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VG Regensburg, Beschl. v. 10.02.2012 – RO 9 E 12.257 – „Guy-Fawkes-Masken“

ZVR-Online Dok Nr. 7/2012 – online seit 02.05.2012

Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 3 Bay VersG

Leitsätze der Redaktion

1. Auch wenn die Antragstellerseite keinen schriftförmlichen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG gestellt hat, hat die Antragsgegnerin über eine solche zu entscheiden, wenn seitens der Veranstalter darauf hingewiesen wurde, dass als Versammlungsgegenstände „Guy-Fawkes-Masken“ geplant sind.Rn. 1
2. Das Tragen der Masken dürfte hier durchaus als künstlerisches Kundgebungsmittel einzuordnen gewesen sein, das gerade die politische Aussage der Versammlung transportieren und einen wesentlichen Kern der Forderungen vermitteln soll.Rn. 2
3. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass vorliegend bei der gegebenen Erkenntnislage ein Aufrechthalten der Verbote des Tragens der Masken vor dem Gesicht und des Mitsichführens einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dargestellt und somit ein Anordnungsanspruch im Umfang des Hauptantrags bestanden hätte.Rn. 3

Gründe

Die Hauptbeteiligten stimmen durch die jeweils am 10. Februar 2012 bei Gericht eingegangenen Erklärungen in der Erledigung der Hauptsache überein.Rn. 4
Das Verfahren ist demnach einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Der Billigkeit entsprach es, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen, der Antragstellerseite brauchte daher keine weitere Frist für eine Stellungnahme zur zu treffenden Kostenentscheidung eingeräumt werden.Rn. 5
a) Dem liegt folgender bisheriger Sachstand zugrunde: Der Antragsteller zu 2) hat bei der Antragsgegnerin für Samstag, 11. Februar 2012, eine Versammlung unter dem Motto „Stop Acta!“ angemeldet. Als Versammlungsgegenstände wurden im Laufe des Verfahrens u.a. sog. „Guy-Fawkes-Masken“ genannt.Rn. 6
Mit Bescheid vom 8. Februar 2012 bestätigte die Antragsgegnerin den Eingang der Anzeige der geplanten Versammlung und traf verschiedene Festlegungen. Im Sachverhalt ist angemerkt, dass das Bayerische Staatsministerium des Innern zur Problematik der „Guy-Fawkes-Masken“ dahingehend Stellung genommen habe, dass die Masken unter das Vermummungsverbot fielen. Am Bescheidsende ist unter „Hinweise“ angemerkt, dass auf das Vermummungsverbot des Art. 16 Abs. 2 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) hingewiesen werde.Rn. 7
Mit am 10. Februar 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begehren die Antragsteller Eilrechtsschutz mit dem Hauptantrag (Ziffer 1), im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflichten, hinsichtlich der von der Antragstellerin zu 1) organisierten Kundgebung am 11.02.2012 in Regensburg beginnend um 14.00 Uhr, eine Ausnahme von Artikel 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG dahingehend zuzulassen, dass auf der Kundgebung das Mitsichführen und Tragen von Guy-Fawkes-Masken vor dem Gesicht erlaubt ist. Daneben wurden insgesamt vier weitere Anträge hilfsweise gestellt. Wegen der vorgetragenen Gründe wird auf den Inhalt des Schriftsatzes Bezug genommen.Rn. 8
Hierzu gehört, teilte die Antragsgegnerin dem Gericht mit Telefax vom 10. Februar 2012 mit, dass sie die unter Ziffer 1 des Schriftsatzes der Antragsteller vom 10. Februar 2012 begehrte Ausnahme von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG zulasse.Rn. 9
b) Auf Grundlage dieses Sachverhalts hat die Antragsgegnerin dem Begehren aus Gründen abgeholfen, die in ihrem Verantwortungsbereich liegen. Schon dies spricht nach Billigkeitsgesichtspunkten dafür, die Kosten des Verfahrens ihr aufzuerlegen.Rn. 10
c) Ungeachtet dessen ist nach dem zugrunde zu legenden Streitstand davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin voraussichtlich unterlegen wäre und ihr auch deshalb die Kosten aufzuerlegen sind. Der Antrag wäre nämlich nicht nur nach § 123 VwGO in Form einer Regelungsanordnung statthaft und auch sonst zulässig gewesen, sondern zumindest bei summarischer Prüfung voraussichtlich auch begründet. Es spricht nämlich einiges dafür, dass ein Anordnungsanspruch hinsichtlich des Hauptantrags gegeben gewesen wäre.Rn. 11
