VGH Kassel, Urt. v. 21.02.2013 – 8 C 2118/11.T – „Verbot des Hells Angels MC Charter Frankfurt“
ZVR-Online Dok. Nr. 34/2013 – online seit 25.04.2013
Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 VereinsG
Leitsätze der Redaktion
1. Eine besondere verbotsrelevante Gefährlichkeit kann dadurch begründet werden, dass ein Verein die Unterstützung von im Strafvollzug befindlichen Vereinsmitgliedern geschäftsmäßig organisiert und einen planmäßigen Besuchsdienst einrichtet. | Rn. 1 |
2. Solche Vorkehrungen gehen über das Maß üblicher Freundschaftsdienste hinaus und sind geeignet, den inhaftierten Vereinsmitgliedern ein Gefühl bedingungsloser Wertschätzung und Geborgenheit auch nach schwer wiegenden Straftaten zu vermitteln, ihre Loyalität gegenüber dem Verein zu sichern und die Hemmschwelle für die Begehung künftiger Straftaten zu senken. | Rn. 2 |
Tatbestand
Der Kläger, ein nicht rechtsfähiger Verein, wendet sich mit seiner Klage gegen ein durch Verfügung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 29. September 2011 gegen ihn ausgesprochenes Vereinsverbot. Diese Verfügung, deren sofortige Vollziehung angeordnet worden ist, ist den im Aktivrubrum zu 1. bis 37. bezeichneten und weiteren in der Verfügung aufgeführten Personen bekanntgegeben worden. | Rn. 3 |
Der nicht im Vereinsregister eingetragene Verein „Hells Angels MC Charter Frankfurt" wurde am 12. November 1999 als organisatorisch eigenständige Einheit innerhalb der im März 1948 in San Bernardino, Kalifornien/USA, entstandenen weltweiten „Hells Angels"- Bewegung gegründet. Wie alle anderen Charter führte er seinen eigenen Namen und ein eigenes Clubabzeichen („Patch“). Er verfügte über einen eigenen, nach Angaben des Beklagten aus zehn, nach Angaben des Klägers aus sechs (Bd. I Bl. 172 GA) sog. „Offizieren“ bestehenden Vorstand. Vorstandsmitglieder waren nach Angaben des Beklagten zuletzt der Vorsitzende A... („President“), sein Stellvertreter B... („Vicepresident“), die für Schriftverkehr und Verwaltung zuständigen „Secretaries“ C... und D..., die für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Disziplin im Verein verantwortlichen „Sergeants at Arms“ E... und F..., die für Tourenplanung und Streckenführung sorgenden „Road-Captains“ G... und H... sowie die Schatzmeister („Treasurer“) I... und J.... Nach den Angaben des Klägers (a.a.O.) waren D..., E..., G... und J... keine Vorstandsmitglieder. Außer den Funktionsträgern hatte der Verein weitere Vollmitglieder („Members“), deren Zahl in der angefochtenen Verbotsverfügung mit 37 angegeben ist und vom Kläger niedriger beziffert wird (insgesamt 33 Vollmitglieder, darunter sechs Funktionsträger, und vier Anwärter, Bd. I Bl. 172 GA). Laut angefochtener Verfügung verfügte der Verein über vier Anwärter („Prospects“) und einen Aufnahmeinteressenten („Hangaround“). Der Tätigkeitsbereich des verbotenen Vereins war im Wesentlichen auf das Rhein-Main-Gebiet bzw. auf das Land Hessen beschränkt. | Rn. 4 |
Die angefochtene, auf Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 VereinsG gestützte Verbotsverfügung enthält folgenden Tenor:
| Rn. 5 |
In den Gründen des Bescheids wurde die getroffene Feststellung, Zweck und Tätigkeit des verbotenen Vereins liefen den Strafgesetzen zuwider (§ 3 Abs. 1 S. 1 VereinsG), wie folgt begründet: | Rn. 6 |
Zwar habe der verbotene Verein bislang einen Vereinszweck nicht öffentlich gemacht. Allerdings sei davon auszugehen, dass der Verein sich an den Satzungsregelungen der weltweiten „Hells Angels“-Bewegung orientiere. Dies gelte bereits hinsichtlich des dargestellten organisatorischen Aufbaus. Das Verhalten der Vereinsmitglieder werde maßgeblich von einem so genannten „Ehrenkodex" geprägt. Danach hätten sich die Mitglieder dem Willen der Gesamtheit unterzuordnen und seien zu strikter Einhaltung dieses Kodex‘ verpflichtet. Die Interessen des Vereins hätten absoluten Vorrang gegenüber den Individualinteressen einzelner Mitglieder. Außerdem gelte für die Mitglieder bei laufenden Ermittlungsverfahren ein absolutes Aussageverbot gegenüber Polizei und Justiz. Aus den im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen bekannt gewordenen „MC Germany Rules“ ergebe sich mit Blick darauf, dass es sich um einen Motorrad-Club („MC“) handle, außer einer „Harley-Davidson-Pflicht“ (Nr. 6 der Rules) kein ausdrücklich formulierter, den Motorradgedanken fördernder Vereinszweck. Die Pflicht, ein Motorrad einer bestimmten Marke zu halten, werde von den Mitgliedern des verbotenen Vereins auch nur teilweise erfüllt. 26 Mitglieder des Vereins hätten überhaupt kein Motorrad auf ihren Namen angemeldet, immerhin 18 % der Mitglieder besäßen auch nicht die zum Führen eines Motorrads erforderliche Fahrerlaubnis der Klassen 1 oder A. | Rn. 7 |
Die wahren Ziele des verbotenen Vereins ergäben sich mithin aus anderen Bestimmungen der „MC Germany Rules“ und aus der Entstehungsgeschichte der „Hells Angels"-Bewegung. Dabei wird auf die Regeln Nr. 22 („Keine Bullen oder Ex-Bullen im Club"), Nr. 23 („Keine Verräter im Club“), Nr. 34 („bei Verhaftung – nur Name und Rechtsanwalt“) und Nr. 25 („Anwaltsliste - vom jeweiligen Charter zum Germany Secty“) verwiesen. Aus diesen Regeln und einer ebenfalls im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen aufgefundenen „Satzung HAMC Frankfurt (Verfahrensordner I Bl.192 ff.) ergebe sich der eigentliche Zweck des „Hells Angels MC Charter Frankfurt", seinen Mitgliedern umfassende Hilfestellung zu den von ihnen begangenen Straftaten zu bieten, was allein schon einen strafgesetzwidrigen Zweck darstelle. | Rn. 8 |
Ein nicht unwesentliches Indiz für die außergesetzliche und damit den Strafgesetzen zuwider laufende Ausrichtung des „Hells Angels MC Charter Frankfurt“ sei seine Zugehörigkeit zur Dachorganisation „Hells Angels MC“, dem mit 302 Chartern weltweit größten „Outlaw Motor Cycle Club“. Die „Hells Angels" zählten sich selbst allgemein zu den „Einprozentern“. Dies beruhe auf der Presseberichterstattung nach einem Treffen im Jahr 1947 in den USA. Damals sei es zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, bei denen sich aber nach Presseberichten 99 % aller teilnehmenden Motorradfahrer rechtstreu verhalten hätten. Dass diese "Selbstbezichtigung" auch auf den Verein „Hells Angels MC Charter Frankfurt“ zutreffe, ergebe sich aus der Behörde vorliegenden Erkenntnissen, wonach sich die Vereinsmitglieder zu gemeinschaftlichen strafrechtsrelevanten Zielen verbunden hätten, was dazu führe, dass Mitglieder und Funktionsträger in einer dem Verein zuzurechnenden und ihn prägenden Weise immer wieder die unterschiedlichsten Straftatbestände verwirklicht hätten. Von den (nach Angaben des Beklagten) 45 Mitgliedern des Vereins (darunter 37 Vollmitglieder) seien 31 Mitglieder mit insgesamt 127 Einträgen im Bundeszentralregister aktenkundig. Die strafgerichtlichen Verurteilungen von Vereinsmitgliedern seit dem Jahre 2005 und noch bei der Staatsanwaltschaft laufende Ermittlungsverfahren gegen Vereinsmitglieder beträfen neben kleineren Delikten wie Fahren ohne Fahrerlaubnis, Beleidigung und Nötigung auch mehrere Fälle der Körperverletzung und der (gemeinschaftlichen) gefährlichen Körperverletzung, Beteiligung an einer Schlägerei, schweren Raub, versuchte räuberische Erpressung, schwere Vergewaltigung, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie versuchte Nötigung und Beleidigung. Wegen der Einzelheiten wird auf die Seiten 6 bis 14 der angefochtenen Verfügung Bezug genommen. | Rn. 9 |
Seine mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 19. Oktober 2011 erhobene, am 21. Oktober 2011 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangene Klage gegen diese Verfügung hat der Kläger mit Schriftsatz seiner derzeitigen Bevollmächtigten vom 27. Juni 2012 (Bd. I Bl. 93 ff. GA) wie folgt begründet: | Rn. 10 |
Die Verbotsverfügung sei rechtswidrig und verletze sowohl den Kläger als auch seine Mitglieder in ihren Rechten. | Rn. 11 |
Die formelle Rechtswidrigkeit der Verbotsverfügung ergebe sich aus der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs und daraus, dass die Verbotsbehörde keine eigenen Ermittlungen angestellt, sondern sich ausschließlich auf Erkenntnisse nachgeordneter Behörden gestützt habe. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Seiten 29 f. des klagebegründenden Schriftsatzes vom 27. Juni 2012 verwiesen. | Rn. 12 |
Der Kläger hält die angefochtene Verbotsverfügung auch für materiell rechtswidrig. Er bemängelt, dass die Verbotsbehörde nicht nur keine eigenen Ermittlungen über den Verbotstatbestand des § 3 Abs. 1 S. 1 erste Alt. VereinsG angestellt habe, sondern das Ermittlungsverfahren nur unvollständig betrieben, soziologische und kriminologische Erkenntnisse außer Acht gelassen und auch ihr Entschließungsermessen bezüglich möglicher milderer Mittel nicht betätigt habe. Zudem seien Erkenntnisquellen verwertet worden, die möglicherweise gefälscht seien. So seien die verwerteten „MC Germany Rules“ den Mitgliedern des Klägers bis zur Vorlage durch den Beklagten unbekannt gewesen. Es stehe zu vermuten, dass sie durch einen Informanten des Hessischen Landeskriminalamts namens K..., einen notorischen Betrüger, angefertigt und der Ermittlungsbehörde übergeben worden seien. Auf Angaben K...s, der allerdings in der Verbotsverfügung nicht erwähnt sei, beruhten auch die Ermittlungen gegen die Mitglieder L... u.a. wegen Vergehen nach dem Waffengesetz. Schließlich befinde sich bei den Verfahrensakten ein vom Hessischen Landeskriminalamt auf den 28. November 2011 datierter Ermittlungsvermerk, der bei Erlass der Verbotsverfügung vom 29. September 2011 ersichtlich noch nicht vorgelegen haben könne und daher im Gerichtsverfahren nicht verwertbar sei (Bd. II Bl. 195 GA; Verfahrensordner II Bl. 723). | Rn. 13 |
