VG Köln, Urt. v. 04.07.2013 – 13 K 5751/12 – „Kein Recht auf Herausgabe von Notrufaufzeichnungen“
ZVR-Online Dok. Nr. 55/2013 – online seit 09.09.2013
§ 2 Abs. 2 IFG NRW, § 4 Abs. 2 IFG NRW, § 6 IFG, § 4 Abs. 1 PresseG NRW
Leitsätze der Redaktion
1. Der Gesamte Bereich der Strafverfolgungstätigkeit ist dem Anwendungsbereich des IFG NRW entzogen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Polizeibeamte im Rahmen der Strafverfolgung als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft gem. § 152 Abs. 1 GVG tätig werden. | Rn. 1 |
2. Eine Einsichtnahme von Notrufaufzeichnungen, die zum Zwecke der Strafverfolgung aufbewahrt werden, ist nach Maßgabe des IFG NRW nicht möglich. | Rn. 2 |
3. Der Anwendungsbereich des IFG NRW ist hingegen dann eröffnet, wenn Polizeibeamte präventiv zur Gefahrenabwehr tätig werden. | Rn. 3 |
Tatbestand
Der Kläger ist Journalist und verlangt vom Polizeipräsidium Köln, die Tonbandaufzeichnungen von zwei Notrufen herauszugeben, mit denen sich der damals 17jährige T. E. am Abend des 27. August 2012 kurz vor seinem Tod an die Polizei gewandt hatte. | Rn. 4 |
Nach den Angaben in der vom Beklagten am 28. August 2012 herausgegebenen Pressemitteilung erkundigte sich dieser beim ersten Anruf, was er tun solle, wenn jemand gleich seine Tür eintreten und ihn zusammenschlagen wolle. Der Polizeibeamte habe ihm geraten, in diesem Fall sofort den Notruf zu wählen. Ca. eine Stunde später habe er erneut angerufen und mitgeteilt, dass jemand versuche, gewaltsam in seine Wohnung einzudringen. Noch vor Eintreffen der ersten Einsatzkräfte kam es in der im 4. Stock befindlichen Wohnung von T. E. zu einer Explosion, in deren Folge er aus dem Fenster geschleudert wurde und noch vor Ort verstarb. Der mutmaßliche Täter, der Vater der Freundin des Opfers, wurde noch am Einsatzort festgenommen. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes eingeleitet. | Rn. 5 |
Mit Schreiben vom 29. August 2012 beantragte der Kläger, ihm eine Ton-Kopie oder Tonbandabschrift der Notrufaufzeichnungen zu überlassen. Das Polizeipräsidium lehnte die Veröffentlichung einer Tonbandkopie oder einer Abschrift mit Blick auf das laufende Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den mutmaßlichen Täter und den Schutz der Privatsphäre des Opfers ab. | Rn. 6 |
Nachdem sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 13. September 2012 – 13 L 1121/12 – abgelehnt worden war, hat der Kläger am 4. Oktober 2012 Klage erhoben. Er macht geltend, der Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) sei eröffnet. Der Kläger könne sich sowohl auf das Landespressegesetz als auch auf das IFG NRW berufen. Die Polizeibeamten seien bei der Entgegennahme der Notrufe nicht als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, sondern im Rahmen der Gefahrenabwehr tätig geworden. Die Regelungen der §§ 475 ff. StPO gälten nur für die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft, nicht für Informationen, die sich zugleich in Verwaltungsvorgängen der Polizei befänden. | Rn. 7 |
Der Informationszugang sei vorliegend auch nicht nach § 6 lit. a IFG NRW ausgeschlossen. Der Beklagte müsse anhand einer auf Tatsachen gegründeten Prognose konkret darlegen, warum das Bekanntwerden der Information die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft beeinträchtigen würde. Da die Tonbandmitschnitte mittlerweile im Rahmen des Strafverfahrens in einer öffentlichen Verhandlung vorgespielt worden seien, verfingen die diesbezüglichen Einwände des Beklagten nicht mehr. Der Schutzbereich des § 6 lit. a IFG NRW könne nicht weitergehen als derjenige des § 353d Nr. 3 StGB. In jedem Fall sei die Abwägung des Beklagten ermessensfehlerhaft, weil er nicht berücksichtige, dass er – der Kläger – die Aufzeichnungen nicht veröffentlichen wolle, sondern nur für seine Recherche, ob die Polizei sich korrekt verhalten habe, benötige. | Rn. 8 |
