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OVG Münster, Urt. v. 10.08.2012 – 20 A 1240/11 – „Tätowierservice für Tiere“

ZVR-Online Dok. Nr. 23/2013 – online seit 25.02.2013

§ 1 TierSchG, § 5 Abs. 3 TierSchG, § 16a TierSchG

Leitsatz der Redaktion

Die Realisierung von ästhetischen Wunschvorstellungen eines Tierhalters ist kein vernünftiger Grund im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG für das Tätowieren von TierenRn. 1

Tatbestand

Der Beklagte erhielt am 19. Juli 2010 einen Hinweis aus der Bevölkerung, dass der Kläger den Oberschenkel eines Pferdes mit einer Tätowierung versehen habe. Bei einer örtlichen Überprüfung am folgenden Tag fand der Beklagte beim Kläger ein Schimmelpony vor, dessen rechter hinterer Oberschenkel zum Teil rasiert worden war. Der Kläger erklärte, er beabsichtige, das Pony mit der sog. "Rolling-Stones-Zunge" tätowieren zu lassen. Der Beklagte untersagte ihm daraufhin mündlich das Tätowieren des Pferdes mit der Begründung; Tätowieren zu kosmetischen Zwecken sei unvereinbar mit dem Tierschutzrecht.Rn. 2
Am 21. Juli 2010 meldete der Kläger das Gewerbe "Tätoservice für Tiere" an. Er vertrat gegenüber dem Beklagten die Meinung, das Tätowieren eines Pferdes sei tierschutzrechtlich zulässig; ein gegenläufiges Verbot greife rechtswidrig in seinen Gewerbebetrieb ein. Der Veterinär Dr. I. des Beklagten gelangte in einem tierärztlichen Gutachten vom 22. Juli 2010 zu dem Ergebnis, Tätowieren führe insbesondere bei Pferden zu Schäden an der Haut und zu länger anhaltenden Schmerzen.Rn. 3
Mit Ordnungsverfügung vom 26. Juli 2010 ordnete der Beklagte gegenüber dem Kläger an, "keine Tiere mit Ausnahme zu den in § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG genannten Zwecke" zu tätowieren bzw. tätowieren zu lassen. Zur Begründung führte er aus: Das Eindringen der Tätowiernadeln in die Haut führe zur Zerstörung von Gewebe und zu Schmerzen. Eine Tätowierung von Tieren sei für die in § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG genannten Zwecke erlaubt. Die vom Kläger beabsichtigte Tätowierung zur Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Ponys stelle aber einen kosmetischen Eingriff dar. Ein solcher Eingriff sei zeitaufwendig. Für ihn gebe es keinen vernünftigen Grund.Rn. 4
Eine erneute Kontrolle am 24. August 2010 ergab, dass der rechte hintere Oberschenkel des Schimmelponys eine ca. 15 cm große Skizze der "Rolling-Stones-Zunge" aufwies. Die Haut des Pferdes war im Bereich der linienhaften Umrisse der Skizze teilweise etwas erhaben, aber schmerzfrei. Der Kläger gab an, er habe am vorangegangenen Tag einen Tätowierversuch vornehmen lassen; der Versuch sei abgebrochen worden, weil die Haut des Pferdes für die verwendete Tätowiernadel zu dick gewesen sei.Rn. 5
Am 26. August 2010 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat vorgetragen: Die Anordnung sei nicht hinreichend bestimmt. Es sei unklar, ob die Ausnahme vom Verbot einen Zweck oder mehrere Zwecke betreffe. Ferner sei das Tätowieren eine zulässige Kennzeichnung von Tieren. Eine Kennzeichnung von Tieren durch Tätowierung sei nach § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG grundsätzlich zulässig, und zwar als Eingriff ohne Betäubung. Für eine Kennzeichnung von Pferden durch Tätowierung bestehe wegen der Notwendigkeit der sicheren Identifizierbarkeit ein Bedarf. Der Pferdepass könne manipuliert werden. Der überkommene Schenkelbrand werde kritisch betrachtet. Die Verwendung von Mikrochips sei mit Risiken für die Pferde verbunden und nicht genügend zuverlässig. Dagegen könne eine Tätowierung nur chirurgisch verändert oder entfernt werden. Sie werde durch nachwachsendes Haar überdeckt und könne erforderlichenfalls durch eine Rasur freigelegt werden. Er, der Kläger, beabsichtige, eine Datei aufzubauen, die Auskunft über die einzelnen Tätowierungen und die Halter bzw. Eigentümer des jeweiligen Pferdes gebe. Die Vorteile einer Tätowierung stünden nicht außer Verhältnis zu den durch das Tätowieren ggfs. verursachten Beeinträchtigungen des Pferdes. Das Tätowieren sei für ein Pferd nicht mit Schmerzen verbunden, jedenfalls nicht mit Schmerzen, die über diejenigen bei Anwendung der in § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG genannten Methoden der Kennzeichnung hinausgingen. Es dauere in Abhängigkeit vom jeweiligen Motiv zeitlich nicht notwendig lange und könne jederzeit unterbrochen oder abgebrochen werden. Ein vergleichbarer Eingriff an Menschen werde üblicherweise ohne Betäubung vorgenommen. Das Verbot verstoße gegen seine, des Klägers, Rechte auf Schutz des Eigentums und auf Berufsausübung.Rn. 6
Der Kläger hat beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 26. Juli 2010 aufzuheben.
Rn. 7
Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.