Der Kläger ist der Auffassung, in der Begründung der angegriffenen Verbotsverfügung werde ein ausreichender Zurechnungszusammenhang zwischen den dort aufgelisteten Straftaten einzelner Mitglieder und dem Kläger selbst nicht dargelegt. Der Beklagte habe verkannt, dass das Bestehen einer Organisation von Mitgliedern, die strafrechtlich in Erscheinung träten bzw. getreten seien, nicht die Vermutung für ihre eigene Qualifikation als strafrechtswidrig i.S.v. Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 VereinsG begründe. Soweit die Verfügung dem Kläger die autonome Gestaltung der Vereinsorganisation, das Verfahren der Willensbildung, die Führung seiner Geschäfte, die Inanspruchnahme von Disziplinargewalt, seine Selbstdarstellung nach außen und das Verfahren der Mitgliederwerbung als verbotstragende Gründe vorhalte, greife sie in durch Art. 9 Abs. 1 GG geschützte Bereiche ein. Soweit die Begründung der Verbotsverfügung einen Zusammenhang zwischen Mitgliedern des Klägers und dem so genannten Rotlichtmilieu herstelle, werde verkannt, dass seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes im Jahre 2002 das Verdikt der Sittenwidrigkeit der Prostitution beseitigt und die Ausübung des Prostitutionsgewerbes dadurch zu einer anerkannten beruflichen Tätigkeit geworden sei. Indem die Begründung der Verbotsverfügung dem Kläger vorhalte, Mitgliedern in der Situation einer Strafverfolgung oder Strafvollstreckung beizustehen, verkenne sie den prägenden Vereinszweck einer Solidargemeinschaft. Die Verbotsbehörde gehe in ihrer Verfügung selbst nicht davon aus, dass der Kläger als solcher von seiner Zweckbestimmung und von seinen Tätigkeiten her auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sei. Vielmehr werde ein Zurechnungsgrund im Hinblick auf die von Mitgliedern begangenen Straftaten darin gesehen, dass die Vereinigung ihren Mitgliedern finanzielle oder sonstige Hilfestellung im Rahmen der Strafverfolgung gewähre. Das Recht, sich gegen staatliche Sanktionen zu verteidigen, werde durch die Mitgliedschaft in einer Vereinigung jedoch nicht eingeschränkt. Überwiegend handele es sich um Straftaten, die individuell veranlasst gewesen seien und auf einem spontanen, nicht planmäßigen Tatentschluss beruhten. | Rn. 14 |
Die in der Verbotsverfügung aufgelisteten Straftaten seien nach Anzahl und Gewicht nicht geeignet, ein vereinsrechtliches Verbot zu begründen. Auch seien mehrere Ermittlungsverfahren in Kenntnis der Vereinsmitgliedschaft der beschuldigten Mitglieder des Klägers eingestellt worden. Der Beklagte habe als verbotsrelevant lediglich neun in den Jahren 2005 bis 2008 von fünf Mitgliedern des Klägers, darunter der angebliche Sergeant at Arms E..., und dem Nicht-Mitglied M... begangene Straftaten verwertet, ohne einen zureichenden Funktionszusammenhang zum Kläger herstellen zu können. Die als Verbotsgrund verwerteten Straftaten des aktuellen Mitglieds E... seien schon deswegen nicht verbotsrelevant, weil E... bei ihrer Begehung noch nicht Mitglied gewesen sei. | Rn. 15 |
Soweit dem Kläger in der Verbotsverfügung vorgehalten wird, er und seine Mitglieder hätten sich durch die Finanzierung der Verteidigung beschuldigter oder angeschuldigter Vereinsmitglieder, durch Besuche während ihrer Untersuchungs- oder Strafhaft, durch regelmäßige Zahlungen an inhaftierte Mitglieder und durch Geschenke an deren Angehörige mit diesen Straftätern solidarisiert, meint der Kläger, hier handele es sich um die legitime Wahrnehmung von Bürgerrechten, die nicht auf eine Billigung der vorgeworfenen oder tatsächlich verübten Straftaten schließen lasse. Der Beklagte verkenne, dass es sich beim Kläger um einen Freundeskreis mit gegenseitigen Beistandspflichten gehandelt habe, die auch im Fall der Straffälligkeit eines Mitglieds nicht gänzlich suspendiert würden. | Rn. 16 |
Schließlich ist der Kläger der Ansicht, die angegriffene Verbotsverfügung beruhe auf sachfremden Erwägungen des hessischen Ministers des Innern persönlich, der damals für das Amt des Frankfurter Oberbürgermeisters nominiert gewesen sei und deswegen besonderes Interesse daran gehabt habe, eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme gegen vermeintlich kriminelle Organisationen zu treffen. Darauf sei zu schließen, weil die angefochtene Verbotsverfügung vom 29. September 2011 und der am folgenden Tag erwirkte Durchsuchungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main gegen den Kläger erst am 1. November 2011 mit großem propagandistischen Aufwand vollzogen worden seien, nachdem bekannt geworden war, dass die damalige Frankfurter Oberbürgermeisterin ihr Amt vorzeitig niederlegen werde und den hessischen Minister des Innern als Nachfolger in diesem Amt empfehle. | Rn. 17 |
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird auf die Schriftsätze seiner Bevollmächtigten vom 27. Juni 2012 (Bd. I Bl. 93 – Bd. II Bl. 213 GA) und vom 6. November 2012 (Bd. II Bl. 295 - 302 GA) Bezug genommen. Letzterem liegt teilweise eine Anfrage des Berichterstatters an beide Beteiligte vom 12. Oktober 2012 (Bd. II Bl. 282 ff.GA) zugrunde. Ferner wird Bezug genommen auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten des Klägers vom 12. November 2012 (Bd. III Bl.368 f. GA). | Rn. 18 |
Der Kläger beantragt, die Verfügung des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 29. September 2011 – II 3 – 05b06.07-01-11/004 – aufzuheben. | Rn. 19 |
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. | Rn. 20 |
Er tritt dem Klagebegehren unter Bezugnahme auf die angefochtene Verbotsverfügung und die vorgelegten Behördenakten entgegen und vertieft sein bisheriges Vorbringen zur Entbehrlichkeit einer Anhörung des Klägers vor Erlass der Verbotsverfügung, zur Zulässigkeit der Einbeziehung nachgeordneter Behörden in die Ermittlungstätigkeit der Verbotsbehörde, zur Zulässigkeit der Datenübermittlung zwischen den Behörden und zur Verwertbarkeit in Strafverfahren gewonnener Daten im Verbotsverfahren sowie zur materiellen Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung. Er vertritt die Auffassung, dass ein nachvollziehbarer Zurechnungszusammenhang zwischen den in der Verbotsverfügung ausgewerteten Straftaten einzelner Mitglieder des Klägers und dem Kläger selbst bestehe, weil er durch die Duldung dieser Straftaten, seine Solidarität mit den Tätern, die Aufnahme bereits erheblich vorbestrafter Mitglieder und seine Unterstützungshandlungen während der Inhaftierung von Mitgliedern gezeigt habe, dass er diese Straftaten mindestens billige und durch die fördernde Mitwirkung an solchen Straftaten geprägt sei. Entgegen der Darstellung des Klägers seien dessen Mitgliedern die von der Beklagten verwerteten „MC Germany Rules“ bekannt gewesen. Soweit der Kläger moniere, dass sich bei den Behördenakten ein nach Erlass der Verbotsverfügung datierter Vermerk des Hessischen Landeskriminalamts vom 28. November 2011 befinde, treffe dies zwar zu, jedoch betreffe dieser Vermerk vor dem Vereinsverbot im Februar 2011 und später geschehene Ereignisse nach der Festnahme des inzwischen verstorbenen Mitglieds N.... Soweit sich die Verbotsbehörde der Amtshilfe anderer Behörden bedient habe, sei dies durch § 4 Abs. 1 S. 1 VereinsG gedeckt und nicht zu beanstanden. Die vom Kläger für datenschutzrechtlich bedenklich gehaltene Verwertung von durch Polizeibehörden im Rahmen der Gefahrenabwehr gewonnenen Erkenntnissen und von personenbezogenen Daten aus Strafverfahren sei durch §§ 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HSOG, 481 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 3 Abs. 4 S. 1 BDSG erlaubt und mangels anderer Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung auch geboten gewesen. Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten wird auf die Schriftsätze des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 8. August 2012 (Bd. II Bl. 258 ff. GA) und vom 30. Oktober 2012 (Bd. II Bl. 286 ff.GA) Bezug genommen. Letzterem liegt eine Anfrage des Berichterstatters an beide Beteiligte vom 12. Oktober 2012 (Bd. II Bl. 280 ff. GA) zugrunde. Ferner wird auf den Schriftsatz des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 3. Januar 2013 nebst Anlagen verwiesen (Bd. III Bl. 379 ff. GA). | Rn. 21 |
Dem Senat liegen ein von den Bevollmächtigten des Klägers mit der Klagebegründung im Verfahren 8 C 2134/11 (Charter Westend) vorgelegter Anlagenordner sowie die nach mit Schriftsatz vom 24. November 2011 (Bd. I Bl. 34 GA) erbetener Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2011 (Bd. I Bl. 40 GA) vorgelegten Behördenakten des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport (zwei Verfahrensordner, drei Ordner Tatsachenerhebung, ein Ordner Tatsachenerhebung Sonderband „HAMC Frankfurt/Westend“ sowie ein Ordner als Anlage zum Schriftsatz vom 30. Oktober 2012, Bd. II Bl. 286 GA) vor. Sie sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. | Rn. 22 |
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. | Rn. 23 |
Sie ist namens aller nach dem Vorbringen der Klägerseite zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorhandenen Mitglieder des klagenden Vereins erhoben worden. Für einen nicht rechtsfähigen Verein ist in Vollmacht seiner gesetzlichen Vertreter und Vorstände Klage zu erheben (§ 62 Abs. 3 VwGO). Dies sind die durch den gewählten Vorstand vertretenen Mitglieder des Vereins gemeinschaftlich (§ 54 S. 1 i.V.m. § 709 Abs. 1 BGB), da hier nicht durch Satzung Stimmenmehrheit vereinbart oder eine Übertragung der Geschäftsführung erfolgt ist. Die vereins- und prozessrechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame Klageerhebung des Vereins sind erfüllt. | Rn. 24 |
Als Adressat der Verbotsverfügung ist der gemäß § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähige Kläger klagebefugt. Auch nach seinem Verbot und seiner Auflösung verbleibt ihm eine auf die Rechtsverteidigung im Anfechtungsverfahren beschränkte Rechtsstellung (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Juni 2012 – 4 KS 2/10 –, juris Rn. 83 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 19. Juli 2010 – 6 B 20.10 -, NVwZ 2011, 372 = juris m.w.N.; Löwer in: v. Münch/Kunig – Hrsg. –, Kommentar zum GG, 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 59). | Rn. 25 |
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Vereinsverbot ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). | Rn. 26 |
Die formellen Voraussetzungen für den Erlass der Verbotsverfügung lagen vor. | Rn. 27 |
Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport als für die Regelung des Vereinswesens zuständige oberste Landesbehörde war für den Erlass der Verbotsverfügung zuständig, da sich die nach den zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Informationen erkennbare Organisation und Tätigkeit des Klägers auf das Gebiet des Landes Hessen beschränkte (§ 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VereinsG). Unstreitig hatte das aufgelöste „Hells Angels MC Charter Frankfurt“ eine eigenständige Stellung als Vereinigung innerhalb der bundes- und weltweiten Bewegung der „Hells Angels“. Die Mitglieder des Charters waren und sind ganz überwiegend in Hessen wohnhaft und tätig; wesentliche Aktivitäten des Vereins außerhalb Hessens sind nicht bekannt geworden. | Rn. 28 |
