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VGH Mannheim, Beschl. v. 05.03.2012 – 5 S 3239/11 – „Bordell im Gewerbebetrieb“

ZVR-Online Dok. Nr. 6/2012 – online seit 02.05.2012

§ 8 Abs 2 Nr. 1 BauNVO 1990, § 8 Abs 3 Nr. 3 BauNVO, § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO

Leitsätze der Redaktion

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur BauNVO 1968 und BauNVO 1977 fällt ein Bordell, in dem die Prostituierten nicht wohnen, unter den Begriff der „Gewerbebetriebe aller Art“, die in Gewerbegebieten nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig sind. Auch unter der Geltung der BauNVO 1990 sind Bordellbetriebe den „Gewerbebetrieben aller Art“ und nicht den Vergnügungsstätten zuzuordnen.Rn. 1
2. Zweckbestimmung von Gewerbegebieten ist es indes gerade, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die im Hinblick auf ihre spezifischen Standortanforderungen und ihre Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werden soll.Rn. 2

Gründe

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die in der Beschwerdebegründung innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben zu einer Änderung der vom Verwaltungsgericht zum Nachteil des Antragstellers getroffenen Entscheidung keinen Anlass.Rn. 3
Das Verwaltungsgericht hat bei der von ihm nach Maßgabe der §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung dem öffentlichen bzw. privaten Interesse an der sofortigen Verwirklichung des Bauvorhabens des Beigeladenen zu Recht Vorrang gegeben vor dem privaten Interesse des Antragstellers, von den Wirkungen der Baugenehmigung vom 15.03.2011 vorläufig verschont zu bleiben. Mit der angefochtenen, kraft Gesetzes (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB) sofort vollziehbaren Baugenehmigung genehmigte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen den „Einbau eines Bordellbetriebes“ im ersten Obergeschoss und Dachgeschoss des gewerblich genutzten Gebäudes auf dem Grundstück Flst.Nr. 24810/1 (xxxxxxxstraße 12) auf der Gemarkung der Beklagten. Der Senat geht nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage davon aus, dass der Widerspruch des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleiben wird, weil das genehmigte Bauvorhaben aller Voraussicht nach gegen keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften verstößt (§ 58 Abs. 1 Satz 1 LBO), die zumindest auch dem Schutz des Antragstellers als Eigentümer des ca. 130 m Luftlinie entfernt liegenden Wohngrundstücks Flst.Nr. 24825 (xxxxxxxstraße 21) zu dienen bestimmt sind.Rn. 4
1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist er in seinem Gebietserhaltungsanspruch aller Voraussicht nach nicht verletzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat angeschlossen hat, kommt der Festsetzung von Baugebieten durch Bebauungsplan grundsätzlich nachbarschützende Wirkung zu und der Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks hat als Nachbar einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart. Dieser geht über das Rücksichtnahmegebot hinaus und wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst, weil hierdurch das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird (BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151; Beschl. v. 13.05.2002 - 4 B 86.01 -, NVwZ 2002, 1384; Beschl. v. 18.12.2007 - 4 B 55.07 -, juris). Vorliegend widerspricht das Vorhaben des Beigeladenen jedoch nicht den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung (a). Es liegt auch keine Verletzung des Anspruchs des Antragstellers auf Aufrechterhaltung der gebietstypischen Prägung vor, weil das Vorhaben nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig wäre (b).Rn. 5