Der Informationszugang könne auch nicht aufgrund von § 9 Abs. 1 IFG NRW verweigert werden. Diese Vorschrift beziehe sich nach Wortlaut und Systematik ebenso wie die Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes lediglich auf personenbezogene Daten lebender Personen, da nach der Gesetzesbegründung hiermit das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschützt werden solle, das nur lebenden Personen zustehe. Personenbezogene Daten der Polizeibeamten seien nicht betroffen, da sie anhand ihrer Namen und ihrer Stimmen nicht identifiziert werden könnten. Im Übrigen überwiege insoweit das Informationsinteresse der Presse, da die Tonbandaufnahmen keinen privaten Inhalt hätten, sondern nur die dienstliche Tätigkeit beträfen. | Rn. 9 |
Der Informationsanspruch folge daneben auch aus § 4 Abs. 1 des Landespressegesetzes, der hier ausnahmsweise auch einen Anspruch auf Zugang zur Primärquelle gewähre. Es bestehe zudem ein unmittelbarer Auskunftsanspruch aus Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, da der Kläger nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Vertreter der Presse ein Recht auf Informationen habe, welche die Allgemeinheit beträfen. | Rn. 10 |
Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Ton-Kopie der Notrufe von T. E. vom 27. August 2012, getätigt um 20.18 Uhr und 21.08 Uhr, zu überlassen, hilfsweise eine Abschrift der Notrufe von T. E. vom 27. August 2012, getätigt um 20.18 Uhr und 21.08 Uhr, zu überlassen, hilfsweise dem Beklagten aufzugeben, ihm Auskunft über den Wortlaut der Anrufe zu erteilen. | Rn. 11 |
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. | Rn. 12 |
Der Beklagte macht geltend, mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens seien beide Tonbänder Bestandteile der Ermittlungsakte geworden, so dass die Anwendung des IFG NRW nach § 2 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen sei. Die Akteneinsicht richte sich allein nach §§ 475 ff. StPO, die Polizei dürfe sich insoweit nicht über die Weisung der für die Gewährung der Akteneinsicht zuständigen Staatsanwaltschaft hinwegsetzen. Die Polizeibeamten seien bereits anlässlich des zweiten Notrufs auch strafverfolgend tätig geworden. Die Staatsanwaltschaft Köln habe mitgeteilt, dass sie die Überlassung von Notrufmitschnitten oder -abschriften weiter ablehne. Das Polizeipräsidium sei daran gebunden. | Rn. 13 |
Der Informationszugang sei zudem nach § 6 lit. a IFG NRW ausgeschlossen. Nach der überzeugenden Wertung der Staatsanwaltschaft sei der Inhalt der Tonbänder von erheblicher Bedeutung für die Aufklärung und strafrechtliche Bewertung des Geschehens. Die Durchführung des Strafverfahrens würde durch eine Veröffentlichung der Tonbänder beeinträchtigt. Es müsse verhindert werden, dass die Schriftstücke eines Strafverfahrens durch gezielte öffentliche Bekanntgabe vorzeitig zum Gegenstand öffentlicher Diskussion würden. Der mutmaßliche Täter sei durch Urteil des Landgerichts Köln vom 15. April 2013 wegen Mordes und Brandstiftung mit Todesfolge zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Gegen dieses Urteil habe er Revision eingelegt, die Entscheidung des Strafgerichts sei also nicht rechtskräftig. Die Notrufaufzeichnungen seien wesentliche Beweismittel in dem noch anhängigen Strafverfahren. Die Tonbandaufnahmen seien im Rahmen der Beweisaufnahme abgespielt und dem Angeklagten vorgehalten worden. Der Inhalt der beiden Tonbandmitschnitte lasse im Zusammenspiel mit weiteren Beweismitteln Rückschlüsse darauf zu, ob der Angeklagte die Tat angekündigt, geplant und wie gewollt durchgeführt habe. Das Aussageverhalten des Angeklagten sowie die Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit der Verfahrensbeteiligten könnten beeinflusst werden, wenn der Inhalt der Tonbänder zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen würde. | Rn. 14 |
Für die Bewertung spiele es keine Rolle, ob der Kläger die Tonbänder veröffentlichen oder lediglich zur Recherche nutzen wolle. Der Beklagte habe keinen Einfluss auf die weitere Verwendung der Informationen durch den Kläger. Im Übrigen sei davon auszugehen, dass der Kläger den Inhalt der Bänder auch veröffentlichen wolle. | Rn. 15 |
