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VG Dresden, Beschl. v. 29.03.2012 – 7 L 61/12 – „Sexverein“

ZVR-Online Dok. Nr. 16/2012 – online seit 12.06.2012

§ 80 Satz 2 SächsBO

Leitsätze der Redaktion

1. Eine Nutzungsuntersagung kann regelmäßig bereits dann ergehen, wenn ein Vorhaben formell baurechtswidrig ist, und sich die materielle Genehmigungsfähigkeit der formell illegalen Nutzung nicht auf den ersten Blick aufdrängt. Denn derjenige, der sich formell baurechtswidrig verhält, soll nicht die wirtschaftlichen Vorteile seiner Vorgehensweise genießen und sich nicht besser stehen als der rechtstreue Bauherr, der zunächst unter Inkaufnahme von Zeitverlusten ein Baugenehmigungsverfahren durchführt.Rn. 1
2. Selbst wenn das Vorbringen der Antragstellerin zutreffen sollte, sie übe jedenfalls kein Prostitutionsgewerbe aus, da dieses das Anbieten von Sex gegen Entgelt beinhalte, in den Räumen der Obergeschosse aber lediglich die Tätigkeit eines Vereins erfolge, der den Kontakt zwischen Menschen fördere, wäre die dann in den Räumlichkeiten vorgenommene Nutzung von der bisherigen, auf reine Wohnnutzung gerichteten Baugenehmigung nicht umfasst.Rn. 2