Rn. 8
Er hat vorgetragen: Das Tätowieren verstoße gegen das abschließend geregelte Verbot der Zerstörung von Gewebe. Es sei mit Schmerzen sowie Leiden für das Tier verbunden. Eine dauerhafte Kennzeichnung könne nur durch Einbringen von Farbpigmenten in die mittlere Hautschicht erreicht werden. Ein tierschutzrechtlich vernünftiger Grund für ein Tätowieren sei nicht gegeben. § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG lasse zur Kennzeichnung von Pferden ausschließlich die genannten Verfahren zu. Die Kennzeichnung von Pferden mit einem Mikrochip sei zwingend vorgeschrieben.Rn. 9
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil, auf das Bezug genommen wird, abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Ordnungsverfügung sei erforderlich, um Verstöße gegen § 1 Satz 2 TierSchG und § 6 Abs. 1 Satz 1 TierSchG zu verhüten. Das Tätowieren sei für das betreffende Pferd mit Schmerzen verbunden und nicht von einem vernünftigen Grund gedeckt. Es diene wirtschaftlichen Interessen des Klägers. Das Verbot verletze den Kläger auch nicht in seinen Grundrechten.Rn. 10
Hiergegen richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Klägers, zu deren Begründung der Kläger ergänzend und vertiefend vorträgt: Die angefochtene Anordnung sei inhaltlich nicht eindeutig. Nach dem Empfängerhorizont gebe es mehrere Zwecke für die Kennzeichnung. Das Verbot sei auch inhaltlich rechtswidrig. Die von § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG erfassten Kennzeichnungen führten zu dauerhaften Verletzungen der Haut und seien mit erheblichen Schmerzen für die Tiere verbunden. Das Tätowieren genüge dem Sinn und Zweck der in dieser Vorschrift genannten Kennzeichnungen, verursache aber keine Schmerzen. Liege im Tätowieren überhaupt ein Eingriff, sei er für das Pferd erheblich schonender als andere Methoden zur Kennzeichnung und, weil diese legalisiert seien, ebenfalls zulässig. Das treffe auch im Verhältnis zur Kennzeichnung durch Mikrochip zu. Das in der Diskussion stehende Verbot des Schenkelbrandes erhöhe die Bedeutung des Tätowierens für die sichere Identifizierung eines Pferdes. Selbst wenn, was nicht der Fall sei, beim Tätowieren kurzfristig Schmerzen auftreten würden, bedürfe es keiner Betäubung. Menschen würden grundsätzlich ohne Betäubung tätowiert. Auch sei der Schmerz einer Betäubung größer als derjenige beim Tätowieren. Das Tätowieren habe den Vorteil, dass das äußere Erscheinungsbild des Pferdes unverändert sei, sobald das Haar nachgewachsen sei. Das Farbmittel werde durch Einstiche in die mittlere Hautschicht eingebracht. Die Nadeln würden nur einmalig für einen sehr kurzen Zeitraum in die Haut eindringen. Hierdurch werde das Gewebe nicht dauerhaft zerstört.Rn. 11
Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
Rn. 12
Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.
Rn. 13
Er trägt ergänzend und vertiefend vor: Das Eindringen der Tätowiernadeln in die Haut führe zu Schmerzen. Tätowierungen seien keine Alternative zu den gesetzlich genannten Möglichkeiten der Kennzeichnung eines Tieres. Die bei Pferden vorgeschriebene elektronische Kennzeichnung erfordere keine mit Schmerzen verbundene Doppelkennzeichnung.Rn. 14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verfahrensakte VG Münster 1 L 481/10 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.Rn. 15

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 26. Juli 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).Rn. 16
Die mit der Ordnungsverfügung getroffene Anordnung, "keine Tiere mit Ausnahme zu den in § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG genannten Zwecke" zu tätowieren oder tätowieren zu lassen, genügt entgegen der Auffassung des Klägers den Anforderungen an die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsakts (§ 37 Abs. 1 VwVfG NRW). Der Kläger kann, was insofern entscheidend ist, bei gebotener Auslegung der Ordnungsverfügung nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt (§ 133 BGB in entsprechender Anwendung) vollständig und eindeutig erkennen, was von ihm verlangt wird.Rn. 17
Die Anordnung beinhaltet unmissverständlich das Verbot, Tiere selbst zu tätowieren oder durch Dritte tätowieren zu lassen. Die Einschränkung des Verbots durch die Ausnahme ruft keine Unklarheit hervor, die der hinreichenden Bestimmtheit seiner Reichweite entgegensteht. Einem verständigen Leser der Ordnungsverfügung, auch dem Kläger, muss bei Einbeziehung ihres Gesamtgehalts klar sein, dass dem Kläger das Tätowieren von Tieren untersagt wird, soweit es nicht § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG unterfällt, also für die Kennzeichnung und unter den in § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG genannten Voraussetzungen vorgenommen wird. Die von der Ausnahme erfassten Tätowierungen werden ihrerseits durch die in Bezug genommene Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG festgelegt. Über deren Regelungsgehalt gibt die Begründung der Ordnungsverfügung Aufschluss und kann der Kläger sich ohne Schwierigkeiten anhand des Gesetzes Gewissheit verschaffen.Rn. 18