Dem Informationszugang stehe zudem § 9 Abs. 1 IFG NRW entgegen. Die Tonbänder enthielten personenbezogene Daten von T. E. und den Polizeibeamten sowie derjenigen Personen, über die in den Telefonaten gesprochen worden sei, nämlich den vermeintlichen Täter und die Freundin von Herrn E. . Die personenbezogenen Daten des Verstorbenen blieben auch nach seinem Tod schützenswert. Einwilligungen zur Offenbarung der Daten lägen nicht vor. Die Bedeutung der Pressefreiheit überwiege nicht die schützenswerten Interessen der Betroffenen. | Rn. 16 |
Die Aufzeichnung und Speicherung von Notrufen sei außerdem nur in den Grenzen des § 24 Abs. 5 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) und nur zu den dort genannten Zwecken zulässig. Ein darüber hinausgehender Eingriff in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis sei nicht gerechtfertigt. Wenn der Polizei die weitere Nutzung nur unter den engen Voraussetzungen des § 24 Abs. 5 PolG NRW gestattet sei und eine Löschung der Aufzeichnung zu erfolgen habe, wenn sie nicht zur Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr benötigt werde, sei auch die Weitergabe der Daten an diese Zwecke gebunden. Die Vorschriften des Polizeigesetzes und des Telekommunikationsgesetzes gingen dem Informationsfreiheitsgesetz insoweit vor. | Rn. 17 |
Der presserechtliche Auskunftsanspruch sei dementsprechend ebenfalls wegen der entgegenstehenden öffentlichen und privaten Belange nach § 4 Abs. 2 des Landespressegesetzes ausgeschlossen. Im Übrigen habe die Staatsanwaltschaft die Presse ausführlich über den Inhalt der streitgegenständlichen Notrufe unterrichtet. | Rn. 18 |
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses und des gerichtlichen Eilverfahrens (13 L 1121/12) sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen. | Rn. 19 |
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist mit dem Hauptantrag und beiden Hilfsanträgen unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, eine Ton-Kopie oder Abschrift der Notrufaufzeichnungen überlassen zu bekommen oder den Wortlaut der Anrufe zu erfahren, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. | Rn. 20 |
I. Der Kläger hat vorliegend keinen Anspruch auf Informationszugang gemäß § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW) vom 27. November 2001 (GV. NRW. S. 806), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 8. Dezember 2009 (GV. NRW. S. 765). | Rn. 21 |
1. Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen ist vorliegend nicht anwendbar. | Rn. 22 |
a. Die Anwendbarkeit des IFG NRW ist nicht bereits nach § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen, weil der Kläger sich als Journalist auf das Pressegesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Landespressegesetz – PresseG NRW) vom 24. Mai 1966 (GV. NRW. 1966, 340), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 18. November 2008 (GV. NRW. S. 706) berufen kann. Der auf Vertreter der Presse beschränkte presserechtliche Auskunftsanspruch hindert einen Journalisten nicht daran, wie jede andere natürliche Person einen Anspruch auf Informationszugang gemäß § 4 Abs. 1 IFG NRW geltend zu machen. Der presserechtliche Auskunftsanspruch soll die Vertreter der Presse nicht einer abschließenden Sonderregelung unterwerfen, sondern sie gegenüber sonstigen Auskunftssuchenden privilegieren. Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 9. Februar 2012 – 5 A 166/10 –, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2012, 902 (903 f.); Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 15. November 2012 – 7 C 1.12 –, NVwZ 2013, 431 (434)). | Rn. 23 |
b. Die streitgegenständlichen Informationen sind jedoch gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen. | Rn. 24 |