Ob der klagende Verein lediglich eine Teilvereinigung eines über das Gebiet des Landes hinausgehenden größeren Vereins der „Hells Angels“-Bewegung darstellt und deshalb eine Einholung des Benehmens des Bundesministers des Innern erforderlich war (§ 3 Abs. 2 S. 2 VereinsG), kann dahinstehen. Denn dieses Benehmen ist nach Übersendung des Entwurfs der Verbotsverfügung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. September 2011 hergestellt worden durch den Hinweis, das Bundesministerium habe – zu dem Entwurf – „keine Anmerkungen“ (siehe Verfahrensordner I, Hefter vor Bl.1 letztes Blatt). Darin, dass dem Bundesministerium nicht die weiteren zum Vereinsverbot vorliegenden Erkenntnisquellen vorgelegen haben, liegt kein Verfahrensfehler, der Zweifel an der Wirksamkeit des vorsorglich hergestellten Benehmens begründen könnte. Der übersandte Entwurf des Bescheids enthielt selbst ausreichende Informationen, um das Bundesministerium in die Lage zu versetzen, bei Zweifeln an der Recht- oder Zweckmäßigkeit des erbetenen Benehmens weitere Aufklärung zu betreiben. Dies ist jedoch nicht erfolgt. | Rn. 29 |
Die weiteren formellen Voraussetzungen für die angegriffene Verbotsverfügung gemäß § 3 Abs. 4 S. 1 und 2 VereinsG, insbesondere die Schriftform, die Begründung und die Zustellung an den Verein sowie die Bekanntmachungen im Bundesanzeiger (BAnz. Nr. 158/2011 vom 19. Oktober 2011, S. 3655) und im Staatsanzeiger für das Land Hessen (StAnz. Nr. 42/2011 vom 17. Oktober 2011, S. 1310), sind erfüllt (Bd. III Bl. 379 ff. GA). | Rn. 30 |
Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit der Verwertung im Zuge präventivpolizeilicher Maßnahmen oder in Strafverfahren erhobener Daten und der Mitwirkung der Verbotsbehörde nachgeordneter Behörden im Verbotsverfahren einschließlich des gegenseitigen Datenaustauschs sind durch gesetzliche Regelungen und die Rechtsprechung in dem Sinne geklärt, wie dies der Beklagte in der Klageerwiderung erläutert hat (Schriftsatz des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 8. August 2012, Seiten 2 ff., Bd. II Bl. 259 ff. GA; BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2013 – 6 B 40.12 -, juris Rn. 17 f.). Darauf nimmt der Senat zur weiteren Begründung Bezug. Der vom Beklagten zitierte § 22 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HSOG enthält als bereichsspezifische Spezialregelung zu § 21 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 HSOG eine auch im Anwendungsbereich des § 481 Abs. 1 S. 1 und 2 StPO zu beachtende Ausnahme vom sog. Zweckbindungsprinzip (vgl. dazu Petri in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, S. 839 ff., Rn. G 373 ff.; Hornmann, HSOG, 2. Aufl. 2008, Rn. 10 zu § 22). Wegen dieser – verfassungsrechtlich unbedenklichen – bereichsspezifischen Sonderregelung war die Nutzung in anderem Verwendungszusammenhang erhobener Daten zur Erfüllung der gefahrenabwehrbehördlichen Aufgaben des Ministeriums als Verbotsbehörde nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 VereinsG entgegen der Auffassung des Klägers rechtmäßig. | Rn. 31 |
Soweit der Kläger vermutet und beanstandet, dass ein Informant des Hessischen Landeskriminalamts namens K... der Ermittlungsbehörde über Interna des Vereinslebens berichtet habe, ohne dass dies in den Behördenakten dokumentiert worden sei, ist dies für die Beurteilung der angefochtenen Verfügung unerheblich, da das Vereinsverbot nicht auf entsprechende Erkenntnisse, sondern im Wesentlichen auf rechtskräftige Entscheidungen in Strafsachen und auf Inhalte staatsanwaltlicher Ermittlungsakten gestützt ist. Zwar kommt in der nach Erlass des Vereinsverbots verfassten Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 22. November 2011 – 6330 Js 256269/09 – ein im Rubrum dieser Verfügung nicht erwähnter „Beschuldigte(r) K…-O…“ vor (S. 1, 4 und 5, Verfahrensordner II Bl. 628 ff., 631 f.), der in der selben Verfügung an anderer Stelle (S. 3, a.a.O., Bl. 630) als Zeuge bezeichnet wird und bei dem es sich um den von Klägerseite als V-Mann angesehenen „P... K...“ handeln könnte, zumal der Vorname „P...“ mit dieser ungewöhnlichen Schreibweise auch auf Seite 3 unten der Einstellungsverfügung verwendet wird. Jedoch deutet nichts darauf hin, dass der in der Einstellungsverfügung als „Supporter oder Hangaround im Umfeld“ des Klägers bezeichnete K...-O… (S. 3 unten) damals – Tatzeit 18. Oktober 2009 – (schon) als Informant des Beklagten tätig war. Ob er später diese Funktion übernommen hat, kann dahinstehen. | Rn. 32 |
Der Beklagte durfte von einer Anhörung des Klägers vor Erlass der angefochtenen Verbotsverfügung absehen. Zwar ist grundsätzlich dem von einem Eingriff in seine Rechte Betroffenen vor Erlass eines Verwaltungsakts Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 28 Abs. 1 HVwVfG). Hiervon kann jedoch unter anderem abgesehen werden, wenn eine Anhörung nach den Umständen des Einzelfalls nicht geboten ist, insbesondere eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 HVwVfG). Diese Voraussetzungen lagen vor. Denn mit dem Verbot des Klägers ist – wie im Regelfall (§ 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG) – auch die Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens sowie von Sachen Dritter angeordnet worden. Der Beklagte hat sich in seiner Verfügung insoweit auf einen unerwünschten „Ankündigungseffekt“ einer behördlichen Anhörung bezogen, der es dem Kläger ermöglicht hätte, „Vermögen und Beweismittel dem behördlichen Zugriff zu entziehen“ (Ziff. 7 der Gründe auf Seite 19 des angefochtenen Bescheids), und damit ein wirksames Vorgehen gegen den Verein beeinträchtigt oder unmöglich gemacht hätte. Dieser Aspekt stellt einen nachvollziehbaren Gesichtspunkt dar, unter dem gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 HVwVfG im öffentlichen Interesse auf eine Anhörung verzichtet werden durfte, selbst wenn ein mögliches Verbot des klägerischen Vereins schon einige Zeit vorher in der öffentlichen Diskussion gefordert oder erwogen worden war (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 2010 – 6 A 4.09 –, NVwZ-RR 2011, 14 = juris Rn. 11 m.w.N., Urteil vom 5. August 2009 – 6 A 3.08 –, BVerwGE 134, 275 f. = juris Rn. 13, m.w.N., Beschluss vom 29. Januar 2013 – 6 B 40.12 -, a.a.O., juris Rn. 19 ff.). | Rn. 33 |
Soweit sich der Kläger im Zusammenhang mit seiner unterbliebenen Anhörung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 11. Oktober 2011 – n° 48848/07 – (Association Rhino contre la Confédération Suisse) berufen hat, ist dies in diesem Zusammenhang unerheblich. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit des Vereinsverbots selbst (unten S. 36 f. Rn. 89 f.) verwiesen. | Rn. 34 |
Entgegen der Auffassung des Klägers ist die angefochtene Verbotsverfügung auch nicht deshalb formell rechtswidrig, weil die Behördenakten nach Klageerhebung nicht sogleich, sondern erst zwei Monate später dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof vorgelegt worden sind mit einem nach Klageerhebung datierten Vermerk des Hessischen Landeskriminalamts vom 28. November 2011, der bei Erlass der Verbotsverfügung vom 29. September 2011 ersichtlich noch nicht vorgelegen haben könne und daher im Gerichtsverfahren nicht verwertbar sei (Verfahrensordner II Bl. 723 f.). In diesem Punkt ist dem Kläger nur insofern zu folgen, als dieser – ihn eher entlastende – Vermerk bei der ursprünglichen Verbotsentscheidung nicht relevant gewesen sein kann. Daraus den Schluss der Aktenmanipulation zu ziehen, erscheint jedoch nicht überzeugend. Denn die auch sonst keineswegs chronologisch geführten Verfahrensakten sind offensichtlich erst nach Einfügung dieses Vermerks maschinell paginiert worden, so dass lediglich anhand der Fundstelle nicht festgestellt werden kann, dort hätten sich vorher andere, dem Gericht und dem Kläger vorenthaltene Aktenbestandteile befunden. Im Übrigen belegt der nachträglich in die Akten eingefügte Vermerk vom 28. November 2011 lediglich den schon im angefochtenen Bescheid auf Seite 10 unten erwähnten Ausschluss des früheren Road-Captain Q... des Charters Westend aus seinem Verein wegen Weitergabe von 1,3 kg Kokain an das inzwischen verstorbene Mitglied des Charters Frankfurt N... und eine vor seinem Ausschluss durch sein Charter gegen Letzteren verhängtes „Kuttenverbot“. Das Nachschieben von Gründen zu einer vor Erlass eines angefochtenen Verwaltungsakts bekannten und hier sogar zu seiner Begründung verwerteten Tatsache ist unbedenklich zulässig (Kopp/Schenke, VwGO, 18. Aufl. 2012, Rn 64 ff. zu § 113 m.w.N.). Anders ist dies bei nachträglich formulierten Ermittlungsvermerken des Hessischen Landeskriminalamts, die in der angefochtenen Verbotsverfügung nicht erwähnte und verwertete Vorgänge betreffen; als Beispiel sei hier der Vermerk des Landeskriminalamts vom 30. November 2011 zur Besorgung eines Geburtstagsgeschenks für die Tochter des inhaftierten Mitglieds R... durch den Treasurer des Klägers genannt (Verfahrensordner II Bl. 744 ff.). Es ist nicht ersichtlich, dass der Inhalt der dort geschilderten abgehörten Telefongespräche der Verbotsbehörde bei ihrer Entscheidung bekannt war und von ihr als entscheidungserheblich angesehen worden sind. | Rn. 35 |
Die Verbotsverfügung ist auch insofern rechtmäßig, als in Ziff. 1 ihres Tenors festgestellt wurde, dass der Zweck und die Tätigkeit des klagenden Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen, und an diese Feststellung die in den nachfolgenden Ziffern 2 bis 5 ausgesprochenen rechtlichen Folgen geknüpft worden sind (§ 3 Abs. 1 S. 1, 1. Alt., S. 2 VereinsG). | Rn. 36 |
Zweck und Tätigkeit eines Vereins laufen i.S.d. in § 3 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. VereinsG aufgenommenen Verbotsgrundes aus Art. 9 Abs. 2 1. Alt. GG den Strafgesetzen zuwider, wenn Mitglieder und Funktionsträger des verbotenen Vereins in einer diesem zuzurechnenden und ihn prägenden Weise gegen Straftatbestände verstoßen haben. | Rn. 37 |
Da Vereinigungen als solche nicht straffähig sind, ergeben sich ihnen vorwerfbare strafgesetzwidrige Zwecke und Tätigkeiten aus entsprechenden Absichten und Verhaltensweisen ihrer Mitglieder. Straffähig können nur natürliche Personen sein, da Strafbarkeit Schuldzurechnungsfähigkeit voraussetzt und diese nur bei natürlichen Personen vorliegen kann. Strafgesetzwidrigkeit einer Vereinigung ist gleichwohl rechtlich möglich, weil diese durch ihre Mitglieder und die sie repräsentierenden Vereinsorgane einen vom einzelnen Mitglied losgelösten Gruppenwillen bilden, eine eigene Zweckrichtung festlegen sowie selbständig handeln kann. Ergibt sich aus dieser eigenen Zweckrichtung oder dem selbständigen Handeln einer Vereinigung ein Verstoß gegen Strafgesetze, so ist der Verbotstatbestand erfüllt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Oktober 2011 – 1 S 1864/11 –, DVBl. 2011, 1561 = juris Rn 8 m.w.N.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Juni 2012, a.a.O., juris Rn. 91). | Rn. 38 |