Der Kläger weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Ausnahme nach ihrem Wortlaut wegen des grammatikalischen Widerspruchs zwischen dem Prädikat "den" und dem zugehörigen Substantiv "Zwecke" auf das Tätowieren zu einem Zweck oder zu mehreren Zwecken bezogen werden kann. Auch für ihn ist aber, weil es aus dem Regelungsbereich des § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG allein um Tätowierungen geht und diese dort als Mittel für die Kennzeichnung von Tieren in bestimmten Fällen geregelt werden, unübersehbar, dass die nach Maßgabe dieser Vorschrift bestehenden Befugnisse zum Tätowieren unberührt bleiben sollen. Die Begründung der Ordnungsverfügung enthält die ausdrückliche Aussage, es richte sich nach den Ausnahmen zum Verbot nach § 6 TierSchG, ob ein solcher Eingriff - gemeint eine Tätowierung - grundsätzlich zulässig sei; "danach" werde eine Tätowierung für die in § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG genannten Zwecke erlaubt. Hieran schließt sich unmittelbar eine Erläuterung der Zwecke ("hierbei") an, die neben dem funktionalen Merkmal der Kennzeichnung auch die hierfür bei verschiedenen Tierarten in Betracht kommenden unterschiedlichen Methoden einbezieht. Das wird bezogen auf Pferde weitergehend konkretisiert durch die Bezeichnung der Voraussetzungen, unter denen nach § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG Tätowierungen für eine Kennzeichnung in Betracht kommen, sowie die darauf folgende Schlussfolgerung, bei der vom Kläger vorgesehenen Tätowierung zur Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Schimmelponys handele es sich nicht um eine Kennzeichnung im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG, sondern um einen kosmetischen Eingriff. Dem ist insgesamt ohne weiteres sicher zu entnehmen, dass sich die in der Anordnung eingeräumte Ausnahme vom Verbot des Tätowierens auf die von dieser Vorschrift erfassten Tätowierungen bezieht, aber auch nur auf diese.Rn. 19
Rechtsgrundlage der Anordnung ist § 16a Satz 1 TierSchG. Danach trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhinderung zukünftiger Verstöße notwendigen Anordnungen.Rn. 20
Das Vorhaben des Klägers, Tiere zu tätowieren bzw. tätowieren zu lassen, verstößt, soweit es ihm untersagt worden ist, gegen das Tierschutzrecht.Rn. 21
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Tätowieren dem Verbot nach § 6 Abs. 1 Satz 1 TierSchG zuwiderläuft. Nach dieser Vorschrift verboten ist das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entnehmen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres. Beim Tätowieren werden üblicherweise Farbpigmente durch Nadeln in die mittlere der drei Hautschichten eingebracht. Die vom Kläger vorgesehene Tätowiermethode stimmt mit dieser Vorgehensweise überein. Dass zum Tätowieren Nadeln bis in die mittlere Hautschicht eingestochen werden, hat der Kläger im Berufungsverfahren in Übereinstimmung mit der Darstellung des Beklagten bestätigt. Dementsprechend wird die Haut durch die Nadeln verletzt. Die Verletzung trägt aber ohne weitergehende Auswirkungen nicht die Annahme, dass die Haut, was als verbotene Handlung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 TierSchG allein zu erwägen ist, zumindest teilweise "zerstört" wird. Kennzeichnendes Merkmal einer Zerstörung ist nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Schädigung, die das betreffende Objekt unbrauchbar macht für seine bestimmungsgemäße Funktion.

Vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Stichwort "Zerstören".
Rn. 22
Die Annahme einer durch Tätowieren verursachten Schädigung der Haut mit dieser Tragweite begegnet Bedenken. Zu erwägen ist, dass die durch das Tätowieren hervorgerufenen Verletzungen sich, abhängig vom jeweiligen Motiv, auf kleinere Bereiche der Haut beschränken und unter Umständen ohne bleibende funktionale Beeinträchtigungen ausheilen. Die Einschätzung des Beklagten, dass durch das Tätowieren Hautgewebe zerstört wird, wird nicht durch die vom Veterinär Dr. I. im Gutachten vom 22. Juli 2010 herangezogenen Auszüge aus einem veterinärmedizinischen Fachbuch oder durch sonstige aussagekräftige Hinweise auf eine ins Gewicht fallende, vor allem dauerhafte, Beeinträchtigung von Hautfunktionen gestützt.Rn. 23
Das bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls verstößt das dem Kläger untersagte Vorhaben gegen § 1 Satz 2 TierSchG. Nach dieser Vorschrift darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.Rn. 24
Das Tätowieren ruft bei den betroffenen Tieren, die hierfür aufgrund ihrer körperlichen Gegebenheiten und der sonstigen für eine solche Maßnahme wesentlichen Rahmenbedingungen in Frage kommen, Schmerzen und/oder Leiden hervor.Rn. 25
Schmerzen sind unangenehme Sinnes- oder Gefühlserlebnisse, die mit akuten oder potenziellen Gewebeschädigungen verknüpft sind.

Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 2. Aufl., § 1 Rn. 12.
Rn. 26
Leiden sind alle nicht bereits vom Begriff des Schmerzes umfassten Beeinträchtigungen im Wohlbefinden, die über ein schlichtes Unbehagen hinausgehen und eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne andauern.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 2000 - 3 C 12.99 -, Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 11.
