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VG Neustadt a.d.W., Beschl. v. 04.06.2012 – 3 L 356/12.NW – „Entziehung der Fahrerlaubnis nach Punktereduzierung“

ZVR-Online Dok. Nr. 32/2013 – online seit 26.03.2013

§ 2a StVG, § 4 StVG, § 29 StVG
 

 

Leitsatz der Redaktion

Das Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG greift nur, bevor 18 Punkte erreicht sind. Die Konsequenz hieraus ist nach einem Erreichen von 18 Punkten immer die Entziehung der Fahrerlaubnis, selbst nach einer Punktereduzierung.Rn. 1

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klasse BE und C, die der Antragsgegner mit Bescheid vom 22. Februar 2012 entzogen hat.Rn. 2
Er erwarb am 10. Mai 2006 die Fahrerlaubnis der Klasse B und am 11. Dezember 2008 diejenige der Klasse C. Nach Eingang der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 15. Dezember 2006, dass zu Lasten des Antragstellers im Verkehrszentralregister drei Punkte eingetragen seien, ordnete der Antragsgegner am 5. Januar 2007 die Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2a Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG –/§ 35 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – an. Der Antragsteller besuchte in der Zeit vom 11. Mai bis zum 5. Juni 2007 ein solches Seminar. Aufgrund entsprechender Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller am 27. März 2007 gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 StVG i. V. m. § 41 Abs. 1 FeV, weil dieser im Verkehrszentralregister zehn Punkte erreicht hatte. Am 31. März 2008 sprach der Antragsgegner eine Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 StVG aus, weil der Punktestand des Antragstellers nunmehr 14 Punkte betrug. Aufgrund des Hinweises des Antragsgegners nahm der Antragsteller im Mai 2008 an einer verkehrspsychologischen Beratung teil und reduzierte auf diese Weise sein Punktekonto um zwei Punkte auf 12 Punkte. Nachdem die Mitteilung eingegangen war, dass der Punktestand zu Lasten des Antragstellers im Verkehrszentralregister infolge eines Verkehrsverstoßes am 17. September 2010 nunmehr 15 Punkte betrage, erfolgte am 24. Februar 2011 eine erneute Verwarnung des Antragstellers gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 StVG. Aufgrund einer am 21. April 2011 begangenen Verkehrszuwiderhandlung erhöhte sich der Punktestand auf 18.Rn. 3
Infolge Tilgung der für eine Ordnungswidrigkeit am 3. August 2006 erlangten drei Punkte durch Eintritt der absoluten fünfjährigen Tilgungsfrist seit Eintritt der Rechtskraft des Bußgeldbescheids am 7. Dezember 2011 reduzierte sich der Punktestand des Antragstellers im Verkehrszentralregister auf 15 Punkte; dies teilte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Antragsgegner mit Schreiben vom 24. Januar 2012 mit.Rn. 4
Der Antragsgegner gab dem Antragsteller mit Schreiben vom 6. Februar 2012 Gelegenheit sich zu der wegen Erreichens von 18 Punkten nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG auszusprechenden Entziehung der Fahrerlaubnis zu äußern.Rn. 5
Der Antragsteller ließ vortragen, nach Erreichen von 14 Punkten sei die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG anzuordnende Teilnahme an einem Aufbauseminar unterblieben, so dass die ausgesprochene Verwarnung nicht ausreichend gewesen sei, um die Fahrerlaubnis entziehen zu können. Im Übrigen sei die Verwarnung vom 24. Februar 2011 nicht zugegangen.Rn. 6
Mit Bescheid vom 22. Februar 2012 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse BE und C. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe 18 Punkte erreicht gehabt und sich damit als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen, so dass gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis zu entziehen sei. Zwar habe sich der Punktestand bis zum Erlass der Verfügung wieder auf 15 Punkte reduziert. Dies habe aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unberücksichtigt zu bleiben. Die in § 4 Abs. 3 StVG vorgeschriebenen Maßnahmen seien ergriffen worden. Eine nochmalige Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar habe nicht erfolgen dürfen. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 StVG sei der Betroffene schriftlich zu verwarnen, wenn er innerhalb der letzten fünf Jahre bereits an einem Aufbauseminar teilgenommen habe. Dies sei hier mit der Teilnahme des Antragstellers an einem solchen Seminar vom 11. Mai bis 5. Juni 2007 der Fall gewesen. Laut Postzustellungsurkunde vom 25. Februar 2011 sei dem Antragsteller auch die Verwarnung vom 24. Februar 2011 zugegangen.Rn. 7
