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VG Osnabrück, Beschl. v. 23.12.2020 – 9 B 3/20 – „Keine Beamtenpflicht zum Kommunikationsabbruch“

ZVR-Online Dok. 5/2022 – online seit 11.04.2022

Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 33 Abs. 5 GG, § 28 Abs. 1 NDiszG

Leitsätze der Redaktion:

1. Eine Geisteshaltung, die Vorurteile gegenüber Ausländerinnen und Ausländern und die Ablehnung von Migration beinhaltet, ist nicht automatisch mit einer Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und damit mit einem Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht gleichzusetzen.

Rn. 1

2. Eine Beamtin oder einen Beamten trifft keine Pflicht, bei jedem ihr bzw. ihm übersandten dümmlichen, pornographischen, ausländerfeindlichen oder sonst unangemessenen Bild die Kommunikation mit dem Kommunikationspartner mittels eines Messangerdienstes abzubrechen.

Rn. 2

Tenor:

Der Antrag, die Durchsuchung der Person des Polizeiamtmanns A., seiner Wohnung einschließlich aller Nebengelasse, der ihm gehörenden oder genutzten Sachen, der ihm gehörenden und durch ihn genutzten Kraftfahrzeuge, sowie der durch ihn genutzten Diensträume zum Zwecke des Auffindens ihm gehörender und durch ihn genutzter elektronischer Kommunikationsmittel, insbesondere seines Handys, Tablets, Laptops, sowie schriftlicher Aufzeichnungen, die Hinweise auf eine mögliche faschistische und / oder rassistische Grundeinstellung bekräftigen könnten, anzuordnen, sowie die Beschlagnahme der aufgefundenen elektronischen Kommunikationsmittel und anderer schriftlicher Aufzeichnungen anzuordnen, um deren beweiskräftige Auswertung zum Zwecke des Auffindens von Hinweisen auf eine mögliche faschistische und / oder rassistische Grundeinstellung zu ermöglichen, wird abgelehnt.

Rn. 3

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt eine richterliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung zur Durchsuchung der Person des Polizeiamtmanns A., seiner Wohnung einschließlich aller Nebengelasse, der ihm gehörenden Sachen, der ihm gehörenden und durch ihn genutzten Kraftfahrzeuge, sowie der durch ihn genutzten Diensträume zum Zwecke des Auffindens ihm gehörender und durch ihn genutzter mobiler elektronischer Kommunikationsmittel, insbesondere seines Handys, sowie schriftlicher Aufzeichnungen, die Hinweise auf eine mögliche rassistische Grundeinstellung bekräftigen könnten, sowie der Beschlagnahme der aufgefundenen elektronischen Kommunikationsmittel und anderer schriftlicher Aufzeichnungen, um deren beweiskräftige Auswertung zum Zwecke des Auffindens von Hinweisen auf eine mögliche rassistische Grundeinstellung zu ermöglichen.

Rn. 4

Dem liegt zugrunde, dass in dem Rahmen eines gegen den Kriminalhauptkommissar C. geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens dessen Mobiltelefon beschlagnahmt sowie ausgewertet wurde und hierbei ein WhatsApp-Chat zwischen Kriminalhauptkommissar D. mit dem Antragsgegner festgestellt wurde, dem die im Einzelnen von dem Antragsgegner in der Beiakte zusammengestellten Bilder und Textnachrichten sowie Videos, auf die Bezug genommen wird, zu entnehmen sind.

Rn. 5

Der Antragsteller hat diese Unterlagen der Staatsanwalt Osnabrück zugeleitet. Im Rahmen eines gegen Herrn Kriminalhauptkommissar D. eingeleiteten Ermittlungsverfahrens zum Aktenzeichen – 521 Js 57321/20 - ist die Staatsanwaltschaft Osnabrück zu dem Ergebnis gekommen, dass kein strafrechtlich relevantes Verhalten des Herrn Kriminalhauptkommissars D. vorliege.

Rn. 6

II.

1. Der Vorsitzende der Disziplinarkammer ist gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 NDiszG (vom 13. Oktober 2005, Nds. GVBl. 2005, 296, zuletzt geändert durch Artikel 23 des Gesetzes vom 16. Mai 2018, Nds. GVBl. S. 66) zur Entscheidung über den Antrag berufen.

Rn. 7

2. Von einer Anhörung des Betroffenen ist auf der Grundlage des § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 3 NDisZG abzusehen, da der Durchsuchungserfolg ansonsten gefährdet würde.

