Der zulässige, nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthafte, dem Urteilstenor entsprechende Antrag ist begründet. Der Antragsteller hat sowohl einen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. | Rn. 3 |
Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass es zur Abwendung wesentlicher Nachteile einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung bedarf (Anordnungsgrund). Die Teilnahme an dem Test ist Voraussetzung für die Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst und das am 1. September 2012 beginnende Studium an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. In dem bereits anhängigen Klageverfahren gleiches Rubrums VG Aachen - 1 K 1518/12 - kann der Antragsteller die Teilnahme an dem diesjährigen Testverfahren nicht rechtzeitig erreichen. Der nächste Einstellungstermin findet ausweislich der Internet-Veröffentlichung der Polizei zur Online-Bewerbung erst im September 2013 statt. Vor diesem Hintergrund kann der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden, nach Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache gegebenenfalls im nächsten Jahr ein erneutes Testverfahren zu durchlaufen. Denn hierin läge eine - auch nur zeitweise - verfassungsrechtlich unzulässige Vorenthaltung des in Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten Grundrechts auf freie Wahl des Berufes bzw. des in Art. 33 Abs. 2 GG grundrechtsgleich gewährleisteten Rechts auf Zugang zu einem öffentlichem Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. | Rn. 4 |
Der Antragsteller hat auch den erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser folgt aus den vorgenannten verfassungsrechtlichen Gewährleistungen und den einfach gesetzlichen Regelungen der §§ 8 und 9 BeamtStG i. V. m. § 15 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW. Hiernach hat ein Bewerber Anspruch auf Übernahme in ein öffentliches Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Diese Auswahlkriterien gelten in gleicher Weise für ein vorgeschaltetes Testverfahren, mit welchem der künftige Dienstherr das Vorliegen der Eignungs- und Befähigungskriterien im Vorfeld der Berufung in ein Beamtenverhältnis möglichst zuverlässig in Erfahrung bringen möchte,
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2007 - 6 B 48/07 -, juris. | Rn. 5 |
Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat der Antragsteller einen Anspruch auf Zugang zu dem Testverfahren glaubhaft gemacht. | Rn. 6 |
Der ablehnende Bescheid des Landesamtes für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen (LAFP) vom 12. April 2012 stellt sich bei der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig dar. Mit ihm ist der Antragsteller von der Teilnahme an dem Testverfahren - und damit auch dem späteren Einstellungsverfahren - ausgeschlossen worden, weil er wegen seiner von der Schulter bis zu den Unterarmen reichenden Tätowierungen nicht die "allgemeinen Einstellungsbedingungen" erfülle. Im weiteren Text des Bescheides wird deutlich, dass die Behörde unter Berufung auf einen Erlass des Innenministeriums (Nunmehr: MIK) vom 6. März 1995 (- IV B 1 - 158 - H -) von einem Eignungsmangel für den Polizeivollzugsdienst ausgeht. Weitere Eignungs-, Befähigungs- oder Leistungsdefizite werden nicht genannt. Ohne die Tätowierungen steht einer Teilnahme des Antragstellers an den weiteren Eignungstests offenbar nichts entgegen. | Rn. 7 |
Mit dieser Entscheidung hat der Antragsgegner das ihm eröffnete Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt. So lässt sich dem Bescheid bereits nicht entnehmen, welchen Eignungsmangel - in persönlicher, gesundheitlicher oder charakterlicher Hinsicht - die großflächigen Tätowierungen auf den Armen des Antragstellers begründen sollen. Von gesundheitlichen Mängeln ist weder in dem Bescheid noch in den eingereichten Verwaltungsvorgängen die Rede. Charakterliche Mängel, die etwa mit Blick auf Aussehen und Inhalt der Tätowierungen vorliegen könnten, werden gleichfalls nicht geltend gemacht. So führt PHK C., der die Tätowierungen am ersten Vorstellungstag des Antragstellers in Augenschein genommen hat, in einer behördeninternen Email vom 11. April 2012 aus, dass die Motive der Bilder keine Entscheidungsrelevanz besäßen. Der Teilnahme des Antragstellers an dem weiteren Testverfahren steht auch der vorgenannte Erlass vom 6. März 1995 nicht entgegen. In ihm hat der Beklagte ein "Konzept für die Beurteilung von Tätowierungen durch den Werbe- und Auswahldienst der HLPS" - der höheren Landespolizeischule als Vorgängerinstitution des LAFP - festgelegt, wonach im sichtbaren Hautbereich, der durch die Sommeruniform definiert wird, alle Tätowierungen einen Eignungsmangel darstellen, der zur Ablehnung des Bewerbers führt. Diese Vorgabe vermag heute, 17 Jahre nach ihrem Erlass, die Feststellung der mangelnden Eignung eines Bewerbers nicht mehr ohne nähere Prüfung der entsprechenden Tätowierungen zu begründen. Dabei ist zu beachten, dass sich sowohl in der Bevölkerung insgesamt, aber auch im Polizeivollzugsdienst, die gesellschaftlichen Vorstellungen über Tätowierungen als "Körperschmuck" nicht unerheblich geändert haben dürften. Zwar sind großflächige Tätowierungen auf sichtbaren Körperteilen bei der Bevölkerung noch nicht oft oder gar regelmäßig zu beobachten. Es finden sich aber immer mehr junge und ältere Menschen, die sich in dieser auffälligen Weise - für alle sichtbar - tätowieren lassen. Dies ist Ausdruck des in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels, der auch vor staatlichen Veranstaltungen wie Schule, Bundeswehr und Polizei nicht halt macht. Vor diesem Hintergrund bedarf die Annahme des Beklagten, dass in großflächigen Tätowierungen im sichtbaren Hautbereich eine "überzogene Individualität" zu Ausdruck gelangt, welche die Toleranz anderer übermäßig beansprucht, einer näheren Untersuchung in einem Verfahren zur Hauptsache. | Rn. 8 |
Hiernach ist das Auswahlermessen des Antragsgegners betreffend die Teilnahme des Antragstellers an dem der Einstellung vorgestalteten Testverfahren dahingehend reduziert, ihm jedenfalls die Durchführung dieses Verfahrens zu ermöglichen. Ob er die Voraussetzungen für die (spätere) Übernahme in den Polizeivollzugsdienst und den Beginn des Studiums am 1. September 2012 erfüllt, kann in dem Testverfahren festgestellt werden, ohne dass hierdurch die Funktion des Polizeivollzugsdienstes als Bestandteil der öffentlichen Sicherheit gefährdet wird. Unter diesem Gesichtspunkt führt auch eine Folgeneinschätzung über Zulassung oder Versagung einer Teilnahme an dem streitgegenständlichen Testverfahren zu der Beurteilung, dass allein die Zulassung hierzu verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei ist. | Rn. 9 |
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert ergeht nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und berücksichtigt, dass es vorliegend (noch) nicht um die Einstellung in ein Beamtenverhältnis, sondern lediglich um die Teilnahme an dem vorgeschalteten Testverfahren geht. | Rn. 10 |