des Regelsatzes hinsichtlich der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Grundsätze von Transparenz und Nachvollziehbarkeit scheitere aber schon daran, dass die Bundesregierung und das Statistische Bundesamt sich beharrlich weigerten, der interessierten Öffentlichkeit und damit auch dem Kläger dierund 60.000 Haushaltsbücher zwecks umfassender und detaillierter Auswertung offen zu legen, damit eine Kontrolle der Aufschreibung und Plausibilität und Richtigkeit möglich sei. Auch könne das Rechenwerk der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008 nicht auf Richtigkeit geprüft werden. Damit der Klägerdie notwendige Datenüberprüfung vornehmen könne, habe er um die notwendigen Unterlagen gebeten. Auch hätten die sog. Rohdaten der Einkommens- und Verbraucherstichproben 1998 und 2000 im 1. Senat des Bundesverfassungsgerichtes bei der zuvor erwähnten Entscheidung vorgelegen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht dem Kläger empfohlen habe, sich hinsichtlich des Bezugs der Rohdaten 2008 an die Beklagte zu wenden und er der Empfehlung des Bundesverfassungsgerichtes gefolgt sei, lehne die Beklagte trotz Übersendung einer Kopie des Schreibens des Bundesverfassungsgerichts vom 17.02.2011 sein Begehren ab.Rn. 14
Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 15.09.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.11.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Kopien der rund 60.000 Haushaltsbücher, die Gegenstand der EVS 2008 waren, in anonymisierter Form zu überlassen.

Hilfsweise: Die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die im Rahmen der EVS 2008 erhobenen Daten von rund 60.000 Haushaltsbüchern als Datenfiles – in anonymisierter Form – zur Verfügung zu stellen.
Rn. 15
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg habe, da §16 Abs. 1 BStatG dem entgegenstehe.Rn. 16

II.