Rn. 8

3. Der Antrag hat keinen Erfolg. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 NDiszG ordnet die oder der Vorsitzende der Kammer für Disziplinarsachen auf Antrag durch Beschluss Beschlagnahmen und Durchsuchungen an; § 26 Abs. 7 über die Antragsbefugnis gilt entsprechend. Satz 2 des § 28 Abs. 1 NDiszG bestimmt, dass die Anordnung nur getroffen werden darf, wenn die Beamtin oder der Beamte des zur Last gelegten Dienstvergehens dringend verdächtig ist und die Maßnahme zur Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Satz 3 ergänzt, dass die Bestimmungen der Strafprozessordnung über Beschlagnahmen und Durchsuchungen entsprechend gelten, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

Rn. 9

Vorliegend liegt aufgrund des geschilderten Lebenssachverhalts schon nicht der dringende Tatverdacht eines Dienstvergehens vor (a.). Begründung alternativ und insoweit selbstständig tragend wäre die begehrte Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung auch nicht verhältnismäßig (b.).

Rn. 10

a. Die von dem Antragsteller belegten Textnachrichten, Bild- und Videodateien begründen schon nicht den dringenden Tatverdacht eines Dienstvergehens.

Rn. 11

(aa) Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in den mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 16. Dezember 2014 – 2 BvR 2393/12 –, Rn. 22, juris). Zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist daher ein dringender Tatverdacht erforderlich, der vorliegt, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beamte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat (Bayerischer VGH, Beschluss vom 28. April 2014, - 16b DC 12.2380 -, juris Rn. 6). Dies ist der Fall, wenn ein nicht nur auf vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen, sondern auf Tatsachen gestützter, hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, dass der Beamte das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09. Oktober 2019, - 3d E 619/19.BDG -, Rn. 12, juris; BVerwG, Urteil vom 31. März 2011, - BVerwG 2 A 11.08 -, Rn. 19, juris). Der Terminus des „dringenden Ver-dachts“ ist damit weitaus enger als der der „tatsächlichen Anhaltspunkte“, die nach § 18 Abs. 1 Satz 1 NDiszG die Einleitung eines Disziplinarverfahrens erforderlich machen. Er ist dem Strafprozessrecht (§112 Abs. 1 Satz 1 StPO) entnommen und ebenso wie dort auszulegen (Weiss, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Bd. II, Lfg. 3/2013, § 27 BDO Rn. 22). Ein dringender Verdacht liegt deshalb nur dann vor, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beamte das ihm zu Last gelegte Dienstvergehen begangen hat. Dabei darf der dringende Tatverdacht nicht aus bloßen Vermutungen bestehen, sondern muss aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 28. April 2014, – 16b DC 12.2380 –, Rn. 6, juris, mit weiteren Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Tatsachen sind gegenwärtige oder vergangene Verhältnisse, Zustände oder Geschehnisse; kennzeichnend für das Vorliegen einer Tatsache ist, dass diese prinzipiell dem Beweis zugänglich sein kann (Neuhäuser, in: Möstl/Weiner, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht Niedersachsen, 16. Edition, Stand: 01.08.2020, § 22 Rn. 19 ff.). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung nicht finden lassen (BVerfG, Beschluss vom 10. November 1981, – 2 BvR 1118/80 –, BVerfGE 59, 95-98 <97>).

Rn. 12

(bb) Vorliegend gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner aufgrund einer rechtsextremen und zumindest latent rassistischen Einstellung nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten.

Rn. 13

Zwar ist die Pflicht des Beamten zur Verfassungstreue ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG (BVerwG, Urt. v.09.06.1981 - 2 C 48.78 -, Juris Rn. 24).

Rn. 14

Die vorgelegten Chat-Verläufe zeigen jedoch in der Person des Antragsgegners nicht auf, dass dieser sich mit seiner Grundeinstellung nicht auf den Boden der freilich demokratischen Grundordnung bewegen könnte. Die Bilder mögen jedenfalls zum Teil auf Vorurteile gegenüber Ausländerinnen und Ausländern und die Ablehnung von Migration als Geisteshaltung schließen lassen. Eine derartige Geisteshaltung ist indes nicht automatisch mit einer Ablehnung freiheitlich-demokratischen Grundordnung und damit mit einem Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht gleichzusetzen. Dies folgt daraus, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht alle Normen des Grundgesetzes umfasst, sondern nur dessen zentrale Sätze: Zu den grundlegenden, sogar einer Verfassungsänderung entzogenen Grundprinzipien des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates, dem der Beamte verpflichtet ist, sind mindestens zu rechnen die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem dem Recht der Persönlichkeit, auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsgemäße Bildung und Ausübung der Opposition (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 7. April 2009,- 5 ME 25/09 -, DÖD 2009,251 – 257).