Gegen den am 24. Februar 2012 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller am 22. März 2012 Widerspruch eingelegt und seinen Führerschein abgeliefert. Der gleichzeitig bei dem Antragsgegner gestellte Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis wurde von dem Antragsgegner abgelehnt.Rn. 8
Der Antragsteller hat am 17. April 2012 beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen, und macht hierzu geltend: Die Probezeit für seine am 10. Mai 2006 erstmals erworbene Fahrerlaubnis habe sich nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG um zwei Jahre verlängert gehabt, weil die Teilnahme an einem Aufbauseminar habe angeordnet werden müssen, das er in der Zeit vom 11. Mai bis zum 5. Juni 2007 besucht habe. Diese Teilnahme sei von dem Antragsgegner als Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG an das Kraftfahrt-Bundesamt gemeldet worden. Dadurch sei die gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG verfügt gewesene Maßnahme nicht gemäß § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG ein Jahr nach Ablauf der Probezeit aus dem Verkehrszentralregister gelöscht worden; vielmehr betrage die Tilgungsfrist nunmehr fünf Jahre (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2c StVG). Dies habe für den Antragsgegner dann bedeutet, dass er die Teilnahme an einem weiteren Aufbauseminar nicht anordnen dürfe, sondern eine schriftliche Verwarnung auszusprechen habe. Dies sei aber nicht gesetzeskonform. Es müsse differenziert werden zwischen einem Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG und einem solchen nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 StVG. Die Anordnung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG habe nämlich nur dann zu unterbleiben, wenn der Betroffene innerhalb der letzten fünf Jahre an einem solchen Seminar teilgenommen habe. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift gelte diese Fünf-Jahres-Frist nur für solche Aufbauseminare, die gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG angeordnet worden seien, nicht jedoch für Aufbauseminare nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG, wonach das Punktsystem und Regelungen über die Fahrerlaubnis auf Probe nebeneinander Anwendung fänden, jedoch mit der Maßgabe, dass die Teilnahme an einem Aufbauseminar nur einmal erfolge. Hieraus ergebe sich, dass das Punktsystem und die Regelung über die Fahrerlaubnis auf Probe nur solange nebeneinander Anwendung fänden, wie die Probezeit laufe, so dass in der Probezeit nicht parallel die Teilnahme nach beiden genannten Vorschriften angeordnet werden könne. Dies finde seine Bestätigung in § 29 StVG. Danach seien Maßnahmen nach § 2a StVG ein Jahr nach Ablauf der Probezeit zu tilgen, wenn es nicht zu einem Entzug der Fahrerlaubnis gekommen sei. Komme es zu einer Maßnahme nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG, verlängere sich die Probezeit auf vier Jahre, so dass die Maßnahme nach dieser Vorschrift gemäß § 29 Abs. 1 Satz 4 StVG ein Jahr nach Ablauf der Probezeit zu tilgen sei und damit längstens fünf Jahre im Verkehrszentralregister eingetragen sei. Dies gelte aber nur, wenn die Maßnahme (Aufbauseminar) zu Beginn der Probezeit ergriffen worden sei. Werde sie hingegen zu Ende der Probezeit verfügt, so trete die Tilgungsreife nach längstens drei Jahren ein.Rn. 9
Vorliegend bedeute dies: Am 17. September 2010, d.h. nach Beendigung der Probezeit, sei erneut ein Punktestand von 14 oder mehr Punkten erreicht worden, so dass nunmehr die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG zu ergreifen gewesen wäre. Das erste Aufbauseminar sei nämlich im Jahre 2007 während der Probezeit gemäß § 2a Satz 1 Nr. 1 StVG angeordnet worden, auch wenn der Antragsgegner gegenüber dem Kraftfahrt-Bundesamt die Maßnahme als solche im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG bezeichnet gehabt habe. Nach § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG habe sich damit der Punktestand hier auf 17 Punkte reduziert.Rn. 10
Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 22. März 2012 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Februar 2012 wiederherzustellen und unverzüglich den abgelieferten Führerschein zurückzugeben oder einen neuen Führerschein für die Klasse BE und C auszustellen.