a) Der Bebauungsplan der Antragsgegnerin vom 16.04.1991 Nr. 656 (in Kraft getreten am 06.09.1991) „Gewerbegebiet zwischen Rhein- und Gablonzer Straße“, „Mühlburg West - Teilbereich“, „Industriegebiet Neureuter Straße“, „Gewerbegebiet Husarenlager“, „- Änderung -„ (im Folgenden abgekürzt Bebauungsplan), zu dessen „Planungskonzept“ ausdrücklich die „Umstellung“ der früheren Bebauungspläne auf die Baunutzungsverordnung vom 23.01.1990 (BGBl. I S. 132) - BauNVO 1990 - gehört (vgl. Ziff. 3.5 der Begründung und Ziff. 1 der schriftlichen Festsetzungen), setzt für das gesamte Plangebiet, in dem sowohl das Grundstück des Antragstellers als auch das Grundstück des Beigeladenen liegt, als Art der baulichen Nutzung „Gewerbegebiet gem. § 8 BauNVO“ fest, mit Einschränkungen allein für Einzelhandelsbetriebe mit zentrenrelevantem Sortiment. Mithin ist gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO 1990 auch § 8 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 3 BauNVO 1990 Bestandteil des Bebauungsplans geworden. Danach gehören „Gewerbebetriebe aller Art“ zu den allgemein und „Vergnügungsstätten“ zu den ausnahmsweise zulässigen Anlagen. Das vom Beigeladenen betriebene Bordell mit 11 „Arbeitsräumen“ und 2 „VIP-Bereichen“ wurde von der Antragsgegnerin zu Recht den „Gewerbebetrieben aller Art“ zugerechnet; als Vergnügungsstätte mit einem erweiterten „Vergnügungsbereich“ (außer einer Sauna und einem Massageraum) sollte sie nicht zugelassen werden (Stellungnahme des Stadtplanungsamtes vom 20.01.2011).Rn. 6
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur BauNVO 1968 und BauNVO 1977 fällt ein Bordell, in dem die Prostituierten - wie im vorliegenden Fall - nicht wohnen, unter den Begriff der „Gewerbebetriebe aller Art“, die in Gewerbegebieten nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO allgemein zulässig sind (BVerwG, Urt. v. 25.11.1983 - 4 C 21.83 -, BVerwGE 68, 213). Unter der Geltung der BauNVO 1990, mit der erstmals Vergnügungsstätten als selbständige Nutzungsart eingeführt und ihre Zulässigkeit in den einzelnen Baugebieten abschließend geregelt wurde, hat es das Bundesverwaltungsgericht offen gelassen, ob Bordellbetriebe als Vergnügungsstätten i.S. der BauNVO einzustufen sind (vgl. Beschl. v. 29.10.1997 - 4 B 8.97 -, juris). Auch der Senat hat bisher diese Frage offen gelassen (Senatsurt. v. 19.10.1990 - 5 S 3103/89 -, VBlBW 1991, 220). Er entscheidet sie nunmehr dahin, dass Bordellbetriebe auch unter der Geltung der BauNVO 1990 den „Gewerbebetrieben aller Art“ und nicht den Vergnügungsstätten zuzuordnen sind (ebenso die wohl herrschende Meinung: OVG Hamburg, Beschl. v. 13.08.2009 - 2 Bs 102/09 -, juris; Bay.VGH, Beschl. v. 13.02.2008 - 15 ZB 08.2200 -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 11.05.2005 - 8 C 10053/05 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 14.11.2005 - 1053.05 -, juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 27.10.2009 - 5 K 3864/08 -, juris; VG Hamburg, Urt. v. 22.11.2011 - 11 K 1237/09 -, juris; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl., § 8 RdNr. 5; Soefker, Lfg. 88, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 8 RdNr. 24; Roesner, in: König/Roesner/Stock, BauNVO, 2. Aufl., § 7 RdNr. 16; a.A.: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.10.1996 - 8 S 2136/96 -; Hess.VGH, Beschl. v. 30.04.2009 - 3 A 1284/08.Z -, UPR 2010, 104; OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.06.2009 - 2 P 367/09 -, juris; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, 67. Lfg. § 4a RdNr. 74; zum Meinungsstand insgesamt vgl. Stühler, Prostitution und öffentliches Baurecht, BauR 2010, 1013, 1020 f.).Rn. 7
Maßgebend für die Zuordnung zu den „Gewerbebetrieben aller Art“ sind folgende Erwägungen: Im Baurecht ist der Begriff der Vergnügungsstätte gesetzlich nicht definiert. Üblicherweise werden darunter gewerbliche Nutzungsarten verstanden, die sich in unterschiedlicher Ausprägung (wie Amüsierbetriebe, Diskotheken, Spielhallen) unter Ansprache (oder Ausnutzung) des Sexual-, Spiel- und/oder Geselligkeitstriebes einer bestimmten gewinnbringenden „Freizeit“-Unterhaltung widmen (vgl. Fickert/Fieseler a.a.O. § 4a RdNr. 22; ähnlich Roesner a.a.O. § 7 RdNr. 15; zusammenfassend Stühler a.a.O., S. 1020). Es handelt sich um einen städtebaulichen Sammelbegriff; im Vordergrund steht nicht die Frage nach der kommerziellen Unterhaltung, sondern in welcher Weise sich die unter diesen Begriff