Skip to main content

Florian Albrecht*: Rezension – Aernecke, Der Schutz elektronischer Daten im Verfassungsrecht, 2012

ZVR-Online Dok. Nr. 54/2012 – online seit 17.10.2012

Aernecke, Eva
Der Schutz elektronischer Daten im Verfassungsrecht
PETER LANG Internationaler Verlag der Wissenschaften
Frankfurt am Main, 2012
215 Seiten
55,34 €
ISBN 978-3-653-01301-6

Die als Band 51 der Studien zum deutschen und europäischen Medienrecht erschienene Dissertation befindet sich auf dem Stand von November 2011. Das Werk „soll anhand von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Schutzbereiche der jeweils im Kontext des Datenschutzes einschlägigen Grundrechte darstellen und einen Ein- und Ausblick schaffen, wie den zukünftigen technischen Gegebenheiten und daraus erwachsenden Gefahren für die Datensicherheit verfassungsrechtlich entgegengetreten werden kann.“Rn. 1
Im ersten Kapitel befasst sich die Autorin mit dem Verhältnis von Freiheit und Sicherheit. Die verfassungsrechtliche Analyse führt zu dem Ergebnis, dass ein Vorrang des einen oder anderen Aspekts nicht festgestellt werden kann. Insoweit seien verfassungspolitische Entscheidungen maßgeblich (S. 11). Fest stünde allerdings, dass der Staat unter Beachtung des Untermaßverbots aktiv von seinem Schutzauftrag Gebrauch machen müsse, um Gefahren für Leib und Leben seiner Bürger abzuwehren. Hierzu gehöre eine Anpassung der Ermittlungsmaßnahmen an die von Terroristen verwendeten Methoden und technischen Mittel (S. 23).Rn. 2
Das zweite Kapitel der Arbeit besteht im Wesentlichen aus einer Darstellung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich mit elektronischen Ermittlungsbefugnissen befassen. Hierzu gehören Entscheidungen zur Telekommunikationsüberwachung, der Beschlagnahme und Überprüfung eines Mobiltelefons, der Online-Durchsuchung, der Vorratsdatenspeicherung, des Einsatz eines IMSI-Catchers, der Rasterfahndung und der KFZ-Kennzeichenerfassung. Insgesamt geben die Ausführungen einen guten Überblick über die aktuelle Entwicklung und die jeweilige Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht.Rn. 3
Obwohl es der Verfasserin gelingt, das Augenmerk auf die wesentlichen Entscheidungsinhalte zu richten (so wird bspw. im Rahmen der Darstellung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung die „neue Konzeption“ des Eingriffsbegriffs erläutert - S. 64 f.), ist die den Ausführungen zuzusprechende Innovationskraft beschränkt. Wer sich mit der jeweiligen Materie bereits eingehender befasst hat, stößt fast ausnahmslos auf Bekanntes. Als Nachschlagewerk und zur überblickartigen Erschließung des Untersuchungsgegenstandes ist der Dissertationsteil gleichwohl bestens geeignet.Rn. 4
Eine kritische Bewertung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts findet sich im dritten Kapitel. Hierbei handelt es sich um den Hauptteil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die Verfasserin geht kritisch und ausführlich auf die festgestellten Schutzbereichsdefinitionen, den Kernbereichsschutz, die Rechtsschutzmöglichkeiten, die Schrankensystematik, den Einschüchterungseffekt heimlicher Maßnahmen und die hinsichtlich der auf Vorrat angelegten Datensammlungen bestehenden Bedenken ein. Am Ende des Kapitels wird zudem erläutert, welche Folgen für das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit aus der analysierten Rechtsprechung abgeleitet werden können. Die Darstellungen und Überlegungen sind allesamt gut nachvollziehbar.Rn. 5
Kaum eine in Schrifttum und Rechtsprechung aufgeworfene Fragestellung wird ausgeklammert. Kritisch ist anzumerken, dass Aernecke den Leser mit ihren persönlichen Stellungnahmen und Wertungen mitunter hilflos zurücklässt. Dies gilt vor allem, wenn die Verfasserin ausführt, dass das Instrument des Richtervorbehalts für einen effektiven Rechtsschutz eigentlich unzureichend ist (S. 168). Hier wäre es geboten gewesen, eine sinnvolle Alternative bzw. Verbesserungsvorschläge aufzuzeigen. Entsprechende Überlegungen fehlen. Warum etwas, das ineffektiv ist, unumgänglich sein soll (S. 168) ist jedenfalls nur schwer nachvollziehbar.Rn. 6
Völlig zu Recht weist die Verfasserin dann auf die besorgniserregende Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hin, die sich unter Berufung auf legitime Zweckverfolgungen zunehmend vom Verbot einer anlasslosen Datenspeicherung entfernt (S. 177). Die diesbezüglichen Ausführungen legen die Annahme nahe, dass sich die Rechtsprechung insoweit einfach nicht den technischen Möglichkeiten verschließen kann (auf S. 179 folgen dann allerdings Gegenbeispiele). Gleiches gilt wohl hinsichtlich der sicherheitspolitischen Erwägungen, die in einen zunehmenden Verzehr der Freiheitsrechte münden (vgl. S. 183).Rn. 7
Ein Lösungsvorschlag findet sich schließlich im vierten Kapitel: Nach Auffassung von Aernecke „bedarf [es] eines technikneutralen Grundrechts, das alle Eingriffe in datenschutzrelevante Sachverhalte gleichermaßen erfasst und in dem Sicherungsmechanismen wie der generelle Richtervorbehalt inbegriffen sind.“ (S. 190)Rn. 8
Insgesamt ist „Der Schutz elektronischer Daten im Verfassungsrecht“ eine gut verständliche Arbeit, die zahlreiche Themenfelder erläutert, die das Sicherheitsgefüge der Informationsgesellschaft berühren. Schön wäre es gewesen, wenn sich die Verfasserin an passender Stelle ergänzend auch mit dem zahleiche Rechtsfragen aufwerfenden Bereich des „Cloud Computing“ auseinandergesetzt hätte. Dass dies nicht geschieht, ist wohl der ohnehin schon außerordentlichen Komplexität des gewählten Themas geschuldet.Rn. 9
Diese Vielfalt führt dazu, dass der Wert der Arbeit weniger in der eingehenden Diskussion und Bewertung von Detailfragen liegt. Der Verdienst von Aernecke besteht vielmehr in der zusammenfassenden Darstellung eines Themenkomplexes, dem eine zunehmende Praxisrelevanz zu bescheinigen ist. Die Dissertationsschrift kann daher durchaus auch Einsteigern, die sich zunächst einmal einen Überblick verschaffen wollen, empfohlen werden. Für Experten auf dem Gebiet des Datenschutzrechts, die ihr Wissen in erster Linie vertiefen möchten, ist die Lektüre hingegen weniger geeignet.Rn. 10
Fußnoten

* Florian Albrecht M.A. ist Akademischer Rat a. Z. und Geschäftsführer der Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik (For..Net) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht (Prof. Dr. Dirk Heckmann), Universität Passau.