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW gilt das Gesetz für die Behörden der Staatsanwaltschaft nur, soweit sie Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Der gesamte Bereich der Strafverfolgungstätigkeit soll dem Anwendungsbereich des Gesetzes demnach entzogen sein. Der Begriff „Behörden der Staatsanwaltschaft“ im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ist in einem funktionellen Sinne zu verstehen und erfasst auch die Polizei, sofern sie repressiv, also zur Verfolgung und Aufklärung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach § 163 StPO und § 53 OWiG tätig wird. Werden Polizeibeamte im Rahmen der Strafverfolgung tätig, sind sie als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft gemäß § 152 Abs. 1 GVG an die Weisungen der Staatsanwaltschaft gebunden; sie sind „verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft“. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Oktober 2010 – 8 A 875/09 –, juris, Rn. 41 ff. m.w.N. | Rn. 25 |
Der Anwendungsbereich des IFG NRW ist dagegen eröffnet, soweit die Polizeibeamten präventiv zur Gefahrenabwehr tätig werden. Für die Abgrenzung zwischen repressiver und präventiver Tätigkeit ist das tatsächliche Handeln der Beamten vor Ort aus Sicht eines objektiven Dritten entscheidend, wobei bei zeitlich einheitlichen Handlungen, die sowohl repressive als auch präventive Zielrichtungen verfolgen, auf den Schwerpunkt der Handlung abzustellen ist. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Oktober 2010 – 8 A 875/09 –, juris, Rn. 64. | Rn. 26 |
Bei der Entgegennahme der Notrufe und dem anschließenden Polizeieinsatz stand vorliegend zunächst der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr im Vordergrund. Dies änderte sich jedoch, nachdem die Polizeibeamten feststellen mussten, dass T. E. nicht mehr gerettet werden konnte. Ab diesem Zeitpunkt lag nicht nur der Schwerpunkt der weiteren Polizeiarbeit – Festnahme des mutmaßlichen Täters, Sicherung von Beweismitteln – im Bereich der Strafverfolgung, sondern auch die Aufbewahrung der beiden Notrufmitschnitte erfolgte nunmehr ganz überwiegend zu diesem Zweck. Als Bestandteil der Ermittlungsakte sind die Tonbandaufzeichnungen seitdem dem Anwendungsbereich des IFG NRW entzogen. Über die Erteilung von Auskünften und die Akteneinsicht hat nach §§ 475 ff. StPO nunmehr die Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Bei der Aufbewahrung von Informationen, die sowohl die polizeiliche Ermittlungstätigkeit als auch die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben im Sinne von § 2 Abs. 1 IFG NRW betreffen, ist nicht fiktiv von einer doppelten Aktenführung auszugehen, sondern sind die Informationen einheitlich dem Bereich zuzuordnen, der im Vordergrund der polizeilichen Tätigkeit steht. Dies ist hier spätestens seit dem Tod des T. E. der Bereich der Strafverfolgung, der nach § 2 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen ist. | Rn. 27 |
2. Der Informationszugang wäre im Übrigen auch gemäß § 6 lit. a IFG NRW ausgeschlossen, da das Bekanntwerden der Informationen die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft beeinträchtigen würde. | Rn. 28 |
Zur Tätigkeit der Staatsanwaltschaft gehört auch die Vertretung der Anklage im gerichtlichen Verfahren. § 6 lit. a IFG NRW schützt dementsprechend nicht nur die ordnungsgemäße Durchführung des Ermittlungsverfahrens, sondern auch nach Anklageerhebung den störungsfreien Ablauf des Strafverfahrens vor Gericht. Wenn der Inhalt der Notrufaufzeichnungen veröffentlicht würde, stände vorliegend zu befürchten, dass das Aussageverhalten des Angeklagten und der Zeugen beeinflusst würde und damit die sachgemäße Aufklärung des Geschehens erschwert würde. Der Beklagte hat substantiiert dargelegt, dass die Notrufe, die etwa eine Stunde und unmittelbar vor der Tat erfolgt sind, Rückschlüsse auf das Tatmotiv und den Tathergang zulassen und erheblich dazu beigetragen haben, Zeugenaussagen zu verifizieren und Einlassungen des Angeklagten zu widerlegen. | Rn. 29 |