zusammengefassten Nutzungsarten innerhalb der einzelnen Baugebiete auswirken können (Fickert/Fieseler a.a.O. § 4a RdNr. 22.1; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.11.2006 - 3 S 2377/06 -, VBlBW 2007, 189). Die im jeweiligen Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung zulässigen Nutzungen ergeben eine gebietstypische Nutzungsstruktur, in der miteinander verträgliche Arten von Nutzungen zusammengefasst und von anderen Nutzungsarten abgegrenzt werden (BVerwG, Urt. v. 24.09.1992 - 7 C 7.92 -, NVwZ 1993, 987). Die Zulässigkeit von Nutzungen hängt dabei nicht nur von deren Immissionsträchtigkeit oder Immissionsverträglichkeit ab, sondern wird auch von anderen Maßstäben der städtebaulichen Ordnung bestimmt (BVerwG, Urt. v. 25.11.1983 a.a.O.).Rn. 8
Hiervon ausgehend hat sich durch die - nunmehr - abschließende Regelung der Nutzungsart „Vergnügungsstätten“ in der BauNVO 1990 im Vergleich zur früheren Rechtslage, der die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.11.1983 a.a.O. zugrunde lag, im Hinblick auf die Zuordnung von gewöhnlichen Bordellbetrieben nichts Entscheidendes geändert. Ob und unter welchen Voraussetzungen bei einem Bordell oder einem bordellartigen Betrieb von einer Vergnügungsstätte im planungsrechtlichen Sinn auszugehen ist, wenn in ihm in nennenswertem Umfang auch „Zusatzleistungen“ bzw. Darbietungen zur gemeinsamen Unterhaltung der Besucher stattfinden (vgl. auch hierzu die Übersicht bei Stühler a.a.O. S.1021 f.), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn ein solcher Betrieb steht nach der angefochtenen Baugenehmigung nicht in Rede.Rn. 9
Auch nach den mit der BauNVO 1990 einhergehenden Änderungen sind Vergnügungsstätten - einschließlich größerer - sog. kerngebietstypischer Vergnügungsstätten - nur in Kerngebieten allgemein zulässig (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO). In Gewerbegebieten können sie nur ausnahmsweise zugelassen werden (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO). Dasselbe gilt für Dorfgebiete und besondere Wohngebiete, soweit es sich nicht um kerngebietstypische Vergnügungsstätten handelt (§§ 4a Abs. 3 Nr. 2 und 5 Abs. 3 BauNVO). Derartige Vergnügungsstätten sind im Mischgebiet nur in den Teilen des Gebiets allgemein zulässig, die überwiegend durch gewerbliche Nutzungen geprägt sind (§ 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO); außerhalb dieser Teile können sie ausnahmsweise zugelassen werden (§ 6 Abs. 3 BauNVO).Rn. 10
Dass die Baunutzungsverordnung damit Vergnügungsstätten als eine besondere Art gewerblicher Betriebe nach wie vor (eine) den Kerngebieten als eine dort - uneingeschränkte - allgemein zulässige Nutzung zuordnet und damit auch den Charakter von Kerngebieten kennzeichnet, lässt erkennen, dass speziell Bordellbetriebe nach wie vor nicht dem typischen Erscheinungsbild der Vergnügungsstätte i.S. der Baunutzungsverordnung entsprechen.Rn. 1
Kerngebiete i.S. des § 7 BauNVO sind Gebiete für zentrale Funktionen in der Stadt mit vielfältigen Nutzungen und einem - urbanen - Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs und dienen darüber hinaus auch in beschränktem Umfang dem Wohnen (vgl. § 7 Abs. 2 Nrn. 6 und 7, Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 BauNVO). Bordellbetriebe der hier beabsichtigten Art dagegen sind - anders als die von der Baunutzungsverordnung typischerweise gemeinten, oben genannten Vergnügungsstätten - Einrichtungen, für die sich im Hinblick auf die allgemeine sozialethische Bewertung und auf die sich im „Milieu“ ergebenden Begleiterscheinungen eher ein Standort eignet, der außerhalb oder allenfalls am Rande des „Blickfeldes“ und der Treffpunkte einer größeren und allgemeinen Öffentlichkeit liegt und auch nicht in der Nachbarschaft von Wohnungen. Zweckbestimmung von Gewerbegebieten ist es indes gerade, solchen Betrieben einen Standort zu bieten, die im Hinblick auf ihre spezifischen Standortanforderungen und ihre Auswirkungen zu Unzuträglichkeiten in Gebieten führen würden, in denen auch oder sogar vorwiegend gewohnt werden soll (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1983 a.a.O.).Rn. 12
Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene „sozialethische“ Bewertung der Prostitution ist auch nicht aufgrund des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20.12.2001 (BGBl. I S. 3983) zu ändern. Dieses Gesetz hat keine bauplanungsrechtlichen Folgewirkungen (so bereits Senatsurt. v. 24.07.2002 - 5 S 149/01 -, ESVGH 53, 30; ebenso die wohl einhellige obergerichtliche Rechtsprechung, vgl. die Nachweise bei Stühler a.a.O. S. 1032 Fn. 157).Rn. 13
Schließlich ist dem Bundesverwaltungsgericht weiterhin darin zu folgen, dass ein Bordell auch keine so erheblichen Belästigungen i.S. von § 8 Abs. 1 BauNVO mit sich bringt, dass es - von dem nach § 15 Abs. 1 BauNVO zu behandelnden Einzelfall abgesehen - schlechthin nicht in einem Gewerbegebiet zugelassen werden könnte. Die von einem Bordell ausgehenden Nachteile und Belästigungen, nämlich vor allem der Lärm des Zu- und Abgangsverkehrs und sonstige „milieubedingte“ Unruhe erreichen die Schwelle der Erheblichkeit nicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.11.1983 a.a.O.).Rn. 14
b) Das Vorhaben ist auch nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig. Nach dieser Vorschrift sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Dabei vermittelt § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO Nachbarn innerhalb des betroffenen Baugebiets einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets (BVerwG, Beschl. v. 13.05.2002 - 4 B 86.01 -, NVwZ 2002, 1384; Urt. v. 16.09.1993 - 4 C 28.91 -, a.a.O.). Die Voraussetzungen für diesen Anspruch sind im Falle des Antragstellers jedoch aller Voraussicht nach ebenfalls nicht gegeben.Rn. 15
Die Eigenart eines einzelnen Baugebiets i.S. von § 15 Abs. 1 BauNVO ergibt sich nicht allein aus den typisierenden Regelungen der BauNVO; nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich die Eigenart eines in einem Bebauungsplan festgesetzten Gebiets abschließend erst bestimmen, wenn zusätzlich auch die jeweilige örtliche Situation, in die ein Gebiet „hinein geplant“ worden ist, und der jeweilige Planungswille der Gemeinde, soweit dieser in den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans unter Berücksichtigung der hierfür gegebenen Begründung zum Ausdruck gekommen ist, berücksichtigt werden. Auf die tatsächlich vorhandene Bebauung kommt es in Plangebieten für die Bestimmung der Eigenart des Gebiets dagegen grundsätzlich nicht an; sie ist grundsätzlich nur insoweit beachtlich, als sie sich im Rahmen der durch die Festsetzungen zum Ausdruck gebrachten städtebaulichen Ordnungsvorstellungen für das Baugebiet hält (Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 RdNr. 8; Soefker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg a.a.O., § 15 RdNr. 12; anders bei unbeplanten Gebieten i.S. von § 34 Abs. 2 BauGB, vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.2008 - 4 B 68.08 -, BRS 73 Nr. 82).Rn. 16
Im vorliegenden Fall hat der Satzungsgeber die mit der Festsetzung eines Gewerbegebiets grundsätzlich verbundene sehr offene Gebietsstruktur mit den in § 8 Abs. 2 und Abs. 3 BauNVO aufgeführten allgemein und ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten nicht nennenswert eingeschränkt. Lediglich für die nach § 8 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässigen Nutzungen wird bestimmt, dass Einzelhandelsbetriebe „als Ausnahme nur mit zentrenunschädlichen Warengruppen zulässig sind: Möbel, Teppiche, Fußbodenbeläge, Gartenbedarf, Gartenpflanzen, Baustoffe, Bauelemente, Baumaterialien wie Fliesen, sanitäre Einrichtungsgegenstände, sanitärer Installationsbedarf, Fahrzeuge und Zubehör“. Damit sollen - wie sich aus der Begründung (Ziff. 3.5) zum Bebauungsplan ergibt -, diejenigen großflächigen Einzelhandelsnutzungen ausgeschlossen werden, die in die Versorgungszentren zu integrieren sind; andere großflächige Einzelhandelseinrichtungen mit üblicherweise nicht in städtischen Zentren integrierbaren Verkaufsformen und Sortimenten (wie etwa Baustoffe und Gartenzubehör) sollen