Rn. 27
Das Tätowieren ist mit derartigen Empfindungen für die Tiere verbunden; einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen bedarf es insofern nicht. § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG setzt das Auftreten von Schmerzen und/oder Leiden beim Tätowieren für Wirbeltiere deshalb voraus, weil für bestimmte Tätowierungen Ausnahmen vom grundsätzlichen Erfordernis der Betäubung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TierSchG eröffnet werden. Die Ausnahmen machen nur Sinn vor dem Hintergrund der von tiermedizinischen Kenntnissen gestützten Annahme, dass den Tieren durch die Tätowierung ohne Betäubung Schmerzen und/oder Leiden zugefügt werden.Rn. 28
Bedenken gegen die fachliche Richtigkeit dieser Einschätzung bestehen nicht. Sie stimmt überein mit der physiologischen Fähigkeit von Wirbeltieren zum Empfinden von Schmerzen und dem technischen Ablauf des Tätowierens. Das Einbringen der Farbpigmente mittels Tätowiernadeln in die mittlere Hautschicht ist nicht ohne Verletzungen der Haut und Reizung der in ihr vorhandenen Schmerzrezeptoren durchführbar. Speziell die Haut von Pferden weist ausweislich des Gutachtens des Veterinärs Dr. I. vom 22. Juli 2010 die (Nerven-)Strukturen auf, die bei derartigen Verletzungen auf Schmerzen schließen lassen.Rn. 29
Der Kläger zieht das Vorhandensein der physiologischen Voraussetzungen für Schmerzempfindungen auch nicht in Zweifel. Er bestreitet, dass gerade das Tätowieren bei einem Pferd Schmerzen auslöst, und verweist insofern u. a. auf die geringe Eindringtiefe der von ihm entwickelten bzw. benutzten Tätowiernadeln und die jeweils sehr kurze - allerdings in Abhängigkeit von der Größe des Motivs wiederkehrende - Dauer des Eindringens der Nadeln in die Haut. Sein Vorbringen erschüttert die Tragfähigkeit der anderslautenden Beurteilung des Beklagten nicht. Der Veterinär hat gutachterlich ausdrücklich bekundet, dass das Eindringen von Tätowiernadeln in die Haut zu einem Schmerzempfinden führt. Er hat hierbei auf einschlägige Fachliteratur

- Wissdorf/Gerhardts/Huskamp, Praxisorientierte Anatomie des Pferdes,S. 41 f. -
Rn. 30
zurückgegriffen. Seine Einschätzung deckt sich mit gesicherten Erkenntnissen zur weitgehenden Übereinstimmung der Struktur des Zentralnervensystems von Säugetieren und Menschen.

Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a. a. O., § 1 Rn. 15.
Rn. 31
Die Sach- und Fachkunde des Veterinärs begegnet keinen Zweifeln. Er gehört als beim Beklagten tätiger Tierarzt zu dem Personenkreis, dessen fachliche Einschätzung potenziell tierschutzrechtlich relevanter Verhältnisse und Bewertung der Gegebenheiten aufgrund seiner Ausbildung und praktischen Erfahrungen besonderes Gewicht hat. Die Erforderlichkeit eines spezifischen Fachwissens, über das der Veterinär nicht verfügt, ist nicht zu erkennen.Rn. 32
Ferner gibt es keinen konkreten Anhalt dafür, dass das Gutachten des Veterinärs bezogen auf die Beurteilung des Entstehens von Schmerzen und/oder Leiden etwa auf unzutreffenden Annahmen beruhen oder sonstige Mängel aufweisen könnte, aufgrund deren es als Grundlage für die Bildung der gerichtlichen Überzeugung ungeeignet wäre. Eine medizinisch oder in sonstiger Hinsicht fachlich fundierte Grundlage für seine Annahme, dass Tätowieren bei Tieren im Allgemeinen und bei Pferden im Besonderen keine Schmerzen verursacht, hat der Kläger nicht beigebracht. Soweit er auf das Verhalten des im August 2010 tätowierten Pferdes verweist, hat es sich nach seinen eigenen Angaben um einen Versuch gehandelt, der abgebrochen worden ist, weil die Haut des Pferdes für die verwendete Tätowiernadel zu dick war. Der Beklagte hat noch am Tag nach dem Tätowieren festgestellt, dass die Haut des Pferdes im Bereich der Umrisse der Skizze teilweise etwas erhaben war. Das vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgestellte Muster eines Geräts zum Tätowieren besteht im Wesentlichen aus der stempelartigen Anordnung einer größeren Anzahl von Nadeln/Nägeln, die gleichzeitig durch einen schlagartigen Druck in die Haut eingestochen werden sollen. Ein Anhaltspunkt dafür, dass die Verwendung dieses Geräts nicht typischerweise mit Schmerzen für das Tier verbunden ist, ist nicht erkennbar. Der Hinweis des Klägers, dass Menschen üblicherweise ohne Betäubung tätowiert werden, bezieht sich ersichtlich nicht auf den Einsatz dieses Geräts bei Menschen und ist zudem vom Bild eines Menschen geprägt, der sich freiwillig und im Interesse am von ihm positiv bewerteten Ergebnis des Tätowiervorgangs tätowieren lässt. Letzteres lässt nicht den Schluss zu, dass das Tätowieren nicht in Abhängigkeit vom individuellen Empfinden (auch) des jeweiligen Menschen und den Einzelheiten des Vorgangs - Körperstelle, Größe des Motivs, Dauer usw. - unangenehme Empfindungen und damit Schmerzen auslöst, die wegen der erforderlichen Heilung der Haut zeitlich über den Vorgang des Tätowierens noch hinausreichen. Das Absehen von einer Betäubung beim Tätowieren von Menschen besagt allenfalls, dass Menschen, lassen sie sich tätowieren, hierbei keine Schmerzen in einem Maße empfinden, das üblicherweise nicht aus freien Stücken oder ohne schmerzhindernde/-hemmende Mittel in Kauf genommen oder ertragen wird. Auf Tiere lässt sich das nicht übertragen. Bei ihnen kommt dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass Schmerzempfindungen, auch wenn sie eine noch erträgliche Intensität nicht überschreiten, die biologische Funktion haben, zielgerichtete Reaktionen zu ihrer Vermeidung oder Beseitigung auszulösen,

Vgl. hierzu Hirt/Maisack/Moritz, a. a. O., § 1 Rn. 13, 15b,
Rn. 33
und Tieren derartige Reaktionen, die wegen der fehlenden Vertrautheit mit dem Tätowieren und dessen Folgen bedeutsam für ihr Wohlbefinden sind, aufgrund des beim Tätowieren typischerweise notwendigen Fixierens verwehrt sind. Ferner sind Tiere anders als Menschen zu einer vernunftmäßigen Abwägung von Vor- und Nachteilen einer - Tieren notwendig zwangsweise beigebrachten - Tätowierung außerstande.Rn. 34
Ein vernünftiger Grund im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG besteht für das dem Kläger untersagte Tätowieren von Tieren nicht. Das Merkmal des vernünftigen Grundes ist Ausdruck der generellen Zielsetzung des Tierschutzgesetzes, ethische Grundsätze für den Schutz von Tieren und entgegenstehende Erfordernisse unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit miteinander in Einklang zu bringen. Es verlangt eine Abwägung zwischen dem Schutz des Lebens und des Wohlbefindens des Tieres einerseits (§ 1 Satz 1 TierSchG) sowie gegenläufigen menschlichen Belangen andererseits.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Juli 1998 - 20 A 592/96 -, NuR 1999, 115, m. w. N.