Entgegen der Auffassung des Klägers sind nachteilige Auswirkungen auf das gerichtliche Verfahren nicht deshalb auszuschließen, weil die Tonbänder bereits im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Köln abgespielt worden sind und der Angeklagte in erster Instanz wegen Mordes verurteilt worden ist. Das Verfahren ist bislang nicht rechtskräftig abgeschlossen, eine erfolgreiche Revision des Angeklagten könnte zu einer erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme führen. Die Tonbänder sind zwar in öffentlicher Verhandlung abgespielt worden, so dass auch eine Presseberichterstattung über deren Inhalt möglich gewesen wäre und der sachgemäßen Durchführung des weiteren Verfahrens nicht entgegengestanden hätte. Doch ist das Abspielen der Tonbänder in der Hauptverhandlung nicht mit einer Veröffentlichung des genauen Wortlauts gleichzusetzen. Ein Zeuge, der den Wortlaut der Notrufe in der Zeitung nachlesen kann, wird in seinem künftigen Aussageverhalten anders beeinflusst als ein Zeuge, der die Notrufaufzeichnungen möglicherweise nach seiner Aussage nur im Gerichtssaal gehört hat. Der öffentliche Druck auf den Angeklagten würde ebenfalls deutlich steigen, insbesondere wenn zusätzlich eine Ton-Kopie der wohl letzten Worte des Verstorbenen über das Internet oder den Rundfunk verbreitet würde. Die Beteiligung und Unterrichtung der Öffentlichkeit vollzieht sich in Gerichtsverfahren nach Regeln und in Formen, die der Art des Verfahrens in besonderer Weise angepasst sind. Der freie Zugang zu Informationen, die nach der StPO nicht öffentlich sind, kann zu einer Veränderung der Verfahrensposition der Beteiligten sowie zu Einwirkungen auf die Beweislage führen. Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1999 – 7 C 32.98 –, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 110, 17 (24). | Rn. 30 |
Dies gilt vorliegend in besonderem Maße, da den beiden Tonbandmitschnitten erhebliche Bedeutung als Beweismittel zukommt. Solange das Strafverfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, würde ein weiteres Bekanntwerden der Tonbandinhalte, die bereits im Rahmen der Hauptverhandlung erörtert worden sind, daher weiterhin den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf und die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft beeinträchtigen. | Rn. 31 |
Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es nicht darauf an, ob er die Tonbandabschriften veröffentlichen möchte. Ob das Bekanntwerden bestimmter Informationen die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft beeinträchtigen würde, hängt nicht von der Person des konkreten Antragstellers und seinen Absichten bezüglich der Verwendung dieser Informationen ab. Insoweit sind alle in Betracht kommenden Möglichkeiten zu berücksichtigen, die einmal aus der Hand gegebenen Informationen zu nutzen. Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 – 7 C 22.08 –, NVwZ 2010, 321 (322); OVG NRW, Urteil vom 19. März 2013 – 8 A 1172/11 –, juris, Rn. 80 (jeweils zum Informationsfreiheitsgesetz des Bundes). | Rn. 32 |
Es kann daher vorliegend dahinstehen, ob sonstige Belange der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von § 6 lit. a IFG NRW oder der Schutz personenbezogener Daten nach § 9 IFG NRW dem Informationszugang ebenfalls entgegenstehen würden. | Rn. 33 |
II. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 4 Abs. 1 PresseG NRW. Dabei kann vorliegend unentschieden bleiben, ob sich der presserechtliche Auskunftsanspruch hier ausnahmsweise unter vollständiger Reduzierung des der Behörde insoweit zustehenden Auswahlermessens zu einem Anspruch auf eine bestimmte Form der Auskunft verdichten könnte, so dass gegebenenfalls auch eine Ton-Kopie oder eine Abschrift der Notrufe zu überlassen oder Auskunft über den Wortlaut der Notrufe zu erteilen wäre. Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 13. März 2013 – 5 A 1293/11 –; VG Düsseldorf, Beschluss vom 4. August 2010 – 26 L 1223/10 –; VG Dresden, Beschluss vom 7. Mai 2009 – 5 L 42/09 –, jeweils abrufbar bei juris. | Rn. 34 |