Der zulässige Antrag auf Prozesskostenhilfe ist nur hinsichtlich des Hilfsantrages begründet, im Übrigen ist er unbegründet. Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO wird einem Kläger auf Antrag Prozesskostenhilfe bewilligt, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.Rn. 17
Vorliegend ist der Kläger zwar nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, jedoch bietet das mit dem Klageantrag verfolgte Begehren auf 60.000 Haushaltsbücher keine Aussicht auf Erfolg.Rn. 18
Dem Anspruch gemäß § 1 Abs. 1 IFG steht der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 4 IFG entgegen.Rn. 19
Die Ausschlusstatbestände des § 3 IFG dienen dem Schutz vielfältiger Interessen des Bundes und der Länder. Dieser Schutz ist von unterschiedlichen materiellen Anforderungen abhängig. So sind internationale Beziehungen (Nr. 1 Buchstabe a), militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr (Nr. 1Buchstabe b), Belange der inneren oder äußeren Sicherheit (Nr. 1 Buchstabe c),Kontroll- oder Aufsichtsaufgaben der Finanz-, Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden (Nr. 1 Buchstabe d), Angelegenheiten der externen Finanzkontrolle (Nr. 1 Buchstabe e) oder Maßnahmen zum Schutz unerlaubten Außenwirtschaftsverkehr (Nr. 1 Buchstabe f) geschützt, wenn das Bekanntwerdender Informationen nachhaltige Auswirkungen auf diese Interessen haben könnten. Die öffentliche Sicherheit ist geschützt, wenn sie durch das Bekanntwerden der Informationen gefährdet werden kann (Nr. 2). Die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen (Nr. 3 Buchstabe a) oder die Beratung von Behörden (Nr. 3 Buchstabe b) sowie fiskalische Interessen des Bundes im Wirtschaftsverkehr oder wirtschaftliche Interessen der Sozialversicherung (Nr. 6) sind geschützt, wenn sie durch das Bekanntwerden der Informationen beeinträchtigt werden. Diese speziellen Interessen begründen mithin nur unter besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen ein Geheimhaltungsbedürfnis, das dem Anspruch auf Informationszugang entgegen gehalten werden kann. Ein Anspruch besteht auch nicht, wenn die Informationen einer durch Rechtsvorschrift oder durch die allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen oder organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflichten oder einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegt. Damit hat der Gesetzgeber in § 3 Nr. 4 IFG abschließend festgelegt, wann die informationspflichtige Stelle einen Antrag auf Informationszugang ablehnen darf (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2009, Az. 7 C 21/08, Rdnr. 18 ff. nach juris).Rn. 20
§ 3 Nr. 4 IFG enthält eine vollständige Regelung. Die Norm regelt das Konkurrenzverhältnis zwischen dem Informationsfreiheitsgesetz und Vorschriften, die eine Geheimhaltungspflicht anordnen, sei es in Form von Berufsgeheimnissen, insbesondere Amtsgeheimnissen oder eben die Einstufung einer Information als Verschlusssache. Was nach anderen Vorschriften geheim gehalten werden muss, bleibt auch unter der Geltung des Informationsfreiheitsgesetzes geheim. Soweit § 3Nr. 4 IFG besondere Amtsgeheimnisse erwähnt, handelt es sich nicht um dynamische Verweisungen, beispielsweise auf das Statistikgesetz oder die Abgabenordnung, die solche besonderen Amtsgeheimnisse normieren (BVerwG, Urt. v. 29.10.2009, Az. 7C 21/08, Rdnr. 25 nach juris).Rn. 21
Damit hat der Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung des § 3 Nr. 4 IFG an der hergebrachten Regelungssystematik in anderen Gesetzen orientiert und zwischenallgemeinen Verschwiegenheitspflichten auf der einen und einem zu wahrendem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis differenziert (vgl. z.B. § 1 Abs. 3 Satz 2BDSG, § 23 Nr. 3 BVerfSchG). Zu den besonderen Amtsgeheimnissen zählen u.a. das Steuergeheimnis im Sinne des § 30 AO, das Sozialgeheimnis im Sinne des § 35SGB I, das Statistikgeheimnis im Sinne des § 16 Abs. 1 BStatG, das Meldegeheimnis im Sinne des § 5 Abs. 1 Melderechtsrahmengesetz sowie das Beratungsgeheimnis im Sinne des § 43 BRiG (VG Frankfurt, Urt. v. 17.06.2009, Az. 7 K 2282/08 m.w.N.).Rn. 22
Diese allgemeinen Verschwiegenheitspflichten gelten absolut und sind einer Relativierung nicht zugänglich. Anders als in § 8 und § 9 Umweltinformationsgesetz vom 22.12.2004 hat der Gesetzgeber es unterlassen, in das Informationsfreiheitsgesetz eine Abwägungsklausel aufzunehmen, nach der auch bei zu wahrenden schutzwürdigen öffentlichen und privaten Belangen ein Informationsanspruch besteht, sofern das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt (VG Frankfurt, Urt. v.17.06.2009, Az. 7 K 2282/08).Rn. 23
Bei der EVS 2008 handelt es sich um eine Statistik im Sinne des Bundesstatistikgesetzes. Die Einkommens- und Verbraucherstichprobe wird nachdem Gesetz über die Statistik der Wirtschaftsrechnungen privater Haushalte vom 11. Januar 1961 in 5-jährigen Abständen durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine rein freiwillige Erhebung, also eine solche ohne Auskunftspflicht. Erhoben werden von den teilnehmenden Haushalten die Einnahmen der Haushalte nach Quellen sowie der Verwendung der Einnahmen für den privaten Verbrauch (nach Art, Menge und Betrag), Steuern, Abgaben, Beiträge zur Sozialversicherung und zur privaten Versicherungen, Rückzahlungen von Schulden, Vermögensbildung und sonstige Zwecke.Rn. 24
Dass es bei einer nur ein freiwilligen Beteiligung zu einem nicht sehr repräsentativen Ergebnis kommt, konzedierte die Beklagte bereits in dem Gerichtsverfahren 6 E1367/06. Dies hat das Statistische Bundesamt jedoch nicht zu vertreten, sondern der Gesetzgeber. Dies insoweit, als er das Gesetz über die Statistik der Wirtschaftsrechnungen privater Haushalte, so wie geschehen, beschlossen hat. Der Gesetzgeber sieht dabei in seiner amtlichen Begründung selbst die Problematik der Statistik, wenn dort ausgeführt wird:Rn. 25
 