Rn. 35
Bei einem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eines Tiers kommen dessen Erforderlichkeit sowie der Vermeidbarkeit der Zufügung von Schmerzen und Leiden besondere Bedeutung zu.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 1981 - 3 C 37.80 -, Buchholz 418.9 TierSchG Nr. 2.
Rn. 36
Das Tätowieren von Tieren im untersagten Umfang findet in den vom Kläger angeführten Motiven keinen als "vernünftig" zu bewertenden Grund. Dem Schutz der Tiere vor Schmerzen und/oder Leiden kommt gegenüber den vom Kläger für sein Vorhaben genannten (vermeintlichen) Vorteilen der Vorrang zu.Rn. 37
Die Absicht des Klägers, Tätowierungen berufs- und/oder gewerbsmäßig vorzunehmen oder vornehmen zu lassen, also in Verfolgung wirtschaftlicher Interessen prinzipiell grundrechtlich geschützte Tätigkeiten auszuüben, verleiht als solche seinen Belangen kein nennenswertes Gewicht. Sinn und Zweck des Erfordernisses der Abwägung der gegenläufigen Belange zur Ermittlung eines vernünftigen Grundes im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG ist es, die Durchsetzbarkeit der regelmäßig auch von wirtschaftlichen Zielsetzungen der Nutzung von Tieren gesteuerten menschlichen Interessen am Umgang mit Tieren auch in den Sachverhalten, die in den nachfolgenden Vorschriften keiner speziellen Regelung unterworfen worden sind, durch einen angemessenen Schutz der hiervon betroffenen Tiere zu begrenzen. Dieses Schutzanliegen wiegt im Verhältnis zur wirtschaftlichen Nützlichkeit von dem Wohlbefinden der Tiere abträglichen Maßnahmen für den Menschen schwer, zumal auch der Tierschutz verfassungsrechtlich verankert ist (Art. 20a GG). Wirtschaftliche Vorteile von Maßnahmen reichen für sich genommen nicht aus, um ein Tier einem mit Schmerzen und/oder Leiden verbundenen Eingriff zu unterwerfen. Das gilt erst recht dann, wenn - wie hier - nicht die Fortsetzung einer längere Zeit unbeanstandet ausgeübten, insbesondere herkömmlichen, und wirtschaftlich ertragreichen Berufstätigkeit oder praktizierten gewerblichen Betätigung verwehrt wird, sondern die Verwirklichung einer neuen und erstmals im zeitlichen Zusammenhang mit ordnungsbehördlichem Einschreiten vorgebrachten "Geschäftsidee".Rn. 38
Nimmt man mit dem Beklagten an, dass maßgebliches Ziel des Tätowierens für den Kläger eine - wirtschaftlich verwertbare und geprägte - modebedingte, von den Vorliegen oder Interessen des jeweiligen Eigentümers/Halters abhängige Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes des Tieres ist, ergibt sich nichts anderes. Bei einem Tier besteht kein anzuerkennendes Erfordernis für eine Verzierung oder Verschönerung durch Tätowierung. § 1 Satz 1 TierSchG schützt das Tier in seiner naturgegebenen körperlichen Integrität und Unversehrtheit. Die Realisierung bloß ästhetischer Wunschvorstellungen des Halters bzw. Eigentümers hinsichtlich des Aussehens des Tieres durch mit Schmerzen und/oder Leiden verbundene Eingriffe wird der ethischen Grundausrichtung des Tierschutzes nicht gerecht. Auf diesem Gesichtspunkt beruhen die Verbote nach § 6 Abs. 1 Satz 1 TierSchG.Rn. 39
Die vom Kläger genannte Begründung für das beabsichtigte Tätowieren, Tiere mit einer sicheren individuellen Kennzeichnung zu versehen, verschafft seinen Interessen ebenfalls kein Übergewicht vor den gegenläufigen Belangen der Tiere.Rn. 40
Zwar kann für Tätowierungen zur Kennzeichnung von Tieren ein vernünftiger Grund im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG bestehen. § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG bringt das dadurch zum Ausdruck, dass Ohr- und Schenkeltätowierungen für die Kennzeichnung unter bestimmten Voraussetzungen ohne Betäubung vorgenommen werden dürfen. Das besagt aber nicht, dass Tätowierungen für die Kennzeichnung generell mit § 1 Satz 2 TierSchG im Einklang stehen. Im Gegenteil beschränkt sich die positive gesetzliche Bewertung von Tätowierungen durch § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG auf bestimmte Tätowierungen bei abschließend genannten Tieren. Bei Pferden gehört hierzu zudem die Begrenzung auf den Zeitraum der ersten zwei Lebenswochen.Rn. 41