Auch wenn die Antragstellerseite keinen schriftförmlichen Antrag auf Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG gestellt hatte, hatte die Antragsgegnerin über eine solche zu entscheiden. Im Laufe des Verfahrens war von Veranstalterseite offenbar ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass als Versammlungsgegenstände „Guy-Fawkes-Masken“ geplant sind. Zwar müssen Masken nicht zwangsläufig vor dem Gesicht getragen werden, nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG ist aber bereits das Mitsichführen von Gegenständen verboten, die geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, die Feststellung der Identität zu verhindern. Bereits deshalb hätte für die Antragsgegnerin Anlass bestanden, die Erteilung einer Ausnahme nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG von Amts wegen zu prüfen, ein Antragsvorbehalt ist im Gesetz nicht enthalten (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34).Rn. 12
Bei summarischer Prüfung wäre wohl auch davon auszugehen gewesen, dass die von Antragstellerseite vorgesehenen Masken beim Tragen vor dem Gesicht unter das Vermummungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 Nr. 1 BayVersG fallen und daher nicht ohne Erteilung einer Ausnahme getragen werden dürfen. Danach ist es kraft Gesetzes verboten, an Versammlungen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern. Unter Art. 16 Abs. 2 Nr. 2 BayVersG fällt grundsätzlich „jedes Mittel, mit dem die Unkenntlichmachung oder das Verbergen der Gesichtszüge erreicht wird. Dies kann durch Bemalen, Aufkleben falscher Bärte, Tragen von Pappnasen und in ähnlicher Weise geschehen. Das Verbergen der Gesichtszüge wird durch Verkleidung oder Maskierung, insbesondere durch Aufsetzen von Gesichtsmasken (…) erreicht“ (so zu § 17a Abs. 2 Nr. 2 des Versammlungsgesetzes des Bundes als vergleichbarer Regelung Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 17a VersG, Rn. 7, zitiert nach BayVGH, Beschluss vom 3. Februar 2006, Az. 24 CS 06.314 ). Die Vermummung ist gesetzlich grundsätzlich verboten, weil das Auftreten vermummter Demonstranten und der Ausbruch von Gewalttätigkeiten erfahrungsgemäß durchaus in Zusammenhang stehen (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) zu den Motiven des Bundesgesetzgebers für die vergleichbare Regelung in § 17a Abs. 2 Nr. 1 des Versammlungsgesetzes des Bundes, die auch für die entsprechende Regelung im BayVersG angenommen werden können). Die zuständige Behörde kann aber nach Art. 16 Abs. 3 BayVersG Ausnahmen von diesen Verboten zulassen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zu besorgen ist.Rn. 13
Die streitgegenständlichen Masken haben offenbar eine Größe, mit der der gesamte Gesichtsbereich verdeckt werden kann; die Masken sind damit zumindest im Falle des Tragens vor dem Gesicht geeignet, dieses so zu verhüllen, dass eine Identifizierung des einzelnen Teilnehmers nicht mehr möglich ist. Neben dieser objektiven Eignung muss allerdings die Aufmachung den Umständen nach auch darauf gerichtet sein, die Identifizierung zu verhindern. Davon ist bei den sog. „Guy-Fawkes-Masken“ auszugehen, die offenbar zum Sinnbild der Anonymität als Deckmantel für revolutionäre Aktionen wurden und speziell bei der Anonymous-Bewegung gerade dazu dienen, die Forderung nach Anonymität und entsprechender Bewegungsfreiheit im Internet symbolhaft auszudrücken. Mit den Masken soll daher bei der beabsichtigten Versammlung gerade auch eine Anonymität der Versammlungsteilnehmer hergestellt, mithin eine Identifizierung verhindert werden. Nicht erforderlich ist es hingegen, dass die Verhinderung der Identifikation durch die Strafverfolgungsbehörden alleinige oder vorrangige Motivation sein muss (vgl. KG Berlin, Urteil vom 7. Oktober 2008, Az. (4) 1 Ss 486/07 (286/07) m.w.Nachw.).Rn. 14