Gründe

Die Antragstellerin begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.12.2011, mit dem ihr unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Nutzung der Räume des 1. Obergeschosses bis zum Dachgeschoss zum Zwecke der Prostitution im Gebäude Kplatz XX in G untersagt (Ziffer 1, 2) und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 3.000,00 € angedroht wurde (Ziffer 3), sowie einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10.02.2012, mit dem das Zwangsgeld in Höhe von 3.000,00 € festgesetzt (Ziffer 1), für den Fall, dass die Antragstellerin die Nutzungsuntersagung nicht binnen 2 Wochen nach Bekanntgabe des Bescheides vom 10.02.2012 befolgt, ihr in der Reihenfolge der Anwendung ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 € (Ziffer 2.a) sowie unmittelbarer Zwang durch Wegnahme des der Prostitutionsausübung dienenden Mobiliars, insbesondere der Schlafmöbel und der mit diesen in funktionalem Zusammenhang stehenden Einrichtungsgegenstände angedroht wurde (Ziffer 2.b).Rn. 3
Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt u.a., wenn die Behörde - wie hier hinsichtlich der Nutzungsuntersagung - die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat, wobei das besondere öffentliche Interesse hieran zu begründen ist (§ 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO). Ferner entfällt die aufschiebende Wirkung u. a. gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in den durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, so - hier hinsichtlich der Zwangsgeldfestsetzung wie der Androhung von Zwangsmitteln - gemäß § 11 SächsVwVG bei Rechtsbehelfen gegen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung.Rn. 4
Im Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.12.2011 ist das öffentliche Interesse an der angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der Nutzungsuntersagung hinreichend begründet worden (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Begründungspflicht soll der Behörde nur den Ausnahmecharakter der Sofortvollzugsanordnung deutlich machen. Eine inhaltliche Überprüfung beschränkt sich darauf festzustellen, dass die Ausnahme vom Grundsatz aufschiebender Wirkung eines Rechtsbehelfs nicht formelhaft erfolgt. Liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung - wie in diesem Fall gemäß nachstehender Ausführung - vor, ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO in der Regel auch gerechtfertigt, einer Begründung, die im besonderen Maße auf den Einzelfall eingeht, bedarf es nicht (SächsOVG, Beschl. v. 20.10.1010, 1 B 143/10).Rn. 5
Das Verwaltungsgericht kann nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung wiederherstellen bzw. anordnen, wenn das private Interesse des vom zu vollziehenden Verwaltungsakt Betroffenen, von den Vollzugsfolgen einstweilig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Dazu trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung, die sich insbesondere an den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfes und den Folgen des Sofortvollzuges für die Beteiligten ausrichtet.Rn. 6
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung überwiegt hier das private Interesse der Antragstellerin, davon verschont zu bleiben. Weder hat die Antragstellerin nach der im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung Erfolgsaussichten in der Hauptsache, noch können ihr die Folgen des Sofortvollzuges vor Bestandskraft der Nutzungsuntersagung nicht zugemutet werden.Rn. 7
Es mangelt an den Erfolgsaussichten der Antragstellerin in der Hauptsache, weil die Nutzungsuntersagung voraussichtlich nicht zu beanstanden ist. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 80 Satz 2 SächsBO, wonach die Nutzung untersagt werden kann, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 25.06.2001, SächsVBl. 2001, 248), der die Kammer folgt, kann eine Nutzungsuntersagung regelmäßig bereits dann ergehen, wenn ein Vorhaben formell baurechtswidrig ist, und sich die materielle Genehmigungsfähigkeit der formell illegalen Nutzung nicht auf den ersten Blick aufdrängt. Denn derjenige, der sich formell baurechtswidrig verhält, soll nicht die wirtschaftlichen Vorteile seiner Vorgehensweise genießen und sich nicht besser stehen als der rechtstreue Bauherr, der zunächst unter Inkaufnahme von Zeitverlusten ein Baugenehmigungsverfahren durchführt.Rn. 8
Die unter dem 13.08.2010 für den Kplatz XX ausgereichte Baugenehmigung sieht in dem 1. bis zum 3. Obergeschoss und Dachgeschoss eine Nutzung als Mietwohnung vor; allein für das hier nicht streitbefangene Erdgeschoss ist Gewerbenutzung genehmigt worden. Selbst wenn das Vorbringen der Antragstellerin zutreffen sollte, sie übe jedenfalls kein Prostitutionsgewerbe aus, da dieses das Anbieten von Sex gegen Entgelt beinhalte, in den Räumen der Obergeschosse aber lediglich die Tätigkeit eines Vereins erfolge, der den Kontakt zwischen Menschen fördere, wäre die dann in den Räumlichkeiten vorgenommene Nutzung von der bisherigen, auf reine Wohnnutzung gerichteten Baugenehmigung nicht umfasst (vgl. VG Schleswig, Beschl. v. 06.12.2001 – 5 B 93/01 -, juris Rn. 27).Rn. 9
Da die Verfügung vom 09.12.2011 weitergehend aber nicht nur die von der Antragstellerin angeführte vereinsmäßige Kontaktpflege, sondern gerade die Nutzung zum Zwecke der Prostitutionsausübung untersagt, ist zu verlangen, dass für die Annahme der Antragsgegnerin für diese Nutzung der Räumlichkeiten eine hinreichende Tatsachengrundlage besteht. Das ist hier der Fall. Es liegt nämlich eine Vielzahl von Anzeigen in einem wöchentlich erscheinenden Zeitungsorgan sowie im Internet vor, in denen unter der Adresse „Kplatz xx“ im Erotik „Privat“-Club ersichtlich nichts anderes als Prostitution angeboten wird. Die nach Erlass der Untersagungsverfügung und der Einlegung des auf die Vereinstätigkeit gestützten Widerspruches erfolgte Abwandlung der Inserate ab Januar 2012, mit denen auf die Notwendigkeit der Entrichtung einer „Clubgebühr ohne zwingende Mitgliedschaft“ verwiesen wird, legt keine anderen Schlüsse nahe, zumal seit März wieder die ursprünglichen Anzeigentexte verwendet werden.Rn. 10