lediglich ausnahmsweise zulässig bleiben. In Anbetracht der danach verbleibenden Vielfalt möglicher Nutzungen ist eine vom Plangeber beabsichtigte Prägung des Gewerbegebiets durch bestimmte Arten von Betrieben nicht erkennbar. Auch dies wird durch die Begründung zum Bebauungsplan bestätigt, wonach die vorhandenen Bauflächen für eine Gewerbenutzung vorgehalten und zur Verfügung gestellt werden sollen, um den Bedürfnissen bestehender und neu anzusiedelnder Betriebe des verarbeitenden und produzierenden Bereiches oder sonstiger auf Gewerbegebiete angewiesener Nutzungen gerecht zu werden (Ziff. 2 Abs. 5 der Begründung).Rn. 17
Das vom Beigeladenen betriebene Bordell widerspricht der sich so darstellenden Eigenart des Gewerbegebiets auch nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung.Rn. 18
Ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets setzt mehr voraus, als dass die bauliche Anlage dem Baugebiet lediglich nicht entspricht. Auch genügt es für die Unzulässigkeit nicht, wenn ein Vorhaben die vorhandene Gebietsstruktur nur geringfügig verschlechtert und damit eine gewisse Beeinträchtigung darstellt. Die bauliche oder sonstige Anlage muss bei der beabsichtigten Ausführung dem konkreten Gebietscharakter vielmehr eindeutig entgegenstehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.11.1984 - 4 B 244.84 -, UPR 1985, 136; Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 RdNr. 9.1; Soefker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 15 RdNr. 13). Davon kann beim Vorhaben des Antragstellers nicht ausgegangen werden.Rn. 19
„Nach Anzahl“ kann ein Bordell der Eigenart eines Gewerbegebiets widersprechen, wenn in dem Gebiet bereits ein solcher Betrieb oder gar eine Mehrzahl vorhanden ist. Hierfür ist indes weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Auch nach Lage, Umfang oder Zweckbestimmung widerspricht das Bordell aller Voraussicht nach nicht der Eigenart des Gewerbegebiets.Rn. 20
Nach seinem Umfang handelt es sich eher um ein kleineres Bordell mit 11 „Arbeitsräumen“, einer Sauna sowie 2 „VIP-Bereichen“. Es ist im Ober- und Dachgeschoss eines bestehenden Betriebsgebäudes untergebracht, das sich ausweislich des bei den Akten befindlichen Lageplans und der von den Beteiligten vorgelegten Fotos nach seiner Größe und Nutzfläche ebenfalls ohne Weiteres in die Eigenart der Umgebungsbebauung einfügt. Soweit der Antragsteller unter Hinweis auf die Internetwerbung des Beigeladenen geltend macht, dass es sich nicht „nur“ um ein Bordell, sondern in Wirklichkeit um ein Bordell und zusätzlich einen „FKK-Sauna-Club“ mit zahlreichen „Zusatzleistungen“ handele, ist darauf hinzuweisen, dass es im vorliegenden Verfahren allein auf die durch die Antragsgegnerin genehmigte Nutzung ankommt. Der Antragsteller hatte zwar zunächst neben dem „Einbau eines Bordellbetriebes“ auch den „Einbau“ eines „FKK-Sauna-Clubs“ beantragt. Baurechtlich genehmigt wurde indes - nach einer entsprechenden Planänderung - allein der „Einbau eines Bordellbetriebes“ (vgl. die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 15.03.2011). Falls die tatsächliche Nutzung von der genehmigten abweichen sollte, käme - nach entsprechender Überprüfung - ein baurechtliches Einschreiten durch die Antragsgegnerin in Betracht, worauf diese in ihrer Antragserwiderung auch bereits hingewiesen hat.Rn. 21
Auch im Hinblick auf die Lage des Bordellbetriebes lässt sich kein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets, wie sie in den Festsetzungen des Bebauungsplans zum Ausdruck kommt, feststellen. Insoweit macht der Antragsteller unter Vorlage einer Kopie aus dem Adressbuch geltend, dass gerade die „xxxxxxxstraße“ durch Wohnnutzung geprägt sei. Soweit es sich indes nicht um eine nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO in Gewerbegebieten zugelassene Wohnnutzung handelt, hätte sie indes nach den oben dargestellten Grundsätzen außer Betracht zu bleiben. Im Übrigen kann der Behauptung des Antragstellers aber schon in tatsächlicher Hinsicht nicht gefolgt werden. Nach den bei den Akten befindlichen Lageplänen