Auf Tätowierungen innerhalb des Rahmens von § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG, deren Vornahme, wie ausgeführt, durch die Ordnungsverfügung nicht verwehrt wird, zielt das Vorhaben des Klägers aber nicht. Die von ihm beabsichtigten Tätowierungen sollen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG ohne Betäubung der Tiere vorgenommen werden. Das läuft § 5 Abs. 1 Satz 1 TierSchG zuwider. Nach dieser Vorschrift darf an einem Wirbeltier ohne Betäubung ein mit Schmerzen verbundener Eingriff nicht vorgenommen werden. Die darin enthaltene gesetzliche Wertung kommt angesichts der durch Tätowierungen nach dem Vorstehenden hervorgerufenen Schmerzen und/oder Leiden nur dann nicht zum Tragen, wenn man zugunsten des Klägers annimmt, dass § 5 Abs. 2 Nr. 1 TierSchG eingreift. Das ist aber zweifelhaft, weil das Tätowieren von Menschen und Tieren allenfalls hinsichtlich des diesbezüglichen technischen Vorgangs miteinander vergleichbar und mangels näherer Ausführungen des Klägers nicht gesichert ist, dass der mit dem Tätowieren verbundene Schmerz geringer ist als die mit einer Betäubung verbundene Beeinträchtigung. Bezogen auf die vom Kläger angegebene Funktion der von ihm beabsichtigten Tätowierungen als - zudem zwangsweise angebrachtes - Kennzeichen zur Identifizierung und den Einsatz des von ihm vorgestellten Geräts ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass Derartiges in ähnlicher Art und Weise auch bei Menschen vorkommt.Rn. 42
Auch das kann indessen im Ergebnis auf sich beruhen. Denn daraus, dass betäubungsloses Tätowieren für die Kennzeichnung von Tieren als "vernünftig" in Betracht kommt, folgt nicht, dass es unter den für die Beurteilung maßgeblichen Umständen des gegebenen Einzelfalls auch tatsächlich so zu bewerten ist. Es fehlt an für die Feststellung eines vernünftigen Grundes im Sinne von § 1Satz 2 TierSchG erforderlichen aussagekräftigen Anhaltspunkten dafür, dass das vom Kläger beabsichtigte Tätowieren von einem schutzwürdigen Zweck getragen wird und zu einer objektiv sinnvollen Kennzeichnung der betroffenen Tiere führt.Rn. 43
Erheblich zweifelhaft ist bereits, ob die Eigenschaft einer Tätowierung als ein dem Körper fest anhaftendes Identifizierungsmerkmal/Kennzeichen vom Kläger nicht lediglich zur Rechtfertigung einer von ihm zu anderen Zwecken vorgenommenen Maßnahme vorgeschoben wird. Auslöser der Ordnungsverfügung war das Vorhaben des Klägers, ein Pferd mit der sog. "Rolling-Stones-Zunge" tätowieren zu lassen. Dabei handelt es sich um ein Bildsymbol, das in beliebiger Zahl wiederkehrend verwendet werden kann und neben seiner Funktion als Markenzeichen für das Unternehmen "Rolling Stones" sowie dessen Produkte als Mittel zur modischen Gestaltung von Sachen in Gebrauch ist. Es ist in seiner Form und Verwendung nicht auf ein bestimmtes Individuum zugeschnitten, sondern stellt ohne individualisierende Zusätze lediglich eine bildhafte Verbindung zu einer übergreifenden Gesamtheit von Individuen oder Sachen dar. Durch dieses Bildsymbol wird das Tier, wie es in vergleichbarer Weise etwa bei einer Tätowierung mit werbenden Aussagen für ein Produkt der Fall wäre, in erster Linie zum - für ein Kennzeichen sachfremden - Mittel, Aufmerksamkeit hervorzurufen. Das Fehlen des vom Kläger vorgebrachten Zwecks des Tätowierens, Tiere mit einem ihrer Identifizierung dienenden Kennzeichen zu versehen, wird dadurch bestätigt, dass er einen gegenständlich nicht näher eingegrenzten, vor allem nicht auf Tätowierungen mit für eine Kennzeichnung bestimmtem Aussagegehalt beschränkten, "Tätoservice für Tiere" als Gewerbe angemeldet hat. Sein Vorbringen, bei der im August 2010 begonnenen Tätowierung habe es sich um einen Versuch gehandelt, entkräftet nicht die Zweifel an den geltend gemachten Beweggründen für sein Vorhaben. Der Versuchscharakter der Tätowierung erklärt nicht, warum er ein für eine Kennzeichnung des Pferdes zur Gewährleistung seiner Identifizierbarkeit eher ungeeignetes und modegeprägtes Zeichen gewählt hat.Rn. 44
Auf der Grundlage des klägerischen Vorbringens mangelt es jedenfalls an der Eignung des dem Kläger untersagten Tätowierens zur individuellen Kennzeichnung eines Tieres. Die Ausführungen des Klägers zu Tätowierungen als zweckmäßiges Mittel zur sicheren Kennzeichnung von Tieren bei bestehendem Risiko der Verwechselung und der rechtswidrigen Aneignung fremder Tiere, insbesondere zur Zuordnung von Tieren zum Bestand eines bestimmten Halters oder Eigentümers, gehen nicht über theoretische Betrachtungen denkbarer Vorteile seines Vorhabens hinaus. Ein in sich nachvollziehbares, auch nur annähernd schlüssiges Konzept, Tiere mit Hilfe der von ihm vorgesehenen Tätowierungen zu identifizieren, hat er nicht dargetan. Eine Kennzeichnung muss aber, soll sie Teil einer brauchbaren Methode zur Identifizierung sein, in den Fällen, in denen Unsicherheit über die Identität eines Tieres auftreten kann oder die Identität verlässlich festgestellt werden soll, als Merkmal zur Unterscheidung der Tiere und ihrer Zuordnung dienlich sein. Das erfordert einen auch für außenstehende Dritte klar verständlichen Informationsgehalt des jeweiligen Kennzeichens und die Verfügbarkeit der zu dessen Verwendung benötigten Daten gerade in solchen Zweifelsfällen. Dem Vorbringen des Klägers ist Konkretes und Greifbares in dieser Richtung aber nicht zu entnehmen. Sein Vorhaben läuft darauf hinaus, Tätowierungen mit der bloßen Bekundung vorzunehmen, dass sie unter ungewissen Bedingungen zur Identifizierung der Tiere beitragen können. Derartige Aussichten rechtfertigen die Zufügung von Schmerzen und/oder Leiden nicht.Rn. 45