Rn. 11
Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.
Rn. 12
Er wiederholt und vertieft zur Begründung die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.Rn. 13

II.

Der Antrag des Antragstellers, der bei sachgemäßer Auslegung seines Begehrens (§ 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse BE und C mit Bescheid vom 22. März 2012 gerichtet ist, kann keinen Erfolg haben.Rn. 14
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 VwGO ist in den Fällen des gesetzlichen Sofortvollzugs die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu beantragen. Ein solcher Fall liegt hier vor. Denn die im Rahmen des Punktsystems gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers ist von Gesetzes wegen sofort vollziehbar (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG).Rn. 15
Bei gesetzlichem Sofortvollzug kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn bereits im Rahmen der hier gebotenen summarischen Prüfung hinreichend sicher beurteilt werden kann, ob die Behörde rechtswidrig entschieden hat, oder –bei offener Rechtslage – jedenfalls das Einzelinteresse, vom Vollzug der Verfügung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens und eines etwaigen Klageverfahrens verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Erweist sich die angefochtene Verfügung aber – wie im vorliegenden Fall – als offensichtlich rechtmäßig, so hat es bei dem gesetzlichen Sofortvollzug zu verbleiben.Rn. 16
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zur Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers wegen Erreichens von 18 Punkten sind erfüllt. Nach der genannten Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich zu Lasten eines Fahrerlaubnisinhabers 18 oder mehr Punkte ergeben, weil dann der Betroffene aufgrund der gesetzlichen Vermutung als unwiderleglich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt. Erreicht also ein Fahrerlaubnisinhaber im Verkehrszentralregister 18 oder mehr Punkte und wurden die Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG (Verwarnung und Teilnahme an einem Aufbauseminar) ergriffen, so ist ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.Rn. 17
Eine spätere Tilgung von Punkten ist unabhängig davon, ob sie vor oder nach Erlass einer Entziehungsverfügung eingetreten ist, ohne Bedeutung. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte in seinem Urteil vom 25. September 2008 (– 3 C 21.07 –, BVerwGE 132, 48 ff. und juris) auf der Grundlage einer teleologischen, systematischen und historischen Gesetzesauslegung nämlich zu dem Ergebnis, dass eine Fahrerlaubnis immer dann zu entziehen ist, wenn ihr Inhaber im Verkehrszentralregister 18 oder mehr Punkte erreicht hat, ohne dass es auf eine spätere Tilgung von Punkten – unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem Erlass der Entziehungsentscheidung stattfindet – ankommt. Sind aber alle Entwicklungen, die nach dem Tag eintreten, an dem sich zu Lasten des Betroffenen 18 oder mehr Punkte ergeben haben, ohne Belang, so folgt daraus, dass es bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützten Entziehungsentscheidung auf die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten in dem Zeitpunkt ankommt, zu dem der Adressat einer solchen Maßnahme die 18-Punkte-Grenze erreicht hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem zitierten Urteil (a.a.O., S. 63 und juris, Rn. 22) hierzu ausgeführt:Rn. 18
"Die materielle Prüfung beschränkt sich lediglich auf die Frage, ob der Betroffene 18 Punkte erreicht hat; wie sich der Punktestand im Weiteren entwickelt hat, ist demgegenüber unerheblich. Gleichgültig ist daher auch, wann die Behörde diesen Umstand prüft. Ausgangs- und Widerspruchsbehörde haben gleichermaßen zu ermitteln, ob die 18-Punkte-Grenze überschritten war. Sachliche Veränderungen zwischen Ausgangs- und Widerspruchsbescheid hat die Widerspruchsbehörde nur zu berücksichtigen, wenn das materielle Recht dies gebietet. Die nachträgliche Tilgung von Punkten ändert aber nichts daran, dass die 18-Punkte-Grenze überschritten war, und ist deshalb nicht nur für die Widerspruchsbehörde, sondern auch - anders als das Verwaltungsgericht meint - für die Ausgangsbehörde rechtlich unerheblich."Rn. 19