„Trotz dieser Beschränkungen auf die genannten Bevölkerungskreise und trotz der geringen Zahl der Beobachtungen (nur wenige 100 Haushalte werden laufend erfasst), bieten die bisherigen Ergebnisse wichtige Einblicke in die Verbraucherstruktur dieser Haushaltstypen. Mit ihrer Hilfe wird das Verbraucherschema für den Preisindex der Lebenshaltung aufgebaut undlaufend kontrolliert. Sie zeigen, für welche Zwecke die Einkommen verwendet worden sind, d.h., welcher Teil der Ausgaben dieser Haushaltstypen auf die Ernährung, Bekleidung, die Wohnungsmieten und auf andere Bedarfsgruppen entfällt. Diese Ergebnisse liefern dem Sozialpolitiker Grundlage für die Festsetzung und Änderung von Renten und Unterstützungssätzen und erlauben es, die Auswirkungen von Reformen auf diesem Gebiet zu beobachten. Sie dienen ferner als Grundlage für ernährungswissenschaftliche Untersuchungen und ermöglichen in bescheidenem Umfang auch einen Einblick in die Veränderung der Verbrauchergewohnheiten bei steigendem Einkommen.
 
Rn. 26
 
Die sehr schmale Grundlage der bisherigen Erhebungen und die damit notwendigen verbundenen Beschränkungen auf ausgewählte Haushaltstypen (nach Größe, Zusammensetzung und Einkommenshöhe) müsse in Kauf genommen werden, wenn Erhebungen laufend mit einem tragfähigen Aufwand an Arbeitskraft und Kosten durchgeführt werden sollen; sie lassen jedoch nicht zu, die für diese ausgewählten Gruppen gewonnenen Erkenntnisse zu verallgemeinern. Schlüsse auf die allgemeine Entwicklung der Lebenshaltungskosten in anderen Bevölkerungsschichten, als ein Bild der Nachfrage der Gesamtheit aller privater Haushalte, können auf dieser Basis nicht gewonnen werden. ...“

(BT Drs. 1623 vom 16.02.1960, A. Allgemeiner Teil, I. Zweck und Bedeutung der Erhebung, S. 4, www.destatis.de/DE/Methoden/Rechtsgrundlagen/Statistikbereiche/Wirtschaftsrechnungen/655_GEVS_LWR.pdf?__blob=publicationFile).
 
