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VG Düsseldorf, Beschl. v. 13.07.2012 – 18 L 1140/12 – „Schlafplätze für Versammlungsteilnehmer“

ZVR-Online Dok. Nr. 15/2013 – online seit 14.02.2013

Art. 8 Abs. 1 GG, § 15 Abs. 1 VersG

Leitsätze der Redaktion

1. Das Campieren und die Nutzung eines Zeltes zu sonstigen logistischen Zwecken sind nicht vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gedeckt.Rn. 1
2. Ein Versammlungsveranstalter hat keinen Anspruch darauf, möglichst bequeme Rahmenbedingungen für die Versammlungsteilnehmer schaffen und diesen Schlafmöglichkeiten anbieten zu können.Rn. 2

Gründe

Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2012 hat der Antragsteller den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgenommen, soweit dieser sich auf die Auflage Ziffer 1. der beschränkenden Verfügung vom 9. Juli 2012 (Festsetzung des K-Platzes als Versammlungsort) bezog. Insoweit war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Der nur noch gestellte sinngemäße Antrag

die aufschiebende Wirkung der Klage 18 K 4956/12 gegen die Auf-lagen Ziffern 2. bis 3. der beschränkenden Verfügung des Antrags-gegners vom 9. Juli 2012 wiederherzustellen,

hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Rn. 3
Hat die Behörde - wie hier - einen belastenden Verwaltungsakt unter Hinweis auf ein überwiegendes öffentliches Interesse für sofort vollziehbar erklärt (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), so kann das Verwaltungsgericht auf Antrag des Betroffenen gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Die Wiederherstellung ist geboten, wenn das Interesse des Antragstellers daran, von der Durchsetzung der angefochtenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung überwiegt. Bei der Interessenabwägung kommt mit Rücksicht darauf, dass der Sofortvollzug beschränkender Auflagen im Versammlungsrecht in der Regel - so auch hier - wegen Zeitablaufs zur endgültigen Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung führt, den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache besondere Bedeutung zu.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BVR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315 ff.
Rn. 4
Im vorliegenden Fall ergibt diese Prüfung, dass die Klage gegen die Auflagen Ziffern 2. und 3. der beschränkenden Verfügung vom 9. Juli 2012 - die eine den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügende Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung enthält - voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die Auflagen dienen der Herausnahme nicht versammlungsrechtlicher Elemente der Veranstaltung und der Rückführung auf den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG. Mit dieser Zielrichtung stellen sie sich als rechtmäßig dar.Rn. 5
Der Antragsteller beabsichtigt, vom 10. Juli 2012 bis zum 6. August 2012 eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel in Form einer Mahnwache mit dem Thema "Protest gegen H" durchzuführen.Rn. 6
Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.Rn. 7
Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die genannten Auflagen Ziffern 2. und 3. inhaltlich hinreichend bestimmt. Sie lassen eindeutig erkennen, was von den Teilnehmern der Mahnwache insoweit verlangt wird. Aus ihnen ergibt sich zweifelsfrei, dass vor Ort nicht campiert werden darf, weshalb keine Schlafstätten (Feldbetten, Matratzen oder ähnliche Gegenstände) aufgestellt werden dürfen (Auflage Ziffer 2.), ferner, dass das Zelt bestimmte äußere Abmessungen einhalten muss und über die ihm (angeblich) zukommende Symbolfunktion (siehe hierzu unten) hinaus nicht genutzt werden darf (Auflage Ziffer 3.).Rn. 8
Inhaltlich erweisen sich die Auflagen Ziffern 2. und 3. der beschränkenden Verfügung bei summarischer Prüfung ebenfalls als rechtmäßig. Es besteht eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG, wenn am Ort der Mahnwache campiert und ein Zelt zum Übernachten und zu sonstigen logistischen Zwecken genutzt wird, weil derartige Betätigungen nicht mehr in den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG fallen, sondern als straßenrechtliche Sondernutzung erlaubnisbedürftig sind. Da hier, soweit ersichtlich, eine Sondernutzungserlaubnis weder beantragt noch erteilt wurde, ist das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit unmittelbar gefährdet.Rn. 9
Das Campieren und die Nutzung eines Zeltes zu sonstigen logistischen Zwecken ist nicht vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gedeckt. Art. 8 GG schützt das ungehinderte Zusammenkommen mit anderen Personen zum Zweck der gemeinsamen Meinungsbildung und Äußerung. Die Veranstalter bestimmen dabei selbst darüber, was sie zum Gegenstand öffentlicher Meinungsbildung machen und welcher Formen der kommunikativen Einwirkung sie sich bedienen wollen. Daher kann auch das Aufstellen eines Zeltes Teil der kollektiven Aussage zwecks Einwirkung auf die öffentliche Meinungsbildung sein. Der Antragsteller misst hier dem Zelt eine derartige symbolische Bedeutung bei, da Thema der Mahnwache unter anderem die Unterbringungssituation von Asylbewerbern sein soll. Wenn man unterstellt, dass dem Zelt in diesem Zusammenhang tatsächlich - auch - eine solche Symbolfunktion zukommt, so hat der Antragsgegner dem Rechnung getragen, indem er gegen ein kleines Zelt, das weitergehend nicht benutzt werden darf, keine Einwendungen erhoben hat. Darüber hinaus können die Teilnehmer zum Aufenthalt sowie zum Lagern von Gegenständen den offenen Pavillon benutzen. Soweit das Zelt über die von ihm (angeblich) ausgehende Symbolik hinaus eine logistische Funktion (zum Übernachten, Aufbewahren von Gegenständen und als Witterungsschutz) erfüllt, geht es dem Antragsteller offenbar darum, möglichst bequeme Rahmenbedingungen für die Teilnehmer der Mahnwache zu schaffen und dabei vor allem auch Schlafmöglichkeiten anzubieten. So heißt es in der in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Pressemitteilung des Unterstützerkreises vom 10. Juli 2012, es würden Flüchtlinge aus X und aus anderen Flüchtlingsheimen nach E kommen und dort ein Zelt aufbauen. Dies lässt sich nur so verstehen, dass das "Camp" als vorübergehender Ersatz für die Unterbringung in der Asylbewerberunterkunft, quasi als Ersatz-Obdach, genutzt werden soll. Eine derartige Nutzung ist von der Versammlungsfreiheit nicht mehr gedeckt. Art. 8 GG umfasst nicht das Recht, Zelte und Inventar zu logistischen Zwecken, etwa zur Bereitstellung von Schlafmöglichkeiten, in eine Versammlung einzubringen. Wer sich "rund um die Uhr" unter freiem Himmel versammelt, setzt sich zwangsläufig der Müdigkeit und der jeweils herrschenden Witterung aus; er kann aus dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit kein Recht auf Schlafmöglichkeiten und Witterungsschutz durch ein Zelt ableiten.

Vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 12. April 2012 - 10 CS 12.767 -, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 15. Mai 2012 - W 5 S 12.397 -, juris; VG Stuttgart, Beschluss vom 23. August 2006 - 5 K 3128/06 -, juris; VG Lüneburg, Beschluss vom 18. November 2005 - 3 B 79/05 -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 17. Juni 2004 - 1 A 153.04 -, juris, Dietlein, NVwZ 1992, 1066; Kanther, NVwZ 2001, 1239 ff.
Rn. 10
Daher stellt die vom Antragsteller konkret beabsichtigte Nutzung des öffentlichen Straßenraumes eine genehmigungspflichtige Sondernutzung und - mangels Genehmigung - einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit dar. Diesen Verstoß zu verhindern bezwecken die in Rede stehenden Auflagen, deren sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse zur Verhinderung des ansonsten eintretenden rechtswidrigen Zustandes geboten ist. Dadurch wird dem Antragsteller die Durchführung einer Mahnwache "rund um die Uhr" nicht unmöglich gemacht. Deren Teilnehmern steht es frei, sich beim Wachen vor Ort abzulösen.Rn. 11
Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des zurückgenommenen Teils des Streitgegenstandes aus § 155 Abs. 2 VwGO und im Übrigen aus § 154 Abs. 1 VwGO.Rn. 12
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Sie berücksichtigt, dass hier durch die beantragte Entscheidung im Eilverfahren die Hauptsache faktisch vorweggenommen wird.Rn. 13