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass das Verhalten der Mitglieder der Vereinigung zugerechnet werden kann. Eine durch die Mitglieder verwirklichte Strafgesetzwidrigkeit muss den Charakter der Vereinigung prägen. Eine Vereinigung kann gleichzeitig verschiedene Zwecke, insbesondere neben einem satzungsmäßig ausgewiesenen legalen Zweck auch strafrechtsrelevante Ziele anstreben und durch das Verhalten ihrer Mitglieder verwirklichen. In diesem Fall ist es zur Erfüllung des Verbotstatbestands nicht erforderlich, dass die Strafgesetzwidrigkeit den Hauptzweck oder die Haupttätigkeit der Vereinigung ausmacht. Eine verbotsbegründende Strafgesetzwidrigkeit muss auch nicht auf Dauer bestehen. Es genügt vielmehr, wenn eine Vereinigung erst im Laufe der Zeit strafgesetzwidrig wird oder diese Eigenschaft zeitlich begrenzt ist. Die Strafgesetzwidrigkeit einer Vereinigung ist auch dann gegeben, wenn deren Mitglieder zwar spontan und aufgrund eines eigenen Entschlusses Straftaten begehen, dabei aber immer wieder geschlossen als Vereinigung auftreten, so dass sich die Straftaten nach außen als Vereinsaktivitäten darstellen, und die Vereinigung diesen Umstand kennt und billigt oder jedenfalls widerspruchslos hinnimmt (vgl. auch hierzu OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Juni 2012, a.a.O., juris Rn. 92). | Rn. 39 |
Der Vereinigung zurechenbar sind ferner solche strafbaren Verhaltensweisen der Vereinsmitglieder, die die Vereinigung deckt, indem sie ihren Mitgliedern durch eigene Hilfestellung oder von ihr veranlasste Hilfe anderer Personen Rückhalt bietet und dadurch straffällig gewordenen Mitgliedern den Eindruck vermittelt, ihr Fehlverhalten sei von der Vereinigung und insbesondere von deren Führungspersonal gewünscht oder gebilligt. Die Einbeziehung dieser Fallkonstellation ist vor allem durch den Sinn des Verbotstatbestandes geboten: Mit ihm soll nicht die Verletzung der Strafgesetze durch einzelne Personen zusätzlich sanktioniert, sondern einer besonderen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung begegnet werden, die in der Gründung oder Fortführung einer Organisation zum Ausdruck kommt, aus der heraus Straftaten geplant oder begangen werden. Derartige Organisationen bergen eine besondere Gefahr für die durch Strafgesetze geschützten Rechtsgüter in sich. Die ihnen innewohnende Eigendynamik und ihr organisiertes Sach- und Personalpotential erleichtern und begünstigen strafbares Verhalten. Zugleich wird das Verantwortungsgefühl des einzelnen Mitglieds häufig gemindert, die individuelle Hemmschwelle zum Begehen von Straftaten abgebaut und der Anreiz zu neuen Straftaten geweckt. Eine derartige verbotsrelevante Hilfestellung muss nicht von vornherein auf die Begehung konkreter Straftaten ausgerichtet sein oder auf einem zuvor gefassten Vereinsbeschluss beruhen. Das Vorliegen einer derartigen, von der Vereinigung ihren Mitgliedern zugedachten Hilfestellung bestimmt sich nicht nach strafrechtlichen Deliktskategorien wie Teilnahme oder Begünstigung, die für eine Vereinigung mangels Straffähigkeit nicht relevant sein können. Es genügt vielmehr, dass vereinsintern den Mitgliedern oder nach außen der Öffentlichkeit, insbesondere den Opfern der Straftaten gegenüber zum Ausdruck gebracht wird, die Vereinigung gewähre nach den Straftaten ihren straffällig gewordenen Mitgliedern jederzeit den erwarteten Schutz (OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Juni 2012, a.a.O., unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 5. August 2009, a.a.O., juris Rn. 15 f.; Beschluss v. 25. August 2008 – 6 VR 2.08 -, juris Rn. 11; Urteil vom 18. Oktober 1988 - 1 A 89.83 -, BVerwGE 80, 299 = juris Rn. 38 f.). | Rn. 40 |
Im Fall der Überprüfung des 1983 erlassenen Vereinsverbots gegenüber dem „Hell‘s Angels Motor-Club e.V.“ Hamburg hat das Bundesverwaltungsgericht die Zurechnung einzelner Straftaten unter anderem mit dem Gesichtspunkt begründet, dass die Straftaten in Vereinskluft begangen wurden und dadurch den Ruf des Vereins als besonders gewalttätige und brutale Rockergruppe begründet oder bestätigt hätten, wobei der widerspruchslosen Hinnahme solcher Verhaltensweisen durch die Vereinigung als solche besondere Bedeutung beigemessen wurde (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988, a.a.O., Rn. 50). | Rn. 41 |
Der für ein Vereinsverbot erforderliche prägende Charakter von Straftaten der Mitglieder kann sich auch daraus ergeben, dass die Straftaten der Selbstbehauptung gegenüber einer konkurrierenden Organisation gedient haben (BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2000 – 1 A 4.98 -, juris Rn. 12). Eine Prägung des betreffenden Vereins durch ihm zuzurechnende strafbare Verhaltensweisen von Mitgliedern liegt insbesondere dann nahe, wenn es sich bei den betreffenden Mitgliedern um Personen mit Leitungsfunktionen handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. September 2010 – 6 A 4.09 –, a.a.O., juris Rn. 16) oder wenn entsprechende strafbare Verhaltensweisen von Mitgliedern in großer Zahl sowie auch noch nach einer strafrechtlichen Ahndung entsprechender Taten von Vereinsmitgliedern erfolgen. Ein prägender Charakter kann sich auch daraus ergeben, dass die betreffenden Taten im Interesse des Vereins begangen worden sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Februar 2000 - 1 A 4.98 -, a.a.O.). | Rn. 42 |
Ein Verbot wegen Strafgesetzwidrigkeit eines Vereins setzt eine vorherige strafrichterliche Verurteilung von Einzelpersonen nicht voraus. Ebenso wenig besteht eine materielle oder formelle Bindung der Verbotsbehörde oder der Verwaltungsgerichte an die rechtliche Würdigung der vorgeworfenen Taten in bereits ergangenen Strafurteilen. Die Strafgesetzwidrigkeit ist von der Verbotsbehörde und dem Verwaltungsgericht in eigener Kompetenz zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. August 2009, a.a.O., juris Rn. 17; Urteil vom 18. Oktober 1988, a.a.O., juris Rn. 35; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Januar 1992 – 1 S 3626/88 –, NVwZ-RR 1993, 25 = juris Rn. 34). | Rn. 43 |
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verbotsverfügung ist derjenige ihres Erlasses. Zurückliegende Umstände können herangezogen werden, soweit sie im maßgeblichen Zeitpunkt noch aussagekräftig sind (BVerwG, Urteil vom 27. November 2002 – 6 A 4.02 –, NVwZ 2003, 986 = juris Rn. 32). Berücksichtigungsfähig können auch Gesichtspunkte aus einer strafgerichtlichen Verurteilung sein, die nach Ergehen der Verbotsverfügung erfolgt ist, soweit sie eine vor Erlass der Verbotsverfügung begangene Straftat betreffen. Allerdings erlaubt Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 VereinsG keine Berücksichtigung von Veränderungen, die der Verein selbst nach seinem Verbot vornehmen möchte, um die Grundlagen des Verbots entfallen zu lassen. Solche nach Erlass einer sofort vollziehbaren Verbotsverfügung geschaffenen Tatsachen können keine Wirkungen auf die Sachlage zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Verbotsbescheides mehr entfalten, zumal dem Verein Aktivitäten, soweit sie nicht die Rechtsverteidigung gegen das Vereinsverbot betreffen, und damit auch organisatorische Umgestaltungen untersagt sind (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Juni 2012 – a.a.O., juris Rn. 95). | Rn. 44 |
In § 3 Abs. 5 VereinsG hat der Gesetzgeber die dargestellten, aus Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. § 3 Abs. 1 VereinsG abgeleiteten Maßstäbe ausdrücklich konkretisiert, indem er ergänzende Maßstäbe für die Zurechnung von Handlungen von Mitgliedern zum Verein aufgestellt hat. Danach kann ein Verbot auch dann auf Handlungen von Mitgliedern gestützt werden, wenn ein Zusammenhang zur Tätigkeit oder zu der Zielsetzung des Vereins besteht, die Handlungen auf einer organisierten Willensbildung beruhen und nach den Umständen anzunehmen ist, dass sie vom Verein geduldet werden. Eine Erweiterung oder Einschränkung der zu Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 VereinsG in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe ist in dieser ausdrücklich zur Schließung einer Regelungslücke getroffenen gesetzlichen Regelung (vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 45) nicht zu sehen. Die Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG sind in der Verfassung abschließend benannt; der Gesetzgeber darf keine zusätzlichen Verbotsgründe einführen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Juni 2012, a.a.O., juris Rn. 96, unter Hinweis auf Löwer in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Komm. zum GG, 6. Aufl. 2012, Art. 9 Rn. 63; Heinrich, Vereinigungsfreiheit und Vereinigungsverbot – Dogmatik und Praxis des Art. 9 Abs. 2 GG, Baden-Baden 2005, S. 115). | Rn. 45 |
Anhand der dargestellten Maßstäbe lässt sich zwar nicht feststellen, dass der Kläger ausschließlich strafrechtswidrige Zwecke verfolgt hat. Zur Überzeugung des Senats hat er jedoch neben anderen auch strafrechtswidrige Zwecke verfolgt. Denn er hat offenbar bedenkenlos Mitglieder aufgenommen, die bereits schwere Straftaten begangen hatten, und hat planmäßig Strukturen aufgebaut, die darauf angelegt waren, künftig straffällig werdende Mitglieder und Anhänger möglichst vor Strafverfolgung zu bewahren, im Fall einer Inhaftierung deren Loyalität zum Verein durch straff organisierte materielle und ideelle Unterstützung zu gewährleisten und den Inhaftierten die Gewissheit zu vermitteln, auch nach Begehung schwerster Straftaten ungeachtet ihrer Folgen wieder problemlos in den Verein integriert zu werden. | Rn. 46 |
Ein wesentliches Element dieser Strukturen war eine starke emotionale Bindung der Mitglieder untereinander und an den Verein, die zum Beispiel in den an christliche Männerorden erinnernden Aufnahmeprozeduren – Probezeiten als „Hangaround“ und „Prospect“ – ebenso Ausdruck fand wie in der im persönlichen Umgang und im Schriftverkehr verwendeten Anrede „Bruder/Brüder“ (vgl. z.B. Verfahrensordner II Bl. 704 f.) und vor allem in der Bezeichnung der bei „offiziellen“ Anlässen getragenen Clubjacken als „Kutten“, denen vereinsintern eine geradezu identitätsstiftende Bedeutung beigemessen wurde. Dass mit der Aufnahme in diese subkulturellen Strukturen zugleich eine innere Abkehr von der bürgerlichen Rechtsordnung verbunden war, wird daran deutlich, dass schon die noch nicht als Vollmitglieder aufgenommenen „Supporter“ auf ihrer speziellen Clubbekleidung eine sich von staatlichen Gesetzen distanzierende Aufschrift trugen („You don’t respect our life, we don’t respect your laws“; Verfahrensordner Bd. II Bl. 748 f.). | Rn. 47 |
Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich allerdings eine strafrechtswidrige Prägung des Klägers unmittelbar weder der als „MC Germany Rules“ bezeichneten Liste („HELLS ANGELS MC GERMANY“, Verfahrensordner I Bl. 193 f.) noch der „SATZUNG HAMC FRANKFURT“ (Verfahrensordner I Bl. 195) entnehmen. Unabhängig davon, auf welche Weise die „Rules“ der Verbotsbehörde zugänglich gemacht wurden, können sie nach Ansicht des Senats angesichts ihres Inhalts nicht als vom Kläger für verbindlich anerkanntes Regelwerk angesehen werden. Zum einen dürfte ihre Abfassung schon mindestens zehn Jahre zurückliegen (Nr. 5: „Bei Neuaufnahme Member- DM 1000 in den Trust [einmalig] DM 100 jährlich“), zum anderen sprechen die letzten Nummern 40 bis 42 der „Rules“ eher dafür, dass es sich um eine Einladung zu damals vorgesehenen Veranstaltungen gehandelt hat („Aufnahme in den HAMC – Freitag 20.00 Uhr HANNOVER“/„Gespräche über German Bike Week“/„Patch-Party – Ort und Zeit wird bekanntgegeben“). Ob diese Veranstaltungen stattgefunden haben und welche Ergebnisse sie gebracht haben, ist dem Senat nicht bekannt. Wäre es damals allerdings tatsächlich zu einem bundesweit verbindlichen, schriftlich fixierten Regelwerk für Hells Angels in Deutschland gekommen, hätte es der beim Kläger aufgefundenen „SATZUNG HAMC FRANKFURT“, die ihrerseits nur völlig „harmlose“ Regeln aufstellt, nicht bedurft. Es fällt allerdings auf, dass der Kläger und seine Mitglieder einige der in den „Rules“ aufgestellten Postulate in der Praxis befolgt haben. Neben der Bezeichnung der Funktionäre (Nr. 1 der „Rules“) haben sie die Bewährungszeiten bis zur Vollmitgliedschaft – mit Ausnahme der aus aufgelösten Chartern „übernommenen“ Mitglieder E... (vgl. unten S. 27 f., Rn. 27 ff.), S... und T... (vgl. unten S. 34 f., Rn. 84 f.) – offenbar entsprechend den Nrn. 27 und 28 der „Rules“ gehandhabt. | Rn. 48 |
Zahlreiche Indizien sprechen dafür, dass der Kläger im Hinblick auf die hohe Kriminalitätsrate seiner Mitglieder und in Erwartung weiterer aus ihren Reihen begangener Straftaten planmäßig eine Infrastruktur aufgebaut hatte, um diese Mitglieder vor strafrechtlicher Verfolgung ihrer Taten zu schützen, im Fall einer Inhaftierung durch regelmäßige, systematische Besuche und Unterhaltszahlungen die Freiheitsentziehung erträglicher zu machen und dadurch nicht nur den Inhaftierten, sondern auch den übrigen Mitgliedern deutlich zu machen, dass sie ohne Rücksicht auf Art und Schwere ihrer Straftaten mit einer nahezu bedingungslosen Solidarität ihres Charters rechnen konnten. Die im Zuge von Durchsuchungen beim Kläger aufgefundenen Anwaltslisten (Verfahrensordner II Bl. 709 ff.) zeigen, dass mehr als ein Jahr vor dem Vereinsverbot vom Kläger geführte Listen existierten, in denen einzelnen Mitgliedern namentlich mit Kontaktdaten zugewiesene „Clubanwälte“ bestellt waren, die den betreffenden Mitgliedern im – offenbar erwarteten – Bedarfsfall rechtlichen Beistand leisten sollten. An den häufigen Besuchen inhaftierter Mitglieder des Charters beteiligten sich – wie später noch an Beispielfällen zu zeigen ist – besonders intensiv Funktionäre des Klägers bis hin zum Präsidenten (vgl. die JVA-Aufstellungen und die Erläuterungsvermerke des Landeskriminalamts, Verfahrensordner I Bl. 209 ff.). Die Zahlungen des Klägers an inhaftierte Mitglieder erfolgten geschäftsmäßig durch den Treasurer in zumeist so regelmäßigen Abständen, dass der jeweilige Empfänger sie als Teil seines laufenden Einkommens einkalkulieren konnte. | Rn. 49 |
Soweit der Kläger meint, diese Unterstützungsmaßnahmen seien als Akte legitimer Solidarität zwischen Freunden anzusehen und deshalb vereinsrechtlich irrelevant, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die geschäftsmäßige Organisation der Unterstützungsmaßnahmen und eines planmäßigen Besuchsdienstes gingen über das Maß üblicher Freundesdienste hinaus und waren – wenn nicht darauf angelegt – jedenfalls geeignet, den inhaftierten Mitgliedern ein Gefühl bedingungsloser Wertschätzung und Geborgenheit auch nach schwer wiegenden Straftaten zu vermitteln, ihre Loyalität gegenüber dem Kläger während der Inhaftierung und danach zu sichern und die Hemmschwelle für die Begehung künftiger Straftaten zu senken. Hierin liegt die besondere, verbotsrelevante Gefährlichkeit der Tätigkeit des Klägers, der über Jahrzehnte hinweg Kriminelle neu aufgenommen und – mit ganz wenigen Ausnahmen – selbst schwerkriminelle Mitglieder nicht aus seinen Reihen entfernt hat, was teils als Billigung, mindestens aber als Hinnahme der jeweiligen Straftaten ohne vereinsinterne Konsequenzen entscheidungserheblich ist und dem Kläger wegen seiner Beharrlichkeit in diesem Punkt ein strafrechtswidriges Gepräge gab. | Rn. 50 |
Diese strafrechtswidrige Prägung des Klägers wird durch eine Reihe der in der angefochtenen Verbotsverfügung abgehandelten Straftaten seiner Mitglieder bestätigt. | Rn. 51 |
Dabei lässt der Senat aus verfahrensrechtlichen und -technischen Gründen die auf Seite 11 der Verbotsverfügung geschilderten Vorgänge anlässlich einer Jubiläumsfeier des „MC Black Souls“ im südhessischen Roßdorf außer Betracht, obwohl sie nach der Schilderung in der Verfügung und teilweise auch nach dem Inhalt der von der Beklagten auf Anfrage vorgelegten, aber vom Landgericht Darmstadt weitgehend nicht zugelassenen Anklage vom 13. Januar 2012 – 360 Js 38670/10 – (Anlagenordner zum Schriftsatz vom 30. Oktober 2012, Bl. 161 ff.) mehrere der oben dargestellten Zurechnungsmerkmale erfüllen. Damals sollen sich sieben Mitglieder des Klägers, darunter zwei Vorstandsmitglieder, verabredungsgemäß zusammen mit Mitgliedern anderer Charter der Hells Angels eine schwere Schlägerei mit „Black Souls“ geliefert haben, die nur durch massives Eingreifen der Polizei beendet werden konnte. Dabei sollen auch „Kutten“ der angegriffenen „Black Souls“ mit Gewalt entwendet und nur auf Intervention durch die Polizei Tage später – teils beschädigt und „entweiht“ – wieder herausgegeben worden sein. Unter anderem wegen schweren Raubes angeklagt sind ein Secretary und vier weitere Mitglieder des Klägers. Die Staatsanwaltschaft hat in der Anklageschrift insgesamt 60 Zeugen benannt. | Rn. 52 |
Von der zunächst erwogenen Aussetzung des vorliegenden Verfahrens im Hinblick auf dieses Strafverfahren (vgl. dazu die Presseerklärung des VGH Baden-Württemberg vom 23. August 2012 zur Aussetzung des Hauptsacheverfahrens 1 S 2000/11, juris, zum Vereinsverbot der Hells Angels Pforzheim, Charter Borderland) hat der Senat ebenso abgesehen wie von einer Beiziehung der Strafakten und einer Auswertung der bei den Behördenakten befindlichen Videoaufnahmen von der Schlägerei zu Ermittlungszwecken. Denn aufgrund der in der mündlichen Verhandlung hierzu verlesenen Urkunden ist es höchst zweifelhaft gewesen, ob, wann und in welchem Umfang die mittlerweile zwei Anklagen in dieser Sache zugelassen werden und das Hauptverfahren eröffnet wird. Dass das Landgericht Darmstadt inzwischen – am 4. März 2013 – mit noch nicht rechtskräftigem Beschluss die Eröffnung des Hauptverfahrens weitgehend abgelehnt hat, ist dem Senat bei seiner abschließenden Beratung am 28. Februar 2013 nicht bekannt gewesen. Zwar könnte eine vereinsrechtliche Würdigung und Verwertung der Vorgänge – wie oben dargestellt – auch erfolgen, wenn die Angelegenheit strafprozessrechtlich im Sande verlaufen sollte. Dies würde aber eine aufwändige und langwierige Ermittlungstätigkeit des Senats mit ungewissem Ausgang voraussetzen, weil es auch für die vereinsrechtliche Würdigung des Vorgangs neben dem äußeren Geschehen vor allem auf die ursprünglichen Motive der Hells Angels für ihr gemeinsames Auftreten in Roßdorf ankommt. Diese sind, wie auch in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden ist, umstritten. | Rn. 53 |
Da die übrigen Ermittlungsergebnisse des Beklagten das ausgesprochene Vereinsverbot selbständig tragen, hat der Senat aus diesen Gründen den Komplex „Black Souls“ bei der Beurteilung des Verbots nicht berücksichtigt. | Rn. 54 |
Von den in der angegriffenen Verbotsverfügung verwerteten weiteren Straftaten sind – mindestens – vier Komplexe dem Kläger zurechenbar und damit verbotsrelevant. Ob in den übrigen Fällen ein Zurechnungszusammenhang besteht, ist nicht entscheidungserheblich und kann dahinstehen, da eine strafrechtswidrige Prägung eines Vereins schon aufgrund weniger Straftaten, ja sogar nur einer Tat seiner Mitglieder festgestellt werden kann (OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Juni 2012, a.a.O., juris Rn. 97, 105; BVerwG, Beschluss vom 29. Januar 2013, a.a.O., juris Rn. 9). | Rn. 55 |
Dem Kläger vereinsrechtlich zurechenbar ist trotz der Einstellung des darauf beruhenden Ermittlungsverfahrens mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 StPO) die auf Seite 12 der angefochtenen Verbotsverfügung beschriebene „Strafaktion“ des Klägers gegen sein früheres, anschließend ausgetretenes Mitglied U… (vgl. Bd. I Bl.109 GA und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachte Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 22. November 2011 – 6330 Js 256269/09 –, Verfahrensordner II, Bl. 628 ff.). | Rn. 56 |
Aufgrund des Inhalts der Behördenakten (vgl. Ermittlungsbericht und Vermerke des Hessischen Landeskriminalamts vom 12. November 2011 bzw. 2. Dezember 2010 und ohne Datum, Verfahrensordner Bd. II Bl. 586 ff., 608 ff., 621 ff. und die bereits zitierte Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft) steht zur Überzeugung des Senats folgender Sachverhalt fest: | Rn. 57 |
Am Sonntag, dem 18. Oktober 2009, vor 20:13 Uhr wurde auf das damalige Vollmitglied des Klägers U… vor seinem einsam gelegenen Wohnhaus im Außenbereich von Usingen an der Bundesstraße 275, nach Angaben U...s aus einem mit mäßiger Geschwindigkeit fahrenden Auto heraus, mit einer kleinkalibrigen Waffe (kleiner als Kal. 7 mm) aus weniger als einem Meter Entfernung ein Schuss abgegeben, der seinen linken Oberarm durchschlug. U..., der als Tatzeit 20:00 Uhr angab, wurde im Krankenhaus Usingen ab 20:13 Uhr ambulant behandelt. Gegenüber der vom behandelnden Arzt informierten Polizei gab er an, den Schützen nicht erkannt zu haben und auch zu dem für die Tat benutzten PKW keine Angaben machen zu können. Im Rahmen einer von der Polizei durchgeführten Funkzellen- und Verkehrsdatenüberwachung wurde festgestellt, dass sich am Tattag in der Zeit zwischen 19:18 Uhr und 19:34 Uhr zwei dem damaligen Prospect des Klägers V... bzw. seiner damaligen Freundin zugeordnete Mobiltelefone in der Nähe des Tatorts, der sog. Tatortfunkzelle, befanden und mit diesen Telefonen im angegebenen Zeitraum eine SMS empfangen, drei Gespräche geführt und ein vergeblicher Anrufversuch unternommen worden waren. Nach dem um 19:18 Uhr erfolgten Empfang einer SMS, die mit einem dem als „Secretary“ des Klägers bezeichneten W... zugeordneten Mobiltelefon abgesandt worden war, erfolgte um 19:19 Uhr aus der Tatortfunkzelle heraus ein Telefongespräch mit dem Absender der SMS, das 59 Sekunden dauerte (Verfahrensordner II Bl. 598). Nach einem offenbar vergeblichen Anrufversuch aus der Tatortfunkzelle um 19:22 Uhr rief der angerufene U..., damals Prospect des Klägers, um 19:24 Uhr von einem Ort außerhalb der Tatortfunkzelle zurück. Das Gespräch dauerte zwei Minuten und 55 Sekunden (Verfahrensordner II Bl. 594 ff.). Nach einem internen Gespräch zwischen den Mobiltelefonen V...s und seiner damaligen Freundin innerhalb der Tatortfunkzelle um 19:27 Uhr erfolgte um 19:34 Uhr mit dem Mobiltelefon der Freundin V...s ein 49 Sekunden dauernder Anruf bei dem Mobiltelefon des T..., Mitglied des Klägers und damals „Probevater“ des Prospects V..., der am 1. August 2010 während des laufenden Ermittlungsverfahrens Member des Klägers wurde (vgl. dazu den Vermerk des Hessischen Landeskriminalamts vom 1. Dezember 2011, Verfahrensordner II Bl. 740 ff.). | Rn. 58 |