Rn. 27
Gemäß § 16 Abs. 1 BStatG sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse, die für eine Bundesstatistik gemacht werden, von den Amtsträgern und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, die mit der Durchführung von Bundesstatistiken betraut sind, geheim zu halten, soweit durch besondere Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmt ist. Dies gilt nicht für Einzelangaben, wenn sie dem Befragten oder Betroffenen nicht zugeordnet werden können.Rn. 28
Vorliegend können die Angaben in jedem Haushaltsbuch einer natürlichen Person zugeordnetwerden. Nach dem dem Gericht vorliegenden Muster-Exemplar des Haushaltsbuches „Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008/Haushaltsbuch“ sind in vielfältiger Weise personenbezogene Namen zur Personenzuordnung für die Stellung in der Familie, das Beschäftigungsverhältnis, für Einkommen und Ausgaben erforderlich. Damit sind in dem Haushaltsbuch an diversesten Stellen allein schon vom Namen her personenbezogene Daten im Sinne von § 3 Abs. 1 BDSG einzutragen. Darüber hinaus sind die von den Personen zu machenden Angaben teilweise so stark herunter gebrochen, dass auch von diesen Daten eine Personenbeziehbarkeit möglich ist. Nach alledem liegen personenbeziehbare Daten vor, welche im Rahmen eines Bundesstatistikgesetzes erhoben worden sind und darüber hinaus sind diese Daten personenbeziehbar. Damit ist der Fall des § 16Abs. 1 BStatG gegeben.Rn. 29
Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass nach § 16 Abs. 6 BStatG eine Übermittlung zur Durchführung wissenschaftlicher Vorhaben an Hochschulen oder sonstigen Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschungübermittelt werden könnten, wenn die Einzelangaben nur mit einem unverhältnismäßigem großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft zugeordnetwerden können und die Empfänger Amtsträger für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete oder Verpflichtete nach Abs. 7 sind, vermag das Gericht den Hinweisnicht zu verstehen. Denn auch nach dieser Vorschrift wäre eine Übermittlung der Haushaltsbücher unzulässig.Rn. 30
Insoweit kommt es auch auf die Frage einer Interessensabwägung zwischen dem schutzwürdigem Interesse derer, die die Haushaltsbücher ausgefüllt haben und dem des Klägers gemäß § 5 IFG nicht an. Denn § 5 IFG greift nur, wenn die Ausschlussklausel des § 3 IFG nicht greift, was vorliegend jedoch der Fall ist.Rn. 31
Insoweit ist entgegen den Ausführungen der Beklagten eine Weitergabe der Haushaltsbücher gemäß § 16 Abs. 6 BStatG auch nicht an wissenschaftliche Einrichtungen zulässig.Rn. 32
Hiervon zu trennen ist die Frage, ob der Kläger nach dem IFG einen Anspruch aufdie sog. „Rohdaten“ hat. Denn bei diesen Rohdaten dürfte es sich gerade nicht mehr über Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse handeln, sondern um Daten, welche aus den Haushaltsbüchern zu den jeweiligen Fallgruppen genommen worden sind, ohne, dass dafür letztendlich eine statistische Auswertung erfolgte. Die Rohdaten wären insoweit statistische Daten, die nicht unter die Geheimhaltungspflicht des § 16 BStatG fallen.Rn. 33
Diese hat der Kläger mit seinem nunmehr gestellten Hilfsantrag begehrt. Diese Daten unterliegen nicht § 16 BstatG, da es sich um statische – aggregierte – Daten und nicht um Einzelangaben handelt. Insoweit besteht ein Anspruch nach § 1 IFG.Rn. 34
Soweit die Beklagte auf die Verordnung (EG) Nr. 1177/2003 des EuropäischenParlaments und des Rates vom 16. Juni 2003 für die Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU–SILC, Amtsblatt EU Nr. L 165 S. 1) verweist sei auf Folgendes hingewiesen: Die Beklagte hat in der jeweiligen Ergänzung bis zum Jahre 2012 eine entsprechende Gemeinschaftsstatistik zuerstellen, die nach ihren eigenen Ausführungen auf einer freiwilligen Haushaltsbefragung beruhen (siehe Wirtschaftsrechnungen, Leben in Europa , Fachserie 15, Reihe 5 2009, S. 5). Dass diese Statistik auf der Basis einer freiwilligen Haushaltsbefragung durchgeführt wird - gleich der Statistik der Wirtschaftsrechnungen privater Haushalte -, vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen. Denn Ziel der Statistik ist es gemäß Art. 1 EU-SILC aktuelle Querschnittsdaten und Längsschnittsdaten über Einkommen sowie den Umfang und die Zusammensetzung von Armut und sozialer Ausgrenzung auf nationaler undeuropäischer Ebene zu erzielen. Dabei werden die privaten Haushalte mit alleinlebenden oder in Gruppen lebenden Personen, die in einer privaten Wohnungzusammen leben und sich die Ausgaben, insbesondere für ihren Lebensbedarfteilen, erfasst. Die Querschnittsdaten sind dabei durch eine Querschnittsstichprobenerhebung zu erfassen (Art. 2 g EU-SILC). Dabei müssen die Stichproben repräsentativ sein. Diese Repräsentativität ist – wie die Umsetzung des Gesetzes über die Statistik der Wirtschaftsrechnung privater Haushalte und der dazugehörigen amtlichen Begründung gerade zeigt - durch eine Freiwilligkeit nicht repräsentativ. Mithin dürfte die freiwillige, amtliche Haushaltsbefragung auch für diese Statistik mit der Verordnung nicht in Übereinstimmung zu bringen sein, dies mit der Folge, dass hier gegen EU-Recht verstoßen wird. Dies auch, wenn im Sinne des Klägers im Rahmen der EU-SILC-Statistik im Jahre 2009 festgestellt wurde, dass 15,6 % der Bevölkerung in Deutschland armutsgefährdet war und alleinlebende Personen nach der EU-Definition dann armutsgefährdetsind, wenn sie weniger als 11.278,-- € (oder 940,-- €) monatlich zum Leben haben

