Skip to main content

VG Dresden, Beschl. v. 01.02.2013 – 6 L 35/13 – „Keine Verhinderungsblockaden gegen Nazis“

ZVR-Online Dok. Nr. 51/2013 – online seit 18.07.2013

Art. 8 GG, § 2 SächsVersG, § 15 Abs. 1 SächsVersG, § 22 SächsVersG

Leitsatz der Redaktion

Verhinderungsblockaden sind nicht grundrechtlich durch Art. 8 GG geschützt.Rn. 1

Gründe

I.

Der Antragsteller, vertreten durch … als Versammlungsleiter, beabsichtigt, am 2.2.2013 eine Versammlung auf dem Altmarkt in Dresden durchzuführen unter dem Thema „Innenstadttraining“. Die Antragsgegnerin bat um Konkretisierung des Themas unter Bezugnahme auf u.a. in der Mopo und Sächsischen Zeitung bereits im Januar 2013 erschienene Artikel, die darauf hinweisen, dass das … den Aufmarsch von sog. Rechten auch 2013 blockieren möchte, dafür sogar Trainings anbiete bzw. am Altmarkt eine Blockade trainieren wolle und verantwortlich sei für das Plakatieren von Aufrufen „Nicht lange fackeln – Nazis blockieren“. … teilte daraufhin mit, dass es „Ziel der angemeldeten Versammlung (sei), im öffentlichen Meinungsdiskurs bezüglich der Akzeptanz von Nazi-Demonstrationen und der Akzeptanz von Blockaden eine Meinungsäußerung in der Form der Darstellung einer Blockade als Aktionsform durchzuführen.“ Es solle dabei „nicht vorrangig um die tatsächliche Wissensvermittlung in Bezug auf Blockadehandlungen gehen“. Es solle aufgezeigt werden, dass eine Blockade als Form der Meinungsäußerung legitim sei. Dass die angemeldete Versammlung einen mobilisierenden Effekt haben könne, sei nicht vorrangiges Ziel der angemeldeten Veranstaltung.Rn. 2
Im Rahmen des Kooperationsgesprächs am 30.1.2013 teilte … des Antragstellers mit, dass es keine Trainingsmaßnahmen geben werde. Personen würden über ihre Erfahrungen bei zurückliegenden Blockaden berichten, es werde das kollektive Hinsetzen geübt, Informationen zur richtigen Bekleidung/Ausrüstung gegeben und wie man sich bei einer Blockade richtig verhalten solle.Rn. 3
Mit Bescheid vom 30.1.2012 beschränkte die Antragsgegnerin die vom Antragsteller angemeldete Versammlung in Ziffer 1 u.a. dahingehend, dass a) Probeblockaden jedweder Art und Rollenspiele bzw. szenische Darstellungen, deren Inhalt das probeweise Wegtragen von Versammlungsteilnehmern sei, die zu Übungszwecken eine Blockadesituation gegenüber einer nicht verbotenen Versammlung bzw. eines nicht verbotenen Aufzugs simulieren, sowie sonstige Aktionen, die Blockadeaktionen darstellen, untersagt sei. Dies gelte insbesondere auch für den Einsatz von Trainern für die beschriebenen Verhaltensweisen. Untersagt wurden des Weiteren unter Buchst. b) jegliche Aufforderungen, die auf die Verhinderung oder Blockade einer nicht verbotenen Versammlung bzw. eines nicht verbotenen Aufzugs gerichtet sind. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet sei. Es bestehe die konkrete Gefahr einer Verletzung von § 2 Abs. 2 SächsVersG. Die Versammlung des Antragstellers werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu genutzt werden bzw. einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leisten, dass der Aufzug des „rechtsextremistischen Lagers“ am 13. Februar 2013 ein weiteres Mal blockiert oder wesentlich beeinträchtigt werden könne. Der Antragsteller gehe irrig davon aus, dass Verhinderungsblockaden gegen rechtsextremistische Aufzüge legitim seien. Es erscheine wahrscheinlich, dass bei der Versammlung zur Blockade des genannten Aufzugs aufgerufen werde und die Versammlung damit selbst eine Straftat nach § 111 StGB darstellen könne.Rn. 4
Hiergegen hat der Antragsteller am 31.1.2013 Widerspruch eingelegt und zugleich den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.Rn. 5
Er trägt vor, probeweise dargestellte Blockadesituationen seien im erheblichen zeitlichen Vorfeld einer ggf. zu störenden Versammlung nicht verboten. Eine konkrete Gefahrenprognose liege nicht vor. Es müsse auch sein eigener Grundrechtsschutz berücksichtigt werden. Dass ihre eigene Versammlung Grundrechtsschutz genieße, ergebe sich aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.3.2011, Az. 1 BvR 388/05. Durch das Verbot des Darstellens einer Blockadesituation werde das Verbot eines Protestes weit im Vorfeld des angenommenen Anlasses begründet, bei dem nicht einmal abzusehen sei, ob sich der Protest zum Zeitpunkt nicht völlig gesetzeskonform verhalte. Es sei nicht einmal abzusehen, ob die an einer Probeblockade teilnehmenden Personen letztendlich vielleicht überhaupt nicht an Blockaden gegen Versammlungen von Rechten teilnehmen würden. Zum Verhalten solcher Personen angestellte Vermutungen würden nicht ausreichen zur Darstellung von Gefährdungslagen bei Auflagen. Das schauspielerische Einüben friedlichen Protestes sei im Gegensatz gerade geeignet, den Teilnehmenden ein fundiertes Wissen über Rechte und Pflichten im Umgang mit den eingesetzten Polizeibeamten zu vermitteln. Dieses Wissen habe in der Regel eine deeskalierende Wirkung. Angesichts des zeitlichen Abstands von fast zwei Wochen bestehe keine Nähe zu einem möglichen Schadenseintritt. Die Auflage sei darüber hinaus zu unbestimmt. Es bleibe unklar, welche Handlungen als bußgeldbewehrter Verstoß gegen eine versammlungsrechtliche Auflage anzusehen seien und Anlass zu einem Einschreiten der Polizei sein könnten. Auch ein im Stehen erfolgendes Unterhaken von mindestens zwei Personen würde dem Wortlaut nach einen Verstoß gegen die Auflage darstellen. Eine Strafbarkeit nach § 111 StGB liege nicht vor. Die Antragsgegnerin ignoriere die die Rechtsauffassung des OVG Münster in seinem Urteil vom 18.9.2012, Az. 5 A 1701/11, stützende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.Rn. 6
Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 31.1.2013 gegen Ziffer 1 des Auflagenbescheides der Antragsgegnerin vom 30.1.2013 herzustellen.
Rn. 7
Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.
Rn. 8
Sie hält an ihrer rechtlichen Einschätzung fest.Rn. 9
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.Rn. 10