Rn. 15

Die vorgelegten Chat-Verläufe zwischen dem Antragsgegner und Herrn D. zeigen insoweit keinen dringenden Verdacht einer verfassungsfeindlichen Gesinnung auf. Die Kammer unterscheidet insoweit unter dem Kriterium der Sozialadäquanz zunächst zwischen denjenigen Dateien, die dem Antragsgegner zugesandt wurden, und denjenigen, die er selber geteilt hat. Eine Pflicht eines Beamten, bei jedem ihm übersandten dümmlichen, pornographischen, ausländerfeindlichen oder sonst unangemessenen Bild die Kommunikation mit dem Kommunikationspartner abzubrechen, vermag die Kammer dem geltenden Recht nicht zu entnehmen. Strafrechtlich relevante Inhalte, die der Antragsgegner zu einem Handeln hätten bewegen müssen, hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück zutreffend verneint. Dass ein Beamter nicht anders als jeder andere Mensch in einer Abwägung zwischen seinem sozialen Geltungsanspruch und seiner Stellung in der Gemeinschaft nicht auf jedes im obigen Sinne unangemessene, ihm übersandte Bild reagiert und auch nicht reagieren muss, liegt in einem auf Kommunikation und sozialen Austausch ausgerichteten Gemeinwesen auf der Hand.

Rn. 16

Damit nimmt die Kammer die von dem Antragsgegner selbst geteilten Bilder des Chat-Verlaufs als für die Frage eines Verstoßes gegen die freilich demokratische Grundordnung relevant in den Blick. Anders als in den Verfahren - 9 B 4/20 -, - 9 B 5/20 -, -9 B 6/20 - und - 9 B 7/20 -, in denen die Kammer durch Beschlüsse vom gestrigen Tage Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen erlassen hat, lassen indes die von dem Antragsgegner geteilten Bilder keinen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht in dem oben umrissenen Umfang erkennen: So ist das Bild Seite 6 durchaus grenzwertig in Bezug auf seine Botschaft, dass ausländisch aussehende Menschen keine Deutschen im Sinne des Artikel 116 Grundgesetz sein könnten; die freiheitlich-demokratische Grundordnung wird hierdurch indes noch nicht tangiert. Das Bild Seite 7 der Beiakte überspitzt in möglicherweise dümmlicher, aber immer noch satirischer Art die Problematik der Überprüfung des Alters angeblich minderjähriger Flüchtlinge. Mehr Bilder hat der Antragsgegner nicht geteilt. Sämtliche anderen Ausdrucke aus dem Chat-Verlauf sind bei dem Antragsgegner eingegangen, aber offensichtlich nicht von ihm weiter geteilt worden. Dies rechtfertigt einen dringenden Tatverdacht in Bezug auf ein Dienstvergehen im obigen Sinne damit nicht.

Rn. 17

(cc) Der Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung ist auch - begründungsalternativ und insoweit selbstständig tragend - nicht verhältnismäßig. Denn die beantragten Maßnahmen stehen zu der Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme außer Verhältnis. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei in zweierlei Hinsicht zu beachten: Zum einen darf die Maßnahme, um die ersucht wird, nicht zur Bedeutung der Sache, zum anderen darf sie auch nicht zu der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme außer Verhältnis stehen (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380 – juris Rn. 12). Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nur dann nicht außer Verhältnis in dem Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz NDiszG, wenn die Zurückstufung oder die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, also eine statusberührende Disziplinarmaßnahme, zu erwarten ist (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 16b DC 12.2380, – juris Rn. 14 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Es ist unter Berücksichtigung der Parameter der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Rechtsprechung der Kammer zur Bemessung der disziplinarischen Rechtsfolge offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass der Polizeiamtmann A. mit einer seine Statusrechte berührenden Disziplinarmaßnahme belegt werden könnte. Selbst bei einem unterstellten Verhalten käme noch nicht mal eine Degradierung denklogisch in Betracht. Auch aus diesem alternativen Grund war der Antrag abzulehnen.

Rn. 18

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die für das gerichtliche Disziplinarverfahren nach § 69 Abs. 1 NDiszG geltenden Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung sind nicht anzuwenden, weil es sich bei der Entscheidung des Vorsitzenden der Disziplinarkammer über ein Beschlagnahmegesuch nicht um ein gerichtliches Disziplinarverfahren im Sinne dieser Bestimmung handelt.

Rn. 19