(www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/EinkommenKonsumLebensbedingungen/LebensbedingungenArmutsgefaehrdung/Aktuell_Hauptindikatoren_SILC.html?nn=50784).
Rn. 35
Insoweit kann der Kläger zwar vorliegend mit seiner Klage auf Einsicht in die Haushaltsbücher 2008 nicht durchdringen, jedoch erscheint die Klage bezogen auf die „Rohdaten“ begründet.Rn. 36
Soweit der Kläger sich durch das vorliegende Verfahren gegen die Höhe der Regelsätze wendet, sei noch darauf hingewiesen, dass das Sozialgericht Berlin mit Beschluss vom 25.04.2012, Az. S 55 AS 9238/12, eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht beschlossen hat zur Überprüfung der Frage, ob die Regelsätze weiterhin verfassungswidrig sind oder nicht.Rn. 37
Es wird Sache des von dem Kläger angerufenen Sozialgerichts sein zu prüfen, in wieweit die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 2 GG durch die derzeitige gesetzliche Lage gewährleistet wird oder nicht. Soweit Zweifel an einer transparenten und sachgerechten Darlegung der Ermittlung des Satzes bestehen, möge der Kläger beim Sozialgericht die Beteiligung des zuständigen Ministeriums fürArbeit und Sozialordnung beantragen und Beiziehung der Gesetzesvorgangsakten, aus denen sich die entsprechenden statistischen Daten und Angaben ohne Weiteres ergeben dürften. In diesem Zusammenhang hätte das Ministerium auch die Gelegenheit, die Frage der Transparenz und Sachgerechtheit zu erläutern. Zumindest hat das Statistische Bundesamt es nicht zu vertreten, wenn die schon in der amtlichen Begründung zum Ausdruck gebrachte, eingeschränkte Nutzbarkeit der Statistik von Seiten der Bundesregierung und des Bundesgesetzgebers für die ALG II-Bezieher zur Ermittlung des Regelsatzes heranzieht.Rn. 38
Wie das Gericht in einem früheren Verfahren schon ausgeführt hat, ist die Frage der Rechtmäßigkeit der Höhe des Regelsatzes nicht in einem Verwaltungsstreitverfahren gegen das Statistische Bundesamt zu klären, sondern vor den Sozialgerichten.Rn. 39
Soweit in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 09.02.2010, Az.1 BvL 1/09 u.a., eine Vollstreckungsanordnung für den Zeitraum bis zum Schließen einer verfassungswidrigen Lücke erlassen hat, hat darüber ebenfalls das Sozialgericht im Einzelfall zu entscheiden.Rn. 40