Wenn man davon ausgeht, dass das Tragen der „Guy-Fawkes-Masken“ dem Vermummungsverbot unterfällt, so wäre die Versagung eines dann erforderlichen Dispenses angesichts der verfassungsrechtlichen Dimension nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig gewesen; eine derartige Entscheidung muss die verfassungsrechtlichen Positionen der Antragsteller insbesondere in Bezug auf die Meinungsäußerungs- und die Versammlungsfreiheit in besonderer Weise würdigen und mit den von der Antragsgegnerin zu vertretenden öffentlichen Sicherheitsbelangen miteinander und untereinander gerecht abwägen. Die Prognose, ob eine die Erteilung einer Ausnahme ausschließende Gefährdung gegeben sein kann, ist auf hinreichend sichere Tatsachen zu stützen; fehlen solche Erkenntnisse, wird das Ermessen regelmäßig in Richtung auf Erteilung des Dispenses reduziert sein, hiervon abweichender Ermessensgebrauch wäre nicht grundrechtsfreundlich (vgl. Schaden/Beckmann/Stollenwerk, Praxis der Kommunalverwaltung, Versammlungsgesetz, Erläuterungen zu § 17a, 6 ). Die zuständige Behörde hat nach Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34 immer dann eine Befreiung vom Verbot zu bewilligen, wenn sie keine ausreichend sicheren Erkenntnisse für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hat.Rn. 15
Das Tragen der Masken dürfte hier durchaus als künstlerisches Kundgebungsmittel einzuordnen gewesen sein, das gerade die politische Aussage der Versammlung transportieren und einen wesentlichen Kern der Forderungen vermitteln soll. Vorliegend mag zwar nicht auszuschließen sein, dass öffentliche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt werden, ein mehr als nur geringer Umfang war im maßgeblichen Zeitpunkt aber nicht erkennbar. Eine hinreichend belastbare, auf Tatsachen gestützte Gefahrenprognose durch die Polizei, die auf eine andere Beurteilung hinführen würde, ist nicht vorgelegt worden. Vielmehr hat die Polizei im Rahmen des Kooperationsgesprächs offenbar zu erkennen gegeben, vorliegend keine sicherheitsrechtlichen Bedenken gegen die Masken zu haben. Auch die Antragsgegnerin selbst hat offenbar anerkannt, dass die im die Versammlung tragenden Bündnis zusammengefassten Organisationen und Gruppierungen vor Ort nicht durch Gewalt oder Ähnliches aufgefallen seien. Zwar ist zuzugeben, dass mit den Masken eine Identifizierung verhindert bzw. es zumindest erleichtert werden kann, das Gesicht schnell zu verhüllen, und so womöglich Straftaten zu begehen, ohne identifiziert werden zu können; auf der anderen Seite könnte – wer es darauf anlegen wollte – auch ohne weiteres andere geeignete Gegenstände mit sich führen, um dann sein Gesicht zu verhüllen; dabei ist es unerheblich, ob derartige Gegenstände zunächst verdeckt oder angesichts der im Versammlungszeitpunkt voraussichtlich herrschenden Temperaturen auch offen mitgeführt werden, Schals, Mützen oder ähnliche wärmende Kleidungsstücke sind von der Versammlungsbehörde ja nicht verboten worden. Daher scheint es vorliegend angesichts der Gefahrenprognose für die konkrete Veranstaltung nicht gerechtfertigt gewesen zu sein, das Kundgebungsmittel des Tragens und Mitsichführens von „Guy-Fawkes-Masken“ verboten sein zu lassen. Dies hat die Antragsgegnerin offenbar inzwischen erkannt und dementsprechend tatsächlich noch Ausnahmen von Art. 16 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayVersG zugelassen.Rn. 16
Zusammenfassend ist damit zumindest bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass vorliegend bei der gegebenen Erkenntnislage ein Aufrechthalten der Verbote des Tragens der Masken vor dem Gesicht und des Mitsichführens einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dargestellt und somit ein Anordnungsanspruch im Umfang des Hauptantrags bestanden hätte (über die weiterhin gestellten Hilfsanträge wäre daher nicht mehr zu entscheiden gewesen). Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass dies freilich nicht bedeutet, dass diese Ausnahmen vorbehaltlos erteilt werden müssten. Vielmehr ist etwa an einen Widerrufsvorbehalt für den Fall zu denken, dass die friedliche Qualität der Versammlung verloren geht (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Auflage 2011, § 17a Rn. 34), unabhängig davon, ob dies aus Gründen erfolgt, die im Tragen oder Mitsichführen der Masken ihre Ursache haben, oder aus anderen Gründen.Rn. 17
Ein Anordnungsgrund bestand angesichts des für den 11. Februar 2012 geplanten Versammlungstermins ohne Weiteres. Auch eine Vorwegnahme der Hauptsache wäre hier im Lichte des sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ausnahmsweise zulässig gewesen, weil anderenfalls ein endgültiger Rechtsverlust gedroht hätte.Rn. 18
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 des Gerichtskostengesetzes unter Berücksichtigung der Nrn. 1.5 und 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 ff).Rn. 19