Ein dahingehender Auskunftsanspruch ist nämlich unabhängig davon nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 PresseG NRW ausgeschlossen, da durch die begehrte Auskunft die sachgemäße Durchführung des schwebenden strafgerichtlichen Verfahrens gefährdet würde. Insoweit gelten die obigen Ausführungen zu § 6 lit. a IFG NRW entsprechend. | Rn. 35 |
Zudem stehen der Auskunftserteilung nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 PresseG NRW die schutzwürdigen privaten Interessen des Verstorbenen entgegen. Der Anrufer einer Notrufnummer bemüht sich zwar darum, Aufmerksamkeit und Hilfe zu erlangen. Es liegt aber regelmäßig nicht in seinem Interesse, dass das am Telefon gesprochene Wort nachträglich jedermann zugänglich gemacht wird. Dies gilt insbesondere für den Inhalt eines Notrufs, den er in womöglich höchster Anspannung kurz vor seinem Tod getätigt hat. Es stellt auch für die Angehörigen des Verstorbenen eine zusätzliche Belastung dar, wenn allgemein bekannt und diskutiert würde, was er in der letzten Stunde vor seinem Tod gesagt oder getan hat. Durch die Auskunftserteilung würden daher auch ihre schutzwürdigen Interessen verletzt werden. | Rn. 36 |
Die Entscheidung des Beklagten, im Rahmen der Pressemitteilung vom 28. August 2012 in allgemeiner Form über den Inhalt der Notrufe zu berichten, ohne den genauen Wortlaut der Anrufe wiederzugeben, ist daher auch unter Berücksichtigung des hohen Werts der grundrechtlich geschützten Pressefreiheit und des öffentlichen Interesses an einer kritischen Berichterstattung über die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung nicht zu beanstanden. | Rn. 37 |
III. Auch Art. 10 Abs. 1 Satz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S. 686) – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – vermittelt dem Kläger keinen Anspruch auf den gewünschten Informationszugang. Diese Vorschrift untersagt einem Konventionsstaat, eine Person am Empfang von Informationen Dritter zu hindern. Sie kann jedoch grundsätzlich nicht so verstanden werden, dass sie dem Staat die Pflicht auferlegt, Informationen zu geben. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. März 2013 – 5 A 1293/11 –, juris, Rn. 83; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Urteil vom 19. Oktober 2005 - 32555/96 -, Neue Juristische Online-Zeitschrift (NJOZ) 2007, 865 (872); Urteil vom 19. Februar 1998 - 14967/89 -, NVwZ 1999, 57 (58); Schoch, IFG, Einl. Rn. 98. | Rn. 38 |
Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn der Staat in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse über ein Informationsmonopol verfügt oder eine Informationsquelle aus anderen rechtlichen Gründen zur öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist. Selbst dann verbietet Art. 10 EMRK allerdings lediglich eine willkürliche zensurähnliche Verhinderung des Informationszugangs, die eine angemessene Presseberichterstattung unmöglich macht. Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. März 2013 – 5 A 1293/11 –, juris, Rn. 85; EGMR, Urteil vom 13. März 2012 - 44585/10 -, NJW 2013, 521 (522); Urteil vom 14. April 2009 - 37374/05 -, Rn. 26 ff. | Rn. 39 |
Davon kann vorliegend keine Rede sein. Der Beklagte hat die Belange der Presse angemessen berücksichtigt und die Überlassung der begehrten Informationen in Übereinstimmung mit den Vorgaben des IFG NRW und des PresseG NRW unter anderem deshalb abgelehnt, weil die Tonbandaufzeichnungen Bestandteil der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte sind und ihr Bekanntwerden die sachgemäße Durchführung des Strafverfahrens beeinträchtigen würde. Eine angemessene Presseberichterstattung über den Vorfall am 27. August 2012 und das sich anschließende Strafverfahren gegen den mutmaßlichen Täter war zudem auch ohne die Überlassung der begehrten Informationen möglich. | Rn. 40 |
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. | Rn. 41 |
Die Voraussetzungen der §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr.3 oder Nr. 4 VwGO für eine Zulassung der Berufung liegen nicht vor. | Rn. 42 |