Aufgrund dieser Tatsachen ist der Senat davon überzeugt, dass es sich bei der Tat um eine dem Kläger vereinsrechtlich zurechenbare „Strafaktion“ gehandelt hat, mit der man auf in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft dargestellte vorausgegangene Disziplinlosigkeiten und Pflichtverletzungen seines später ausgeschiedenen Mitglieds U... reagieren wollte. Der von der Staatsanwaltschaft letztlich als unglaubwürdig angesehene, ursprünglich von der Polizei als Beschuldigter geführte Zeuge K... alias K...-O… hat sich bei seinen polizeilichen Vernehmungen dahin eingelassen, er habe schon kurz nach der Tat im Telefongespräch mit V... erfahren, dass ein Mitglied des Charters in Idstein/Usingen angeschossen worden sei; später habe er erfahren, im Rahmen eines clubinternen Konflikts sei jemand aus nächster Nähe („Auge in Auge“) angeschossen und damit abgestraft worden (Verfahrensordner II Bl. 599, 614). Die Tat habe einen finanziellen Hintergrund gehabt („Wenn ein Bruder bescheißt, wird er bestraft“; a.a.O., Bl. 599). Zwar dürften diese Angaben – auch abgesehen von der Frage der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen – nicht ausreichen, um V… als Schützen zu überführen, weil der Zeuge behauptet hat, außer V... sei mit L... noch ein weiteres Mitglied des Klägers am Tatort gewesen. Es kann aber aufgrund der dargestellten Indizien kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die Tat – von wem auch immer – im Auftrag und im Interesse des Klägers begangen worden ist. Dafür spricht auch, dass schon am Nachmittag des Tattags der „Secretary“ und zwei weitere Mitglieder des Klägers, darunter der „Probevater“ V...s, am Wohnhaus des späteren Opfers einen Zettel hinterlassen hatten mit der Aufforderung, dringend den Präsidenten des Klägers anzurufen (Verfahrensordner Bd. II Bl. 591 f.). Dass der „Secretary“ W... dann rund drei Stunden später das letzte Telefongespräch mit dem in der Nähe des Tatorts befindlichen V... unmittelbar vor der Tat geführt hat, lässt darauf schließen, dass er den „Einsatzbefehl“ übermittelt hat. | Rn. 59 |
Bei der Würdigung dieser Vorgänge hat der Senat berücksichtigt, dass der in der angefochtenen Verbotsverfügung nicht als Funktionär des Klägers bezeichnete W... zur Tatzeit entgegen der Annahme des Hessischen Landeskriminalamts nur einfaches Mitglied des Klägers war. Die im Ermittlungsbericht dieser Behörde vom 12. November 2010 (S. 18, Verfahrensordner Bd. II Bl. 603) handschriftlich von „Sargent at Arms“ in „Secretary“ geänderte Funktionsbezeichnung W…s ist auch in der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 22. November 2011 nicht verwendet worden, so dass der Senat davon ausgeht, dass hier ein Irrtum der Kriminalpolizei vorlag. Dies hindert indessen nicht daran, Mitwirkungshandlungen W…s vereinsrechtlich dem Kläger zuzurechnen. | Rn. 60 |
Die „Strafaktion“ zeigt, dass die maßgebenden Funktionäre des Klägers nicht davor zurückschreckten, zur Disziplinierung eines missliebig gewordenen Mitglieds kriminelle Methoden anzuwenden. Dieses Verhalten gibt dem Kläger und seiner Tätigkeit ein strafrechtswidriges Gepräge. | Rn. 61 |
Gleiches gilt für die Aufnahme von E... als Mitglied trotz seiner als Mitglied des aufgelösten Charters Kassel der Hells Angels begangenen schweren Straftaten (vgl. S. 6 f. der Verbotsverfügung). Bei der Beurteilung dieser Vorgänge hat allerdings die letzte dort ohne Angabe eines Aktenzeichens aufgeführte Verurteilung E...s durch das Amtsgericht Kassel wegen räuberischer Erpressung mit Urteil vom 10. Februar 2011 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten außer Betracht zu bleiben, weil eine solche Verurteilung weder in den Behördenakten dokumentiert noch aus dem vorliegenden Zentralregisterauszug vom 9. September 2010 ersichtlich ist (Ordner Tatsachenerhebung Bd. I Bl. 122 f.). Da somit nicht nachvollziehbar ist, wie der Beklagte Kenntnis von einer solchen Verurteilung erlangt hat, ist dieser Aspekt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verbotsverfügung ohne Bedeutung. | Rn. 62 |
Vereinsrechtlich von Bedeutung sind jedoch die beiden anderen in der Verfügung erwähnten Verurteilungen, insbesondere die durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Kassel vom 8. Mai 2002 – 8850 Js 39302/07 5 KLs – (Ordner Tatsachenerhebung Bd. I Bl. 129 f.) erfolgte wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatten sich am Abend des 18. April 2007 der Kläger und fünf weitere Mitglieder des damals noch bestehenden Vereins Hells Angels MC Charter Kassel, darunter dessen mit einem Revolver bewaffneter Präsident, zur Wohnung des damaligen Vizepräsidenten des Charters begeben, um ihm mit Gewalt alle Gegenstände mit Hells-Angels-Symbolen und Wertgegenstände einschließlich der Schlüssel zu seinem im Clubhaus des Charters abgestellten und von einem weiteren Mittäter „bewachten“ Motorrad der Marke Harley-Davidson wegzunehmen und sich selbst anzueignen. Die Täter hatten zuvor beschlossen, ihren damaligen Vizepräsidenten aus dem Charter auszuschließen und ihm das im Eigentum seines Vaters stehende Motorrad wegzunehmen. Entsprechend dem gemeinsam gefassten Tatplan wurde verfahren, wobei das Opfer keinen Widerstand leistete und nicht verletzt wurde, nachdem der Charter-Präsident unter Hinweis auf seinen ungeladenen Revolver gesagt hatte, man könne „auch ganz anders“ mit ihm umgehen. Zwar tragen die Feststellungen des Landgerichts nicht den erfolgten Schuldausspruch des (schweren) Raubes (§§ 249, 250 StGB), wohl aber den der räuberischen Erpressung, für die die Täter „gleich einem Räuber“ zu bestrafen waren (§ 255 StGB). | Rn. 63 |
Unter Einbeziehung dieser Strafe wurde E... mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 9. Juli 2009 – 264 Ls – 8852 Js 26787/07 – (Ordner Tatsachenerhebung Bd. I Bl. 144 ff.) wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte E... am 4. März 2007 einen Taxifahrer, der ihn zum damaligen Clubhaus der Hells Angels in Kassel gefahren hatte, mit mehreren Faustschlägen ins Gesicht erheblich verletzt, um ihn dadurch zu veranlassen, 4.000 € als Ersatz für den Verdienstausfall einer Frau zu bezahlen, die während einer zeitweiligen Trennung von ihrem Ehemann nicht mehr für diesen, einen Bekannten E...s, als Prostituierte tätig gewesen war. Der Taxifahrer zahlte nicht und wandte sich an die Polizei. | Rn. 64 |
Dass der Kläger diesen Mann für geeignet gehalten hat, sofort und ohne Probezeit in seine Reihen aufgenommen zu werden, und dass er während einer kurzen Inhaftierung in der JVA Kassel vom 19. Oktober bis 1. November 2010 schon am 21. Oktober 2010 eine vom Treasurer angewiesene Zahlung des Klägers erhielt (Verfahrensordner I Bl. 281), zeigt, dass Mitglieder anderer, aufgelöster Charter der Hells Angels vom Kläger offenbar selbstverständlich für geeignet erachtet werden, ohne die sonst übliche Aufnahmeprozedur in die eigenen Reihen übernommen zu werden. | Rn. 65 |
Besonders gefährlich ist diese auch in weiteren Fällen (siehe unten S. 34 f., Rn. 76 f. ) geübte Übernahmepraxis des Klägers, weil dadurch Mitgliedern anderer Charter der Hells Angels die Aussicht vermittelt wird, im Fall der Selbstauflösung oder des Verbots ihrer Vereine nahtlos in ein vergleichbares Milieu wechseln zu können. Deshalb ist die Übernahme des erheblich vorbestraften E... ein weiteres Indiz für die strafrechtswidrige Prägung des Klägers. Dass er auch zum „Sergeant at Arms“ gewählt worden sein soll, wird vom Kläger bestritten (Bd I Bl. 172 GA) und ist nicht erwiesen. | Rn. 66 |
Ebenfalls verbotsrelevant sind die auf Seiten 7 f. der Verbotsverfügung teilweise beschriebenen Straftaten des Members R..., die zu seiner Verurteilung durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18. Mai 2009 – 5/4 KLs 4721 Js 234310/08 SN-NF (5/09) – wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten geführt haben, die er derzeit noch bis Juni 2013 verbüßt (Ordner Tatsachenerhebung Bd. I Bl. 198 ff., Bd. II Bl. 290 GA). Neben dem von R... begangenen, vom Bevollmächtigten des Klägers zu Recht als „abscheuliche Vergewaltigung“ (Bd. II Bl. 185 Mitte GA) bezeichneten Sexualverbrechen ist auch die gleichzeitig abgeurteilte, in der Verbotsverfügung nicht ausdrücklich beschriebene versuchte räuberische Erpressung in den Blick zu nehmen. Nach den Feststellungen des Landgerichts hierzu (Abschnitt II. 2., S.10 f. des o.a. Urteils, a.a.O. Bl. 207 f.) hat R... im Oktober 2008 von einer Prostituierten, die sich kurz zuvor nach einer fast einjährigen privaten sexuellen Beziehung von ihm getrennt hatte, unter Drohungen erfolglos die Zahlung von 5.000 € verlangt, obwohl er auf dieses Geld keinen Anspruch hatte. Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen des Landgerichts (a.a.O.) verwiesen. Für diesen Erpressungsversuch hat das Landgericht als Einzelstrafe eine Freiheitsstrafe von einem Jahr für angemessen gehalten, die es bei der Gesamtstrafenbildung durch Erhöhung der für die schwere Vergewaltigung für angemessen gehaltenen Einzelstrafe – Freiheitsstrafe von vier Jahren – um sechs Monate berücksichtigt hat. | Rn. 67 |
Beide Straftaten haben für sich gesehen keinen unmittelbaren Bezug zum Kläger. Im o.a. Strafurteil findet sich ein Hinweis auf den Kläger nur bei den Ausführungen zur Person, aus denen sich ergibt, dass R... seinen Lebensunterhalt zuletzt als Türsteher verdient hat und „seit einigen Jahren ‚Vollmitglied‘ der Hells Angels, Charter Frankfurt, [ist,] für deren Aktivitäten er viel Zeit aufwendet“ (S. 4 des o.a. Urteil, a.a.O. Bl. 201). | Rn. 68 |
Verbotsrelevante Bedeutung hat der Tatenkomplex aber dadurch gewonnen, dass der Fall R... die Mechanismen und Strukturen aufzeigt, die wirksam werden, wenn sich Mitglieder des Klägers im Privatbereich zu Schwerstkriminellen entwickeln. Der Kläger hat sich trotz des schweren Sexualverbrechens R...s von diesem Mitglied nicht etwa sogleich getrennt, sondern ihn erkennbar in sein Unterstützungssystem für inhaftierte Clubmitglieder einbezogen. | Rn. 69 |