18 Punkte hatte der Antragsteller am 21. April 2011 erreicht, d.h. an dem Tag, als er die durch Bußgeldbescheid vom 29. Juli 2011 geahndete Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage begangen hat. Mit dieser Tat erhöhte sich sein vorheriger Punktestand von 15 auf 18 Punkte. Eine Reduzierung des Punktekontos auf weniger als 18 Punkte erfolgte erst mit der Tilgungsreife der am 3. August 2006 begangenen Ordnungswidrigkeit am 7. Dezember 2011, weil die zweijährige Tilgungsfrist für diese Ordnungswidrigkeit aufgrund später begangener weiterer Verkehrsverstöße des Antragstellers gehemmt worden war (§ 29 Abs. 6 StVG). Erst durch den Eintritt der absoluten fünfjährigen Tilgungsfrist des § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG war diese Ordnungswidrigkeit am 7. Dezember 2011 tilgungsreif. Seit diesem Tag beträgt nach den derzeitigen Erkenntnissen der Punktestand des Antragstellers im Verkehrszentralregister 15 Punkte. Dies ändert aber – wie oben dargelegt – nichts daran, dass sich der Antragsteller mit Erreichen von 18 Punkten als unwiderleglich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 3. Mai 2010 – 11 CS 09.3149 – und vom 21. Juni 2010 – 11 CS 10.377 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Dezember 2010 – 10 S 2053/10 –, NJW 2011, 2311 = juris, Rn. 6).Rn. 20
Der Antragsteller ist auch nicht gemäß § 4 Abs. 5 StVG so zu stellen, als ob er nur 17 Punkte hätte. Denn der Antragsgegner hat in verfahrensmäßiger Hinsicht die erste und die zweite Stufe der nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG vorgeschriebenen Anordnungs- und Hinweispflichten beachtet.Rn. 21
Der Antragsgegner hatte am 5. Januar 2007 gegenüber dem Antragsteller, dessen Probezeit damals noch lief, die Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2a Abs. 1 StVG angeordnet. Am 27. März 2007 verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG i. V. m. § 41 Abs. 1 FeV, weil dieser im Verkehrszentralregister zehn Punkte erreicht hatte. Nach Erreichen von 14 Punkten erfolgte am 31. März 2008 erneut eine Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsgegner an der Anordnung einer Teilnahme an einem Aufbauseminar entgegen der Auffassung des Antragstellers gesetzlich gehindert. Denn gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG, der die Konkurrenz der Regelungen über die Fahrerlaubnis auf Probe gemäß §§ 2a, 2b StVG einerseits und über das Punktesystem des § 4 StVG andererseits behandelt, erfolgt nach Absolvierung eines gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG angeordneten Aufbauseminars innerhalb von fünf Jahren keine (weitere) Teilnahme an einem Seminar im Sinne von § 4 Abs. 8 StVG.Rn. 22
Das von dem Antragsgegner nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG angeordnete allgemeine Aufbauseminar ist einem allgemeinen Aufbauseminar nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG gleichzusetzen. Denn beide Systeme – Regelungen über die Fahrerlaubnis auf Probe gemäß §§ 2a, 2b StVG und über das Punktesystem des § 4 StVG – sehen als Maßnahmen für auffällig gewordene Fahrerlaubnisinhaber Aufbauseminar, Verwarnung mit Hinweis auf Teilnahmemöglichkeit an einer verkehrspsychologischen Beratung und Entziehung der Fahrerlaubnis vor. Anders als die Regelung des § 4 Abs. 3 StVG sieht § 2a Abs. 2 StVG allerdings nicht als erste Maßnahme die Verwarnung, sondern die Anordnung, an einem allgemeinen Aufbauseminar teilzunehmen, vor. Wegen der besonderen Situation der Fahranfänger und deren hoher Unfallrisiken greifen die Maßnahmen, insbesondere die Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar nämlich früher (BT-Drs. 13/691, S. 68). Gleichartig und gleichwertig sind aber das nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG und das nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG anzuordnende allgemeine Aufbauseminar.Rn. 23