Die Tätowierung soll nach Angaben des Klägers auf der rasierten Haut des Tieres aufgebracht werden und wird daher durch das nachwachsende Haar überdeckt. Sie muss, soll sie als Kennzeichen nutzbar sein, durch eine abermalige Rasur freigelegt werden. Das setzt, klammert man eine die Funktionstauglichkeit eines Kennzeichens in hohem Maße in Frage stellende Notwendigkeit einer umfänglichen und ungezielten Suche nach am Körper verborgenen äußerlichen Merkmalen des Tieres aus, zunächst voraus, dass die Stelle, an der sich die Tätowierung befindet, demjenigen, der sich über die Identität des Tieres Gewissheit verschaffen will, in etwa bekannt ist. Anhaltspunkte dafür, dass das für Tätowierungen des Klägers zutrifft, können allenfalls daraus abgeleitet werden, dass § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG Ohr- und Schenkeltätowierungen bei sehr jungen Säugetieren allgemein ohne Betäubung zulässt. Das ergibt aber ungeachtet dessen nichts Durchgreifendes, ob diese Vorschrift die Annahme stützt, dass beim Umgang mit zu identifizierenden Tieren in der Praxis nach Ohr- und Schenkeltätowierungen Ausschau gehalten wird. Denn es ist nicht dargetan, dass das Vorhaben des Klägers auf das Aufbringen von Ohr- und Schenkeltätowierungen beschränkt ist. Im Übrigen ist das von ihm vorgestellte Gerät für die Durchführung von Ohrtätowierungen ersichtlich ungeeignet. Entsprechendes gilt für den Informationsgehalt der Tätowierung und die bei einer Funktion als Kennzeichen unerlässliche Dokumentation, welchem Tier welche Tätowierung zuzuordnen ist, sowie deren Verfügbarkeit. Die Absicht des Klägers, eine personenbezogene Datei aufzubauen, in der die einzelnen Tätowierungen festgehalten und den jeweiligen Haltern bzw. Eigentümern der Tiere zugeordnet werden, ist hinsichtlich ihrer praktischen Umsetzung wie ihrer Zugänglichkeit völlig konturenlos und vage. Auch seine Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung zum Tätowieren von Pferden führen, was etwa die Gestaltung der Motive und deren Auswertung durch Dritte anbelangt, nicht entscheidend weiter, sondern verbleiben im rein Gedanklichen und Ungewissen.Rn. 46
Ferner ist nicht festzustellen, dass eine Kennzeichnung von Tieren durch Tätowierung in von § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG nicht erfassten Fällen unter dem Blickwinkel der Erforderlichkeit schutzwürdig ist. Das liegt auf der Hand, was Tätowierungen angeht, die - wie nach dem Vorstehenden mangels näherer Konkretisierung des Vorhabens hier - zur Identifizierung der tätowierten Tiere nichts Verlässliches beitragen.Rn. 47
Darüber hinaus wird dem Risiko mangelnder Identifizierbarkeit und fehlerhafter Identifizierung von Pferden, die der Kläger allein in den Blick genommen hat, bereits anderweitig Rechnung getragen. Rechtsverbindlich vorgeschriebenes Mittel zur Gewährleistung der Identifizierung eines - ab dem 1. Juli 2009 geborenen - Pferdes ist seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 504/2008 der Kommission vom 6. Juni 2008 zur Umsetzung der Richtlinien 90/426/EWG und 90/427/EWG des Rates in Bezug auf Methoden zur Identifizierung von Equiden (ABl. L 149/3) neben dem Equidenpass die Implantation eines elektronischen Transponders (Art. 11 Abs. 1 der Verordnung). Diese Methode ist als System zur Identifizierung anhand eines einzigen Dokuments konzipiert und international etabliert; sie wird in der Praxis angewandt. Sie kann bei älteren Pferden ebenfalls genutzt werden. Das nationale deutsche Recht genehmigt keine alternative Methode im Sinne von Art. 12 Abs. 1 und 3 der Verordnung. Das Vorbringen des Klägers zu vermeintlichen Nachteilen und Schwächen des durch die Verordnung festgelegten Systems der Identifizierung mittels Transponder und Equidenpass ändert an dessen Verbindlichkeit nichts. Es deutet auch nichts darauf hin, dass die ihm zugrunde liegende Einschätzung auf einer Fehlbeurteilung seiner Funktionstauglichkeit beruht. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen und angeführten Mängel werden für nicht durchgreifend erachtet.
