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VG Saarlouis, Beschl. v. 16.07.2012 – 2 L 419/12 – „Tätigkeitsverbot für Gerichtsdirektoren“

ZVR-Online Dok. Nr. 64/2012 – online seit 27.11.2012

§ 41 BeamtStG, § 93 SBG

Amtlicher Leitsatz

Die Besorgung der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur berechtigt, wenn bei verständiger Würdigung der Umstände eine Beeinträchtigung wahrscheinlich ist.Rn. 1

Gründe

Der Antrag, mit dem der Antragsteller sinngemäß die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 23.02.2012 gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Antragsgegners vom 13.02.2012, mit dem ihm untersagt wurde, vor Ablauf des 31.12.2014 als Rechtsanwalt bei dem Arbeitsgericht B-Stadt aufzutreten oder als Rechtsanwalt in Rechtsstreitigkeiten tätig zu werden, die bei dem Arbeitsgericht B-Stadt anhängig sind oder dort anhängig werden können, begehrt, ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, hat aber in der Sache keinen Erfolg.Rn. 2
Bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, auch an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientierten Interessenabwägung überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das entgegenstehende Privatinteresse des Antragstellers, von den Wirkungen der Untersagungsverfügung bis zu der Entscheidung über seinen Rechtsbehelf in der Hauptsache verschont zu bleiben.Rn. 3
Der Antragsgegner hat das besondere Interesse am Sofortvollzug seiner Verfügung in einer den Formerfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet. Nach dieser Vorschrift ist das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung anhand von über das allgemeine Interesse am Vollzug rechtmäßiger Verwaltungsakte hinausgehenden Gründen schriftlich darzulegen. Diesen Anforderungen ist der Antragsgegner nachgekommen, indem er den Sofortvollzug seiner Untersagungsverfügung maßgeblich darauf gestützt hat, dass bei einem Auftreten und Tätigwerden des Antragstellers als Rechtsanwalt bei dem Arbeitsgericht B-Stadt bereits zum jetzigen Zeitpunkt bis zur Bestandskraft des Bescheides das im dienstlichen Interesse gebotene Rechtsschutzziel nicht erreicht werde, sondern durch Zeitablauf vereitelt werde. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei auch trotz der während des Verwaltungsverfahrens erfolgten telefonischen Zusicherung des Antragstellers, bis zu einer Entscheidung nicht als Rechtsanwalt vor dem Arbeitsgericht B-Stadt aufzutreten, geboten, da davon auszugehen sei, dass diese Zusicherung nicht für die Zeit nach Ergehen der Verwaltungsentscheidung gelten solle. Diese Begründung genügt dem Formerfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.Rn. 4
Die Untersagungsverfügung des Antragsgegners vom 13.02.1012 lässt bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Antragstellers erkennen.Rn. 5
Zunächst begegnet sie in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Der Einwand des Antragstellers, der Antragsgegner sei für die getroffene Entscheidung unzuständig, greift nicht durch. Mit der AV des MiJAGS Nr. 9/2009 vom 28.07.2009 (2003–1) über die Nebentätigkeit der Bediensteten des Geschäftsbereichs des Ministeriums der Justiz ist die Zuständigkeit für die Mitarbeiter der …, auch für die Untersagung einer Nebentätigkeit bei Ruhestandsbeamten nach § 41 Satz 2 BeamtStG, auf den Antragsgegner übertragen worden.Rn. 6
Die angefochtene Entscheidung des Antragsgegners ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.Rn. 7
Rechtsgrundlage für die Untersagung des Tätigwerdens des Antragstellers als Rechtsanwalt vor dem Arbeitsgericht B-Stadt sind §§ 4 Abs. 1 SRiG, 41 Satz 2 BeamtStG i. V. m. §§ 1 Abs. 1 Satz 2, 93 Abs. 2 SBG. Danach ist Richtern im Ruhestand die Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes, die mit der dienstlichen Tätigkeit im Zusammenhang steht, zu untersagen, wenn zu besorgen ist, dass durch die Ausübung dieser Erwerbstätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Für Richter, die -wie der Antragsteller- mit Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand getreten sind, kann die Untersagung der Erwerbstätigkeit längstens für die Dauer von drei Jahren erfolgen (vgl. § 93 Abs. 1 Satz 2 SBG).Rn. 8
Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, dass diese Besorgnis bei dem Tätigwerden des Antragstellers als Rechtsanwalt bei dem Arbeitsgericht B-Stadt begründet ist.Rn. 9
Als zu schützende dienstliche Interessen sind im vorliegenden Fall der Schutz des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Integrität der Rechtsprechung sowie deren Freiheit von persönlich motivierten Einflüssen und Rücksichtnahmen in Betracht zu ziehen. Das Vertrauen der Bürger in die Unabhängigkeit und Integrität der Rechtsprechung soll nicht unnötig in Frage gestellt werden.Rn. 10
Die Besorgnis der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur berechtigt, wenn bei verständiger Würdigung der gegenwärtig erkennbaren Umstände unter Berücksichtigung der erfahrungsgemäß zu erwartenden Entwicklung eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen wahrscheinlich ist, wenn ein vernünftiger Grund für die Annahme besteht, dass eine solche Beeinträchtigung voraussichtlich eintreten wird. Auch wenn die bloße - nicht auszuschließende - Möglichkeit, eine fern liegende Gefahr der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen, nicht ausreicht, so muss doch andererseits eine solche Beeinträchtigung nicht in absehbarer Zeit im hohen Maße wahrscheinlich sein.

Vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 30.06.1983 – 2 C 57/82 - = BVerwGE 67, 287 – 300; BayVGH, Beschluss vom 26.02.2009 – 3 CS 08.3301, zitiert nach juris; BayVGH, Beschluss vom 11.01.1988 – 3 CS 87.03322 – in NJW 1988, 1406; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.06.1990 – 2 A 119/89 -, NJW 1991, 245 – 247; jeweils m. w. N.
Rn. 11
Fallbezogen ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller seit dem … als Richter am Arbeitsgericht B-Stadt tätig war und vom… bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand zum … dort sogar das Amt des Direktors ausgeübt hat. Aus diesem Grund besteht die Gefahr, dass bei Prozessbeteiligten, denen die frühere Funktion des Antragstellers nicht unbekannt sein bzw. bleiben dürfte, der (subjektive) Eindruck entsteht, die Richter und sonstigen Mitarbeiter bei dem Arbeitsgericht B-Stadt würden bei der Befassung mit der Rechtssache, die der Antragsteller als Anwalt vertritt, durch dessen frühere Funktion beeinflusst und ließen deswegen der Angelegenheit eine Sonderbehandlung zuteil werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nicht, ob im Einzelfall ein derartiger Loyalitätskonflikt tatsächlich besteht, sondern, ob ein derartiger Konflikt generell möglich ist, denn bereits der Anschein einer solchen Gefahr beeinträchtigt das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität und Unvoreingenommenheit der Justiz.Rn. 12
Ausgehend von den dargelegten rechtlichen Maßstäben greifen die von dem Antragsteller im Einzelnen erhobenen Einwände, beim Arbeitsgericht B-Stadt herrsche ein ständiger Personalwechsel, derzeit sei nur noch eine Richterin dort tätig, mit der er zusammen gearbeitet habe, außerdem verbinde ein Rechtssuchender mit dem Direktorenposten eine Verwaltungstätigkeit, und er des Weiteren auf die kurze Verfahrensdauer bei dem Gericht hinweist, nicht durch, denn es ist nicht erforderlich, tatsächlich zu untersuchen, ob und gegebenenfalls bei welchen Richterkollegen bzw. nicht richterlichen Mitarbeitern im Einzelfall mit einem Loyalitätskonflikt tatsächlich zu rechnen ist. Soweit der Antragsteller darüber hinaus im Einzelnen ausführlich private und berufliche Verknüpfungen in der….. Justiz aufzeigt, kann er hieraus jedenfalls zu seinen Gunsten nichts herleiten, da die Frage der Besorgnis der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen sich an dem konkreten Einzelfall zu orientieren hat.Rn. 13
Soweit der Antragsteller geltend macht, das Tätigkeitsverbot verstoße gegen Art. 2, 3, 12 GG, die Vorschriften des AGG und gegen europarechtliche Regelungen, kann er damit ebenfalls nicht durchdringen. Zu schützendes Rechtsgut ist das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der Gerichte. Mit diesem Inhalt begegnet das Tätigkeitsverbot keinen verfassungsgerichtlichen Bedenken und schränkt das Recht des Antragstellers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie seine Berufsfreiheit, die ihn grundsätzlich zu einer beruflichen Tätigkeit nach dem Eintritt in den Ruhestand berechtigen, bei sachgerechter Auslegung nicht übermäßig ein. Vgl. BVerwG, Urteil vom 06.12.1989 – 6 C 52.87 –, = BverwGE 84, 194 - 206; zitiert nach jurisRn. 14
Im Übrigen ist es dem Antragsteller nicht verwehrt, bei anderen Gerichten - auch der … - aufzutreten.Rn. 15
Die angefochtene Verfügung ist auch hinsichtlich der Dauer der Untersagung (bis 31.12.2014) rechtlich nicht zu beanstanden. Die von dem Antragsgegner vorgenommene Befristung entspricht den Vorgaben des § 41 Satz 3 BeamtStG i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 2 SBG. Mit Blick auf den Wortlaut der genannten Vorschriften ist klarzustellen, dass dem Antragsgegner (auch) hinsichtlich der Dauer der Untersagung der Tätigkeit ein Ermessen nicht zusteht. Die Anknüpfung an die Frist ("…spätestens mit Ablauf von…") trägt vielmehr dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung und dient der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Weniger einschneidende Maßnahmen können aufgrund besonderer Umstände erforderlich und gerechtfertigt sein, nicht aber aufgrund bloßen Zeitablaufs.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 06.12.1989 – 6 C 52.87 - = BVerwGE 84, 194 – 206 und vom 12.12.1996 -2 C 37/95- = BverwGE 102, 326 – 331; jeweils zitiert nach juris
Rn. 16
Derartige Umstände liegen hier aber nicht vor, denn es ist nicht anzunehmen, dass die Gründe, die die Untersagung rechtfertigen, bereits vor Ablauf des 31.12.2014 entfallen würden. Solche Umstände können jedenfalls nicht schon darin erblickt werden, dass voraussichtlich in wenigen Monaten alle Verfahren erledigt sein werden, die in dem ehemaligen Dezernat des Antragstellers anhängig waren, und möglicherweise auch überwiegend keine Richter mehr aus der Dienstzeit des Antragstellers tätig sein werden, denn es kommt – worauf der Antragsgegner zu Recht hingewiesen hat - maßgeblich darauf an, wie der Antragsteller von den Rechtssuchenden aufgrund seiner früheren Funktion beim Arbeitsgericht B-Stadt wahrgenommen wird.Rn. 17
Begegnet die Untersagungsverfügung des Antragsgegners nach alledem keinen rechtlichen Bedenken, so überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Tätigkeitsverbotes das private Aufschubinteresse des Antragstellers.Rn. 18
Der erfolglose Antrag ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO zurückzuweisen.Rn. 19
Die Festsetzung des Streitwerts auf die Hälfte des Hauptsachewertes beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 2 GKG.Rn. 20