Zu Recht ist der Antragsgegner auch davon ausgegangen, dass die Teilnahme des Antragstellers an einem allgemeinen Aufbauseminar noch keine fünf Jahre zurückliegt, so dass die nochmalige Anordnung zur Teilnahme an einem solchen Seminar hier ausgeschlossen war. Denn der Antragsteller besuchte in der Zeit vom 11. Mai bis zum 5. Juni 2007 ein solches Seminar, so dass im März 2008 die Fünf-Jahresfrist des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVG noch nicht verstrichen war. Aus diesem Grund war der Antragsgegner gesetzlich daran gehindert, die nochmalige Teilnahme an einem allgemeinen Aufbauseminar gegenüber dem Antragsteller anzuordnen. Er hatte stattdessen nach § 4 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 StVG eine erneute Verwarnung auszusprechen.Rn. 24
Dies folgt auch aus der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG, die das Punktsystem neben den Regelungen über die Fahrerlaubnis auf Probe für anwendbar erklärt. Denn auch diese Bestimmung beinhaltet die Maßgabe, dass die Teilnahme an einem allgemeinen Aufbauseminar nur einmal erfolgt. Dies gilt nach dem zweiten Halbsatz des § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG lediglich dann nicht, wenn das letzte Aufbauseminar länger als fünf Jahre zurückliegt oder der Betroffene noch nicht an einem Aufbauseminar nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder an einem besonderen Aufbauseminar nach Absatz 8 Satz 4 oder § 2b Abs. 2 Satz 2 teilgenommen hat und nunmehr die Teilnahme an einem Aufbauseminar für Fahranfänger oder an einem besonderen Aufbauseminar in Betracht kommt. Keine dieser Fallvarianten lag hier im Zeitpunkt der zweiten Verwarnung des Antragstellers am 31. März 2008 vor, als dessen Punktekonto im Verkehrszentralregister 14 Punkte betrug. Damit steht fest, dass der Antragsgegner die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG vor der Entziehung einer Fahrerlaubnis zu ergreifenden Maßnahmen ordnungsgemäß angewandt hatte.Rn. 25
Auch das Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG greift, so das Bundesverwaltungsgericht, nur, bevor 18 Punkte erreicht sind. Nach dieser Regelung dürfen zwar, wenn eine Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt ist, die Tat und die Entscheidung dem Betroffenen für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden. Dieses Verwertungsverbot greift aber in Ansehung der Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG nur, bevor 18 Punkte erreicht sind (so BVerwG, Urteil vom 25. September 2008, a.a.O., juris, Rn. 21). Die Konsequenz hieraus ist nach einem Erreichen von 18 Punkten immer die Entziehung der Fahrerlaubnis, selbst nach einer Punktereduzierung.Rn. 26
Allein der Ablauf einer längeren Zeit – hier: vom 7. Dezember 2011 bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis am 22. Februar 2012 – nach tilgungsbedingter Unterschreitung der zuvor erreichten Schwelle von 18 Punkten führt nicht dazu, dass die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG zwingend vorgeschriebene Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr verfügt werden dürfte (so VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Dezember 2010, a.a.O., Rn. 16). Denn die Grenze von 18 Punkten hatte der Antragsteller am 24. Februar 2011 erreicht.Rn. 27
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.Rn. 28
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG (vgl. Nr. 1.5 i. V. m. Nrn. 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. vom 7./8. Juli 2004, NVwZ 2004, S. 1327).Rn. 29