II.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.Rn. 11
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die in Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 30.1.2013 getroffene Auflage wird nicht wieder hergestellt (§ 80 Abs. 5 VwGO). An der Rechtmäßigkeit der Auflage bestehen keine Zweifel.Rn. 12
Nach § 15 Abs. 1 SächsVersG kann die zuständige Behörde die Versammlung von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses des Bescheides erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Die in dieser Regelung angesprochenen Auflagen, die keine Nebenbestimmungen i.S.d. § 36 VwVfG, sondern eigenständige Regelungen sind, dienen dazu, Versammlungen und Aufzüge zu ermöglichen, die aus rechtlichen Gründen ansonsten nicht zugelassen werden könnten. Ihre Rechtmäßigkeit setzt voraus, dass sie zur Gefahrenbekämpfung geeignet, erforderlich und angemessen sind und mit der Rechtsordnung übereinstimmen.Rn. 13
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die vom Antragsteller angefochtene Auflage rechtmäßig.Rn. 14
Die vom Antragsteller angemeldete Versammlung ist in ihrer ursprünglich beabsichtigten Form geeignet, die öffentliche Sicherheit unmittelbar zu gefährden. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst die Summe aller Normen zum Schutz des Staates, seiner Einrichtungen und seiner Rechtsordnung. Hierzu zählen, wie die Antragsgegnerin zutreffend anführt, sowohl die Regelungen in § 2 Abs. 2 SächsVersG und in § 22 SächsVersG als auch das mit Strafe bewehrte Verbot, öffentlich oder in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat aufzufordern (§ 111 Abs. 1 StGB). Gemäß § 2 Abs. 2 SächsVersG hat bei öffentlichen Versammlungen und Aufzügen jedermann Störungen zu unterlassen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung zu verhindern. Gemäß § 22 SächsVersG wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, u.a. grobe Störungen verursacht.Rn. 15
Es sind hinreichende Anhaltspunkte festzustellen, die darauf hinweisen, dass der Antragsteller ein sog. Blockadetraining durchführen möchte als Vorbereitung für die beabsichtigte Blockade von Demonstrationen des rechten Lagers am 13.2.2013 bzw. zur Blockade derartiger Demonstrationen mobilisieren möchte. Dies ergibt sich aus den Aussagen des (Presse)Sprechers des Antragstellers im Rahmen des Kooperationsgespräches in Verbindung mit den zuvor abgegebenen Erklärungen im Rahmen einer Pressekonferenz des Antragstellers im Januar 2013, auf denen die Darstellungen in den dem Gericht vorliegenden Zeitungsartikeln beruhen dürften, und nicht zuletzt aus dem Internetauftritt des Antragstellers, der als Bündnis auch für das Verteilen von Plakaten/Aufklebern mit dem Aufruf zur Blockade verantwortlich zeichnet. Ziel des Antragstellers ist es, möglichst viele Dresdner zu mobilisieren, rechte Versammlungen am 13.2.2013 flächendeckend und dauerhaft zu blockieren. Zu diesem Zweck wurden vom Antragsteller bei den jährlichen Demonstrationsgeschehen im Februar in den vergangenen Jahren Blockadeteilnehmern mehrere Anlaufpunkte in der Innenstadt Dresdens benannt, die gleichzeitig besetzt werden sollten, um eine hinreichende Gewähr dafür zu haben, die Laufstrecke des Aufzugs des anderen Lagers rechtzeitig zu erreichen bzw. möglichst sich bereits auf der Strecke zu versammeln. Damit soll erreicht werden, dass das rechte Lager in Dresden künftig nicht mehr demonstriert, weil es sein Demonstrationsrecht nicht mehr tatsächlich ausüben und durchsetzen kann. Insofern ist bereits der Name des Antragstellers „Programm“.Rn. 16