Zum einen wurde er während seiner Inhaftierung vom Kläger finanziell unterstützt. Zwar weisen die vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Kontolisten (Bd. III Bl. 407 ff. GA) für die Zeit vom 15. Juli 2010 bis zum angegriffenen Vereinsverbot nur vier vom Treasurer des Klägers veranlasste Überweisungen auf das JVA-Konto R...s in Höhe von insgesamt 400 € und eine weitere Zahlung nach dem Vereinsverbot in Höhe von 128 € am 24. Januar 2012 aus. Das ist zwar weit weniger, als zum Beispiel das gleichzeitig inhaftierte Mitglied S... durch regelmäßig vom Treasurer des Klägers angewiesene kleinere Zahlungen in Höhe von insgesamt 2.190 € erhalten hat (Bd III Bl.414 ff. GA). Es ist auch nicht ersichtlich, warum bei R... einigermaßen regelmäßige Zahlungen des Klägers nur im Jahre 2010 erfolgten und dann bis zum Vereinsverbot kein Geld mehr auf sein JVA-Konto floss. Dafür, dass R... noch zur Zeit des Vereinsverbots vom Kläger auf andere Weise finanziell unterstützt wurde, spricht allerdings der Umstand, dass anlässlich der Sicherstellung des Vereinsvermögens am 1. November 2011 im Thekenraum des Vereinsheims eine Spendendose mit der Aufschrift „R… 81 BHC“ gefunden worden ist. Aus anderem Zusammenhang ist bekannt, dass das Kürzel „BHC“ (Big House Crew) weltweit die Verbundenheit von Hells Angels zu inhaftierten „Brüdern“ zum Ausdruck bringen soll (vgl. dazu das Gruppenfoto der Mitglieder des Charters Westend und den erläuternden Vermerk des Hessischen Landeskriminalamts vom 6. Dezember 2011, Verfahrensordner Westend I Bl. 46 ff.). Der Verbleib dieser Spendenbüchse im Vereinsheim über das Vereinsverbot hinaus ist ein Indiz dafür, dass R... nach wie vor als Mitglied und Freund betrachtet wurde. | Rn. 70 |
Dass die unterstützende Solidarität des Klägers mit R... durch seine Inhaftierung wegen eines schweren Sexualverbrechens keinen Schaden genommen hatte, wird zum anderen durch zahlreiche Besuche von Mitgliedern des Klägers während der Haft belegt. Die Besuchsnachweise der JVA Butzbach (Verfahrensordner I Bl. 223 ff.) weisen aus, dass R... den ersten Besuch des Präsidenten seines Charters in Begleitung eines weiteren Mannes, dessen in der Verbotsverfügung vorausgesetzte Vereinsmitgliedschaft vom Kläger bestritten wird, am 12. Februar 2009, knapp zweieinhalb Monate nach Haftantritt erhalten hat. Ein weiterer Besuch des Präsidenten in Begleitung des Treasurers des Klägers ist für 23. Juni 2009 vermerkt, ein Besuch eines Mitglieds für 17. September 2009, ein weiterer Besuch des Präsidenten in Begleitung eines weiteren Mitglieds des Klägers für 5. Februar 2010, ein weiterer Besuch des Präsidenten in Begleitung eines weiteren Mitglieds des Klägers für 14. Mai 2010, zwei weitere Besuche je eines Mitglieds des Klägers für 17. August und 19. September 2010, ein Besuch zweier Mitglieder des Klägers für 7. November 2010, ein weiterer Besuch des Präsidenten in Begleitung des Treasurers des Klägers für 16. November 2010, ein Besuch eines Mitglieds des Klägers für 26. Dezember 2011, zwei Besuche jeweils zweier bzw. dreier Mitglieder des Klägers für den 15. und 20. Februar sowie den 13. März 2011, wobei am letztgenannten Besuchstermin auch der Sergeant at Arms teilnahm, ein Besuch eines Mitglieds des Klägers für den 3. Mai 2011 und ein weiterer Besuch des Präsidenten des Klägers für 10. Mai 2011. Zu vorgesehenen Besuchen R...s am 10. September 2010, am 3. Oktober 2010, am 14. November 2010, am 9. Januar 2011 und am 3. April 2011 sind die angemeldeten Mitglieder des Klägers, darunter in drei Fällen auch sein Präsident, nicht erschienen. | Rn. 71 |
Dass an dieser Besuchsserie überproportional der Präsident und in abgeschwächter Form auch der Treasurer des Klägers beteiligt waren, zeigt zum einen, dass der Besuchsdienst „Chefsache“ und nicht nur Ausdruck rein privater Freundschaftsbeziehungen war, und zum anderen, dass R... trotz seines offenbar auch von Klägerseite als „abscheulich“ angesehenen Sexualverbrechens noch so viel Wertschätzung entgegengebracht wurde, dass sich der Präsident des Klägers nicht zu schade war, an mehreren Besuchen selbst teilzunehmen. Dass die oben geschilderten Zahlungen des Klägers 1. Oktober 2010 mit im Vergleich zu anderen inhaftierten Mitgliedern relativ hohen Monatsbeträgen von 200 € aufgenommen und bis Dezember 2010 fortgesetzt wurden (JVA-Kontolisten Bd. III Bl. 407 f. GA), ist ein Indiz dafür, dass das Einvernehmen mit R... in diesem Zeitraum sehr groß gewesen sein muss, während die mit der Einstellung der Zahlungen korrespondierende Ausdünnung der Besuchsdichte des Präsidenten ab Januar 2011 auf Differenzen zwischen R... und der Vereinsspitze hindeutet. Diese Schwankungen der materiellen und ideellen Zuwendung machen zugleich deutlich, dass die organisierten Besuche und die Zahlungen an R... bzw. ihr Ausbleiben von den Vereinsfunktionären methodisch als Führungsmittel eingesetzt wurden. | Rn. 72 |
Dem Kläger zurechenbar ist schließlich die auf Seite 8 der angegriffenen Verbotsverfügung dargestellte Straftat des früher zum aufgelösten Charter Mainz gehörenden Members S... und des damaligen Prospects X.... Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Mainz in dessen insoweit rechtskräftigem Urteil vom 2. April 2009 – 3330 Js 23113/08 – 1 KLs – (S. 27 bis 33, Ordner Tatsachenerhebung II, Bl. 227 – 233), die in der mündlichen Verhandlung verlesen worden sind, wecken keine durchgreifenden Zweifel an der Darstellung des Beklagten, dass Ursache der Erpressung Kritik eines Mainzer Gastwirts an von den Hells Angels betriebenen Terminwohnungen in Mainz-Kostheim gewesen sei. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Gastwirt, der selbst Terminwohnungen im Rhein-Main-Gebiet – auch in Mainz – betrieb, zuvor Mieter der drei Wohnungen, die er wegen Unrentabilität unter Zurücklassung des Inventars aufgegeben hatte. Danach hatte er die Gaststätte in Mainz eröffnet, wobei wegen seines Alkoholismus‘ eine Strohfrau die Gaststättenkonzession beantragte und Konzessionsinhaberin war. Nachdem zunächst ein anderer Mieter erfolglos versucht hatte, die Wohnungen in Mainz-Kostheim rentabel zu betreiben, wurden sie von der damaligen Lebensgefährtin X...s angemietet und von diesem zusammen mit S... eigenhändig renoviert. Dann ereigneten sich die in der Verbotsverfügung geschilderten Vorgänge in der Mainzer Gaststätte, wobei anlässlich des geschilderten Ereignisses am Sonntag, 17. August 2008, die Polizei von dem Gastwirt ins Vertrauen gezogen und mit mindestens acht Polizeibeamten in der Küche und mit einer als Freundin des Gastwirts ausgegebenen Polizeibeamtin im Schankraum der Gaststätte vertreten war. X... – hinsichtlich der Anwesenheit der Polizeibeamtin offenbar argwöhnisch geworden – fragte sie, ob sie „undercover“ sei, was diese verneinte. Nach diesem Wortwechsel sprach X... – an die Polizeibeamtin gewandt – davon, dass er – die später übergebenen – 5.000 € leihen wolle, was der Gastwirt ihr gegenüber erstaunt bestätigte. X... erklärte sodann noch vor der Geldübergabe, er sei ein Ehrenmann und werde das Geld zurückgeben. | Rn. 73 |
Die Zurechenbarkeit dieser vom Landgericht Mainz als versuchte gemeinschaftliche schwere räuberische Erpressung abgeurteilten und mit Freiheitsstrafen von jeweils drei Jahren und sechs Monaten geahndeten Tat ergibt sich zum einen daraus, dass beide Täter bei ihrer Begehung „Kutte“ trugen und dadurch für die Zeugen als Mitglied bzw. Anhänger des Klägers erkennbar waren, was von den Tätern offenbar beabsichtigt war, um den Druck auf ihr Opfer zu erhöhen. Dem mit dem „Milieu“ vertrauten Opfer dürfte ohnehin nicht entgangen sein, dass der damals in Mainz-Kastel, einem Nachbarort von Mainz-Kostheim, wohnende S... ein relativ „prominentes“ Mitglied der Hells Angels war. Denn er hatte nach den Feststellungen des Landgerichts Mainz dem im Juni 2002 nach Festnahme der meisten Mitglieder aufgelösten MC Hells Angels Charter Mainz als Vollmitglied angehört. Durch Urteil des Landgerichts Mainz vom 25. Februar 2004 – 3430 Js 26510/00 3 KLs – war er u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung, unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden; die Verbüßung eines Strafrests aus dieser Verurteilung war im Februar 2007 bis 22. Februar 2010 zur Bewährung ausgesetzt worden (Ordner Tatsachenerhebung II Bl. 14 ff., 117 ff.,152 ff.). | Rn. 74 |
Vereinsrechtlich zurechenbar ist dem Kläger die in Mainz begangene Tat X...s und S...s zum anderen deshalb, weil er beide während ihrer darauf beruhenden Inhaftierung durch organisierte Besuche auch führender Mitglieder und – bezüglich S... – planmäßige Geldleistungen nachhaltig unterstützt und an sich gebunden hat. Im Übrigen ist bekannt geworden, dass X... während seiner Haftzeit anlässlich eines Hafturlaubs im Rahmen einer „Patch-Party“ am 26. Februar 2011 vom Prospect zum Vollmitglied „befördert“ worden ist (Verfahrensordner Bd. II Bl. 737 ff.). | Rn. 75 |
S... hat nach den Ermittlungen des Hessischen Landeskriminalamts während seiner Haftzeit von 11. September 2009 bis 11. November 2010 durch Überweisungen des Treasurers bewirkte Zahlungen des Klägers in Höhe von insgesamt 2.190 € erhalten, die größtenteils – meist mehrmals monatlich – in Teilbeträgen von jeweils 80 € erfolgt sind (Verfahrensordner Bd. I Bl. 279 f.). | Rn. 76 |
Besuche von Mitgliedern des Klägers erhielt X... laut Besuchsnachweis der JVA Darmstadt (Verfahrensordner Bd. I Bl. 246 ff.) an einem nicht vermerkten Tag (a.a.O. Bl. 250) durch den Treasurer und zwei weitere Mitglieder des Klägers, am 5. August 2010 wiederum durch den Treasurer und zwei weitere Mitglieder des Klägers, am 11. Oktober 2010 durch den Präsidenten und den Vizepräsidenten des Klägers, am 23. November 2010 durch den Road-Captain und ein weiteres Mitglied des Klägers, am 24 Januar 2011 durch ein Mitglied des Klägers in Begleitung eines weiteren Mannes und am 21. Februar 2011 durch den Präsidenten und ein weiteres Mitglied des Klägers. Ein weiterer, für 23. September 2010 angemeldeter Besuch des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Klägers wurde „storniert wegen Entlassung/Verlegung“. | Rn. 77 |
S... erhielt laut Besuchsnachweis der JVA Darmstadt (Verfahrensordner Bd. I Bl. 240 ff.) Besuch von Mitgliedern des Klägers nur einmal durch dessen Präsidenten und ein weiteres Mitglied am 23. November 2010. | Rn. 78 |