und dem (den baulichen Bestand darstellenden) Bebauungsplan sowie den von den Beteiligten vorgelegten Lichtbildern ist nicht nachvollziehbar, dass die xxxxxxxstraße - jedenfalls in dem Abschnitt, in dem das Bordell sich befindet - dadurch geprägt sein soll, dass „überwiegend“ Wohnnutzung stattfinde und die gewerbliche Nutzung „eher“ untergeordnet sei und sich „im Wesentlichen“ auf kleine Handwerksbetriebe „im Hinterhof“ beschränke. Vielmehr sind gerade in der Umgebung des Vorhabens auch großflächige Gewerbebetriebe und ein großer Einkaufsmarkt zu finden. Eine „Prägung“ durch eine im Gewerbegebiet zugelassene Wohnnutzung ist nicht substantiiert vorgetragen; der Senat vermag eine solche mit den Erkenntnismöglichkeiten eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auch nicht zu erkennen. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass die Zulassung des Vorhabens zu einer faktischen Gebietsumwandlung („Umkippen“) - auch nicht im fraglichen Teilbereich der xxxxxxxstraße - führen würde (vgl. hierzu Senatsurt. v. 27.07.2001 - 5 S 1093/00 -, BauR 2002, 359). Soweit der Antragsteller geltend machen will, dass das Vorhaben nach seinem gewählten Standort für die in unmittelbarer Nachbarschaft bereits vorhandenen Anlagen bzw. Nutzungen unzumutbar sei, macht er eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots geltend (hierzu sogleich unter 2.).Rn. 22
2. Das Vorhaben des Beigeladenen verstößt aller Voraussicht nach auch nicht gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme. Danach sind bauliche und sonstige Anlagen auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Das in dieser Vorschrift verankerte Gebot der Rücksichtnahme bedeutet nicht, jede Beeinträchtigung eines Nachbarn zu vermeiden. Ein Nachbar kann lediglich solche Nutzungsstörungen abwehren, die als rücksichtslos zu werten sind. Dies ist erst dann der Fall, wenn die mit dem Bauvorhaben verbundenen Beeinträchtigungen bei der Nutzung des eigenen Grundstücks bei einer Abwägung, bei der die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung und die Interessen des Bauherrn zu berücksichtigen sind, für den Bauherrn billigerweise unzumutbar erscheinen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.01.2007 - 4 C 1.06 -, BVerwG 128, 118 m.w.N.).Rn. 23
Hiervon ausgehend dürfte der Antragsteller durch das vom Beigeladenen betriebene Bordell nicht unzumutbar in der Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigt werden. Das Wohnhaus, in dem der Antragsteller wohnt, liegt ca. 130 m vom Baugrundstück entfernt. Angesichts der Größe des Bordells mit 11 „Arbeitsräumen“, 2 „VIP-Bereichen“, einer Sauna, einem Empfangsbereich und sanitären Einrichtungen steht im Gegensatz zur Einschätzung des Antragstellers wohl nicht zu befürchten, dass es dadurch zur Ansiedlung eines „Rotlichtmilieus“ mit so erheblichen Auswirkungen für die umliegende gewerbliche und Wohnnutzung kommt, die als rücksichtslos i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO eingestuft werden könnte. Dies belegt auch die vom Beigeladenen vorgelegte und vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogene „Statistik über das Gästeaufkommen“ seit der Eröffnung des Bordells. Danach kamen verteilt auf einen Zeitraum von 46 Tagen lediglich 261 Besucher, also 6 pro Tag. Angesichts der geringen Größe des Bordells und des beschränkten Besucheraufkommens - aber auch aufgrund der Entfernung des Wohnhauses des Antragstellers zum Vorhaben des Beigeladenen - ist auch nicht zu erwarten, dass es zu unzumutbaren Störungen durch den Kraftfahrzeugverkehr für den Antragsteller und dessen Familie kommt. Insoweit ist auch in Rechnung zu stellen, dass der Antragsteller als Eigentümer eines im Gewerbegebiet gelegenen Grundstücks gegenüber Störungen der hier in Rede stehenden Art nicht dasselbe Maß an Schutz beanspruchen kann, wie es in einem Wohngebiet der Fall ist.Rn. 24
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts aus §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2004.Rn. 25
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.Rn. 26