Vgl. hierzu Tierschutzbericht der Bundesregierung 2011, BT-Drucks. 17/5826 S. 12; Bemmann/Pelhak, AUR 2012, 258; Oexmann/Hinrichsen, RdL 2011, 141.
Rn. 48
Selbst wenn man aber annimmt, dass die Identifizierung mittels des durch die Verordnung vorgegebenen Systems nicht allen schutzwürdigen Belangen der Halter und Eigentümer von Pferden ausreichend gerecht wird, spricht jedenfalls nichts für die Erforderlichkeit gerade der vom Kläger beabsichtigten Tätowierungen. § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG beinhaltet, wie ausgeführt, eine Bewertung von Tätowierungen ohne Betäubung innerhalb bestimmter Grenzen. Die auf die ersten zwei Lebenswochen bezogene Begrenzung für die Kennzeichnung "anderer Säugetiere" durch Tätowierungen, die für Pferde gilt, beruht u. a. auf der Erwägung, dass die Schmerzfähigkeit der Tiere in diesem Alter noch nicht voll entwickelt ist.
Vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a. a. O., § 5 Rn. 7.
Rn. 49
Dieser Gesichtspunkt trifft auf ältere Tiere, auf die sich das Vorhaben des Klägers bezieht, nicht zu. Das Schmerzempfinden dieser Tiere wird, wie § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG durch die Beschränkung des Lebensalters zeigt, höher eingeschätzt und im Verhältnis zum Interesse an der Tätowierung mit einem größeren Gewicht belegt. Das steht der Annahme entgegen, gerade die Tätowierung dieser Tiere sei das erforderliche und angemessene Mittel, um die behaupteten Unzulänglichkeiten des vorgeschriebenen Systems der Identifizierung zu beheben. Dabei ist unerheblich, ob eine dem Vorhaben des Klägers entsprechende Tätowierung für das betroffene Tier schonender ist als die Implantation des Transponders oder eine der von § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG erfassten Möglichkeiten der Kennzeichnung. Auch kommt es nicht darauf an, dass der in § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG genannte herkömmliche Schenkelbrand bei Pferden in der Diskussion steht und nach dem aktuellen Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes aus dem Regelungsgehalt dieser Vorschrift herausgenommen werden soll mit der Folge, dass er nicht mehr der Ausnahme nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG unterfällt.
Vgl. hierzu BR-Drucks. 300/12 (Nr. 5 des Entwurfs).
Rn. 50
Ausschlaggebend ist vielmehr, ob neben der zwingend vorgeschriebenen und den darüber hinaus durch § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG rechtlich als mit den Belangen der Tiere vereinbar anerkannten Methoden der Kennzeichnung ein schutzwürdiges menschliches Interesse auch an einer zusätzlichen Kennzeichnung durch - betäubungslose - Tätowierung älterer Tiere besteht. Das ist angesichts der verfügbaren Möglichkeiten zur Identifizierung ohne solche Tätowierungen nicht zu erkennen. Sollten derzeit gesetzlich eröffnete Alternativen zur Kennzeichnung zukünftig nach dem Willen des Gesetzgebers wegen der durch die Verordnung vorgegebenen Methode wegfallen, ist für die vom Kläger befürwortete Anwendung des § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG über die nach seinem Wortlaut erfassten Fälle hinaus erst recht kein Raum mehr, weil die Wertschätzung der verordnungsgemäßen Kennzeichnung auch für die Schutzwürdigkeit seines Vorhabens bedeutsam ist.Rn. 51
Auf ein durch Tätowierung zu bewältigendes Risiko unzulänglicher Identifizierbarkeit bei anderen Tieren als Pferden beruft der Kläger sich bereits selbst nicht. Ohnehin gibt es auch hinsichtlich der Kennzeichnung der verbreiteten Nutzvieharten einschlägige rechtliche Vorgaben, die in der Praxis angewandt werden und anerkannt sind (vgl. etwa für Rinder §§ 27 ff. der Viehverkehrsverordnung).Rn. 52
Der Beklagte hat von seiner hiernach gegebenen Befugnis zum Einschreiten auch fehlerfrei Gebrauch gemacht. Die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Erstreckung des durch das konkret bevorstehende Tätowieren eines Pferdes veranlassten Verbots auf andere Tiere als Pferde ergibt sich hinreichend daraus, dass der Kläger als Gewerbe einen nicht näher eingegrenzten "Tätoservice für Tiere" angemeldet hat. Das trägt die Annahme, dass das Vorhaben des Klägers, Tiere zu tätowieren oder durch Dritte tätowieren zu lassen, nicht allein Pferde betrifft und demgemäß ein Verstoß gegen § 1 Satz 2 TierSchG auch hinsichtlich anderer Tiere mit einem für den Erlass einer Untersagungsverfügung genügenden Grad an Wahrscheinlichkeit droht.Rn. 53
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.Rn. 54
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.Rn. 55