Die Antragstellerin stellt dieses in Abrede und verweist insoweit auf die Eintragung eines Kunstfördervereins am 19.04.2010 im Vereinsregister, die am 11.07.2011 erfolgte Gründung eines weiteren Vereins „Privat“, der bereits angemeldet sei, sowie auf die von der Antragstellerin unter dem 21.02.2012 vorgenommene Anmeldung der Adresse als ihren Hauptwohnsitz. Sie bewohne das 1. und 2. Obergeschoss und habe das 3. und 4. Obergeschoss untervermietet. Das bloße Verweisen auf eine vorgenommene Eintragung bzw. Anmeldung einer Vereinstätigkeit ist indes nicht ausreichend, um die entsprechende Nutzung der streitbefangenen Räume zu den in der Untersagungsverfügung benannten Zwecken zu widerlegen. Entscheidend ist die tatsächlich ausgeübte Art der Nutzung, nicht die hierfür gewählte Rechtsform (vgl. auch insoweit nur VG Schleswig, a.a.O., Rn. 29). Das Gericht hat keine Anhaltspunkte - etwa durch entsprechende Aussagen oder Unterlagen der Vereinsmitglieder - zur Nutzung der Räumlichkeiten in einer von der Antragstellerin vorgetragenen Weise. Zu der vorgetragenen Gründung des Vereins „Privat“ wurden auch mit dem Antrag keine Unterlagen vorgelegt. Zu dem - allerdings nicht unter seinem Namen „Privat“ eingetragenen Verein - liegt lediglich die Anmeldung vor, ohne dass beispielsweise Rückschlüsse auf den Sollinhalt von Vereinssatzungen gemäß § 58 BGB, insbesondere zum Ein- und Austritt der Mitglieder oder der Beitragserhebung möglich sind. Nach der Erklärung der Antragstellerin sei es ein offener Verein; sich unter der Kontaktadresse in Görlitz meldende Interessenten entrichten einen einmaligen Vereinsbeitrag für die zeitweise Inanspruchnahme einer mit der Vereinsmitgliedschaft verbundenen Leistung, die darin bestehe, Menschen zu einer erfüllten Sexualität zu verhelfen. Aufgrund dieser Erklärung besteht kein Anlass, die Annahme der Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt und somit eine unter Prostitution zu subsumierende Tätigkeit zu verneinen (vgl. zur Annahme eines Bordellbetriebs bei einem „Verein für zwischenmenschliche Beziehungen“ mit sog. „Tagesmitgliedern“: VGH Mannheim, Beschl. v. 08.06.1999 - 8 S 1320/99 -, juris; auch VG Ansbach, Urt. v. 16.06.2004 - AN 3 K 03.00455 -, juris Rn. 31).Rn. 11
Unerheblich ist, dass die Antragstellerin zwischenzeitlich - nach Erlass der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung und somit womöglich in Reaktion auf die entsprechende Vorhaltung im Bescheid, dass bisher polizeilich keine Meldung vorgenommen worden war - die angemieteten Räume als Wohnsitz angemeldet hat. Wie oben ausgeführt kommt es ohnehin nur auf die tatsächlich Nutzung der Räumlichkeiten an.Rn. 12
Die Antragsgegnerin durfte ihre Nutzungsuntersagung im Übrigen nur auf die formelle Baurechtswidrigkeit stützen, drängt sich doch eine materielle Genehmigungsfähigkeit der tatsächlichen Nutzung nicht auf. Die Nutzungsuntersagung ist ferner zu Recht gegenüber der Antragstellerin ergangen, die als (Haupt-)mieterin der Räumlichkeiten den Besitz innehat. Sofern weitere Räumlichkeiten in der von ihr angemieteten Wohnung untervermietet sein sollten - was mit dem Antrag ohne weitere Darlegung nur behauptet wurde -, hat sie vertraglich die entsprechenden Möglichkeiten, auf die baurechtlich korrekte Nutzung der Räumlichkeiten hinzuwirken. Die Nutzungsuntersagung gegenüber den Eigentümern der Räumlichkeiten auszusprechen, bestand kein Anlass, haben diese doch der Antragstellerin ausweislich vorliegenden Mietvertrages die Wohnung lediglich zur Wohnnutzung überlassen.Rn. 13
Die im angegriffenen Bescheid vom 09.12.2011 unter Nr. 3 bestimmte Androhung eines Zwangsgelds ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Zweifel an der Eignung des Beugemittels und der Notwendigkeit der angedrohten Höhe sind weder mitgeteilt worden, noch sonst ersichtlich.Rn. 14
Gegen die mit Bescheid vom 10.02.2012 unter Ziffer 1 erfolgte Festsetzung des angedrohten Zwangsgeldes sind Bedenken gleichfalls nicht veranlasst. Die Antragsgegnerin verweist insoweit zutreffend auf den Umstand, dass auch nach dem Erlass der mit Sofortvollzug versehenen Nutzungsuntersagung weiterhin die Zeitungsanzeigen geschaltet worden sind, die - nach den obigen Darlegungen - bereits für die vorgehaltene Prostitutionsausübung sprechen. Die Antragsstellerin ist mit ihrem Antrag diesen Feststellungen nicht entgegengetreten. Ebenso verhält sie sich nicht zu den Feststellungen am 09.02.2012, dass nach vorliegendem Vermerk über den Ortstermin zwei Prostituierte erkennungsdienstlich behandelt wurden und eine von ihnen bei Ausübung ihrer Tätigkeit angetroffen wurde.Rn. 15
Gegen die in Ziffer 2.a) des Bescheides vom 10.02.2012 erfolgte erneute Androhung des Zwangsmittels gibt es nichts zu erinnern, dürfen Zwangsmittel gemäß § 19 Abs. 5 SächsVwVG doch wiederholt und solange angewandt werden, bis der Verwaltungsakt vollzogen oder auf andere Weise erledigt ist; Zwangsmittel zur Erzwingung einer Duldung oder Unterlassung werden erst nicht mehr angewandt, wenn eine weitere Zuwiderhandlung nicht zu befürchten ist.Rn. 16
Dagegen war die aufschiebende Wirkung des von der Antragstellerin eingelegten Widerspruches anzuordnen, soweit der Antragstellerin in Ziffer 2.b) des Bescheides vom 10.02.2012 der unmittelbare Zwang durch Wegnahme von Mobiliar angedroht wurde. Der Antragstellerin ist zunächst darin zu folgen, dass entgegen den Vorgaben in § 20 Abs. 3 SächsVwVG die gebotene Bestimmtheit des angedrohten Zwangsmittels nicht gegeben ist. Des Weiteren fehlt es an der Geeignetheit des angedrohten Zwangsmittels, führt doch die Wegnahme von Möbeln in Räumlichkeiten nicht dazu, dass die Räumlichkeiten entgegen der Baugenehmigung - und nur um die der Baugenehmigung entgegenstehende Nutzung geht es - zur Ausübung der Prostitution (weiter) genutzt werden. Ohne Erfolg beruft sich die Antragsgegnerin wegen der Geeignetheit des angedrohten Mittels auf eine Entscheidung des OVG Koblenz (Beschl. v. 14.04.2011 – 8 B 10278/11 -, juris). Dem vom Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall lag die Nutzung von Räumlichkeiten als ungenehmigtes Sportwettbüro zu Grunde, die durch die Wegnahme der Bildschirmgeräte verhindert werden konnte. Eine Verhinderung der Nutzung von Räumlichkeiten zur Prostitution kann hingegen nicht durch die Wegnahme von Mobiliar sichergestellt werden.Rn. 17
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.Rn. 18
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Nr. 9.4, 1.5, 1.6. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 7/2004 (NVwZ 2004, Heft 11, S. 1327).Rn. 19