Der Antragsteller geht irrig davon aus, dass Blockaden in der von ihm beabsichtigten Form rechtlich zulässig seien. Die Blockaden, die der Antragsteller anstrebt und zu denen er aufruft, sind nicht grundrechtlich durch Art. 8 GG geschützt. Der Antragsteller kann sich insofern nicht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berufen, wonach Sitzblockaden eine Ausdrucksform zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung sind, die den Schutz des Art. 8 GG nicht schon dann verlieren, wenn es zu, auch gewollten, Behinderungen Dritter kommt (Stattgebender Kammerbeschluss vom 7.3.2011, Az. 1 BvR 388/05, zit. nach juris). Denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verhält sich nicht zu den vom Antragsteller angestrebten „Verhinderungsblockaden“. Deren Ziel ist nicht nur die gewollte Behinderung anderer Versammlungen, sondern deren Verhinderung. Selbst in dem vom Antragsteller herangezogenen – in weiten Teilen nicht verständlichen – Urteil des OVG Münster vom 18.9.2012, Az. 5 A 1701/11 (zit. nach Juris), wird u.a. ausgeführt, dass eine angestrebte friedliche Blockade sich (nur) dann nicht als grobe Störung im Sinne von (dort) § 21 VersammlG NW darstellt, solange sie lediglich von begrenzter Dauer ist oder ein Ausweichen der anderen Demonstranten möglich ist (vgl. RdNr. 73). Im hier vorliegenden Fall strebt der Antragsteller im Rahmen des Demonstrationsgeschehens am 13.2.2013 dagegen an, die Aufzugstrecke des rechten Lagers umfänglich und dauerhaft zu blockieren. Sobald eine Ausweichstrecke bekannt wird, so zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre, wird diese Strecke zu Blockadezwecken vom Antragsteller über das Internet (teilweise auch Handy) bekannt gemacht und angestrebt. Für die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedarf es insoweit auch nicht eines Abwartens, ob die Blockade am 13.2.2013 erfolgreich sein wird und/oder dem rechten Lager ein Ausweichen ggf. über eine andere Strecke möglich sein wird. Darin läge nämlich bereits der Eintritt einer Störung der öffentlichen Sicherheit, dem durch die Gefahrenprognose des § 15 Abs. 1 SächsVersG gerade vorgebeugt werden soll. In den vergangenen Jahren, so auch 2012, wurden vermehrt Aufzüge des rechten Lagers, die im Zusammenhang mit der Erinnerung an die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 stehen, durch Blockadeaktionen verhindert. Der Antragsteller ruft – nach Kenntnis der Kammer als einzige Vereinigung – auch in diesem Jahr durch öffentliche Plakataktionen im Dresdner Stadtgebiet zu Blockadeaktionen auf und bereitet diese auch durch Trainingsangebote vor, die nicht im öffentlichen Raum stattfinden (Chemiefabrik, Keller unter der Trinitatiskirche).Rn. 17
Unter diesen Umständen ist die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass es bei der am 2.2.2013 beabsichtigten Kundgebung „Innenstadttraining“ durch Blockadeübungen und Aufforderungen zur Teilnahme an Blockaden zur Verhinderung einer in naher Zukunft stattfindenden, nicht verbotenen Versammlung kommen könnte, gut nachvollziehbar dargelegt. Die vom Antragsteller beanstandete Auflage ist demnach zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowohl am 2.2.2013 als auch bei dem weiteren Demonstrationsgeschehen im Februar 2013 als milderes Mittel zu dem sich ansonsten aufdrängenden Verbot der Veranstaltung gerechtfertigt (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 28.7.2011, Az. 11 LA 101/11).Rn. 18
Die Auflage ist auch dem Wortlaut nach nicht zu unbestimmt. Soweit der Antragstellervertreter die Frage aufwirft, ob von dem Begriff „Probeblockaden“ auch ein Unterhaken im Stehen erfasst wird, ist dies ohne Weiteres zu bejahen, wenn es Blockadezwecken dienen soll. Es sind danach Probeblockaden jedweder Art untersagt. Allerdings wird in der Realität als wirksames Mittel regelmäßig die sog. Sitzblockade im Vordergrund stehen, weil eine stehende Blockadegruppe keine wirksame längerfristige Blockade durchführen kann.Rn. 19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.Rn. 20
Die Streitwertfestsetzung in Höhe von 5.000,- € folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Im Hinblick darauf, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers bei dem unmittelbaren zeitlichen Bevorstehen der Demonstration die Entscheidung in der Hauptsache im Ergebnis vorwegnimmt, war der Regelstreitwert nicht - wie sonst im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes üblich - zu halbieren.Rn. 21