Der bezüglich des Besuchsdienstes offenbar etwas „vernachlässigte“ S... ist allerdings neben dem schon erwähnten E... ein weiteres Beispiel für die die Tätigkeit des Klägers als strafrechtswidrig prägende Praxis, erheblich straffällig gewordene ehemalige Mitglieder anderer Charter der Hells Angels nach deren Auflösung offenbar bedenkenlos ohne weitere Umstände in ihre Reihen aufzunehmen und dadurch billigend in Kauf zu nehmen, dass diese neuen Mitglieder ihre Deliktserien dann in einer dem Kläger zurechenbaren Weise fortsetzen, was bei S... nach seiner Haftentlassung im Februar 2007 schon im August 2008 während einer noch laufenden Bewährungszeit geschehen ist. S... ist seit seiner Jugend regelmäßig mit zum Teil schweren Straftaten in Erscheinung getreten (vgl. Urteil des Landgerichts Mainz vom 25. Februar 2004, a.a.O., S. 25 ff., Ordner Tatsachenerhebung II Bl. 140 ff.). | Rn. 79 |
Gleiches gilt für das ebenfalls aus dem aufgelösten Charter Mainz übernommene Mitglied T..., der im selben Verfahren wie S... durch Urteil des Landgerichts Mainz vom 25. Februar 2004 (a.a.O., Bl. 117 ff.) u.a. wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Waffendelikten und in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verurteilt worden ist. T... war seit Gründung des MC Hells Angels Charter Mainz Vollmitglied, bis Ende 2000 dessen Vizepräsident und danach bis Dezember 2001 dessen Sergeant at Arms. Der Verurteilung T...s durch o.a. Urteil vom 25. Februar 2004 waren eine in dessen Gründen abgehandelte Kette zum Teil schwerer Vorstrafen, der mehrfache Widerruf der Aussetzung von Strafresten zur Bewährung und die vollständige Verbüßung einer nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten vorausgegangen (Urteilsabdruck S. 20 ff.; a.a.O. Bl. 135 ff.). | Rn. 80 |
Anders als bei S... lassen sich bei T... anhand der vorliegenden Behördenakten seit Verbüßung von offenbar zwei Dritteln der durch Urteil des Landgerichts Mainz vom 25. Februar 2004 (a.a.O.) gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und nach inzwischen erledigter Aussetzung des Strafrests zur Bewährung keine erneuten Straftaten feststellen (vgl. Zentralregisterauszug vom 9. September 2010, Ordner Tatsachenerhebung I Bl. 230 ff., 239 f.). Auch sind dort weder Zahlungen des Klägers an ihn noch Besuche von Chartermitgliedern bei ihm während der Haftzeit dokumentiert. Auch die Überwachung der Telefonanschlüsse des Treasurers des Klägers hat insoweit nicht viel ergeben (Verfahrensordner I Bl. 174). Andererseits war T... an der oben behandelten „Strafaktion U...“ am 18. Oktober 2009 als einer der Überbringer des am Nachmittag des Tattages am Eingangstor des Grundstücks U...s vorgefundenen Zettels, als „Probevater“ des damaligen Hauptbeschuldigten V... und als Empfänger eines offenbar von V... aus der Tatortfunkzelle heraus mit T... geführten, 49 Sekunden dauernden Telefongesprächs um 19:34 Uhr beteiligt (Verfahrensordner II Bl. 591 f., 603). | Rn. 81 |
Ein weiteres Indiz für eine strafrechtswidrige Prägung des Klägers sind die auf den Seiten 12 f. der angefochtenen Verbotsverfügung beschriebenen Funde von Waffen, Munition und gefährlichen Gegenständen anlässlich verschiedener Durchsuchungen, insbesondere im Vereinsheim des Klägers am 24. November 2010 (vgl. Ermittlungsbericht und Abschlussvermerk des Polizeipräsidiums Südhessen vom 14. Februar 2011, Verfahrensordner I Bl. 531, 539 ff., 575 f.). Diese Funde sind umso bemerkenswerter, als bei der gleichen Durchsuchung im Vereinsheim des Klägers Dokumente sichergestellt wurden, die belegen, dass die Hells Angels zu diesem Zeitpunkt mit „kommenden Aktionen der Behörden“ rechneten, auf die es sich vorzubereiten gelte (Vermerk des Hessischen Landeskriminalamts vom 28. November 2011 (Verfahrensordner II, Bl. 695 ff., 704 ff.), u.a. durch notariell beglaubigte Erklärungen aller Vereinsmitglieder in Bezug auf das in ihrem Gewahrsam befindliche Vereinsvermögen. Dass sich der Kläger in dieser Situation nicht von den bei ihm aufgefundenen Waffen und sonstigen verbotenen Gegenständen getrennt hat, zeigt, dass bei den Verantwortlichen insoweit keinerlei Unrechtsbewusstsein bestanden hat und mit einem alsbaldigen Vereinsverbot ohnehin gerechnet wurde. | Rn. 82 |
Soweit der Kläger meint, bei dem ausgesprochenen Vereinsverbot habe die Verbotsbehörde ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt, keine hinreichenden Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit des Verbots erkennen lassen und sachfremde Erwägungen angestellt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung nach Art. 9 Abs. 2 GG, § 3 VereinsG nicht im Ermessen der Verbotsbehörde steht. Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu in seinem Beschluss vom 29. Januar 2013 – 6 B 40.12 – (a.a.O., Rn. 34) ausgeführt, es sei durch die Rechtsprechung geklärt, dass „die Verbotsbehörde auf der Rechtsfolgenseite grundsätzlich keine Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit anstellen (muss). Die Verbotsverfügung hat nicht die Funktion zu erfüllen, der Verbotsbehörde auf Rechtsfolgenseite der Norm die Ausübung von Ermessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ermöglichen. Sie dient vielmehr – jedenfalls in der Regel – allein dazu, aus Gründen der Rechtssicherheit klarzustellen, dass eine Vereinigung einen oder mehrere Verbotsgründe erfüllt, und durch die entsprechende Feststellung die gesetzlich vorgesehene Sperre für ein Vorgehen gegen den Verein aufzuheben. Den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist deshalb bereits auf der Tatbestandsseite der Norm bei der Prüfung Rechnung zu tragen, ob die Voraussetzungen des Verbotsgrundes vorliegen (Urteile vom 19. Dezember 2012 – BVerwG 6 A 6.11 – Rn. 56)“. Dass und warum hier eine Ausnahme von diesem Grundsatz in Betracht zu ziehen wäre, ist weder vom Kläger dargetan noch ersichtlich. | Rn. 83 |
Soweit sich der Kläger im Zusammenhang mit seiner unterbliebenen Anhörung unter Hinweis auf die vorgelegte französische Originalfassung auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 11. Oktober 2011 – n° 48848/07 – (Association Rhino contre la Confédération Suisse) berufen hat, hat diese im Hinblick auf §§ 173 VwGO, 184 GVG nicht unmittelbar in die mündliche Verhandlung eingeführt werden können. Der Senat hat aber im Hinblick auf einen möglichen Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung zur Verwertung einer Übersetzung der Entscheidung ins Deutsche geprüft, ob ihr entscheidungsrelevante Argumente zu entnehmen sind. Dies ist in Bezug auf die unterbliebene Anhörung nicht der Fall, weil der EGMR sich damals mit der Notwendigkeit einer Anhörung nicht befasst hat, sondern nur mit der materiellen Vereinbarkeit des überprüften Vereinsverbots mit Art. 11 EMRK unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Das überprüfte Verbot einer 1988 in Genf gegründeten Vereinigung von Wohnungsbesetzern hat der EGMR für unverhältnismäßig gehalten, weil die zuständigen Schweizer Behörden und Gerichte die Besetzung von Immobilien durch Mitglieder des schließlich verbotenen Vereins und dessen satzungsgemäße Ziele lange toleriert und dann nicht geprüft hätten, ob mildere Mittel als die Auflösung der Vereinigung geeignet gewesen wären, die staatlicherseits verfolgten Ziele zu erreichen (Entscheidungsabdruck S. 17, Rn. 66 bis 68): | Rn. 84 |
„Partant, eu égard à la longue tolérance de l‘occupation des immeubles par les autorités, ainsi que des buts statutaires de l’association, le Gouvernement n’a pas suffisamment démontré que la dissolution de celle-ci, qui a porté atteinte à la substance-même de la liberté d’association, était la seule option permettant de réaliser les buts poursuivis par les autorités. Selon la Cour, d’autres mesures auraient pu porter moins gravement atteinte au droit garanti par l’article 11. Par consequent, l’ingérence ne peut pas passer pour être proportionnée aux buts poursuivis. Compte tenu de ce qui précède, la Cour estime que les motifs invoqués par les tribunaux suisses pour justifier l’ingérance litigieuse n’étaient pas pertinents et suffisants et que celle-ci a étè disproportionnée par rapport aux buts poursuivis. Elle conclut que la dissolution de l’association n’était pas nécessaire dans une société démocratique. Partant, il y a eu violation de l’article 11 de la Convention.” | Rn. 85 |
Ein solcher Ausnahmefall einer langjährigen tatenlosen Duldung massiver Rechtsverstöße einer Vereinigung durch Behörden und Gerichte, der zugleich auch nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausnahmsweise Raum für eine Ermessensausübung der Verbotsbehörde auf der Rechtsfolgenseite eröffnen könnte, liegt hier ersichtlich nicht vor. Wie das vorliegende Verfahren zeigt, sind Strafverfolgungsbehörden und Gerichte seit Gründung des Klägers nach bekannt gewordenen Straftaten seiner Mitglieder stets konsequent gegen sie vorgegangen und haben sich die Gefahrenabwehrbehörden mit erheblichem Aufwand und trotz mangelnder Kooperation des Klägers letztlich erfolgreich bemüht, strafrechtswidrige Strukturen des Charters aufzudecken und Material für die vereinsrechtliche Zurechnung der individuellen Straftaten seiner Mitglieder zusammenzutragen. | Rn. 86 |
Auch für sachfremde Erwägungen bei Erlass des Vereinsverbots gibt es keinen stichhaltigen Anhaltspunkt. Soweit der Kläger die Annahme sachfremder politischer Erwägungen auf den Zeitpunkt der Vollziehung des Verbots Anfang November 2011 und auf damalige politische Überlegungen zur Person des künftigen Oberbürgermeisters von Frankfurt am Main stützt, mag dahinstehen, ob diese Spekulation sachlich fundiert ist. Selbst wenn neben legitimen polizeitaktischen und logistischen Überlegungen bei der Wahl des Vollziehungszeitpunkts und der Öffentlichkeitsarbeit der Verbotsbehörde in diesem Zusammenhang auch politische Ziele von Bedeutung gewesen sein sollten, würde dies allenfalls die Rechtmäßigkeit der inzwischen erledigten Vollziehungshandlungen betreffen und nicht die Rechtmäßigkeit des Vereinsverbots selbst, die nach Überzeugung des Senats außer Frage steht. | Rn. 87 |
Soweit die Verbotsbehörde an die Feststellung des Vereinsverbots und die Auflösungsanordnung (Ziffern 1 und 2 des Verfügungstenors) die in den nachfolgenden Ziffern 3 bis 5 ausgesprochenen Folgeanordnungen geknüpft hat, entspricht dies den gesetzlichen Regeln (§ 3 Abs. 1 S. 1, 1. Alt., S. 2 VereinsG). Dass hier ein Grund vorliegen könnte, von diesen regelmäßig mit dem Vereinsverbot zu verbindenden Anordnungen ausnahmsweise abzusehen, ist weder vom Kläger dargelegt noch sonst ersichtlich. | Rn. 88 |
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger als unterliegender Beteiligter zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). | Rn. 89 |
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis des Klägers ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO. | Rn. 90 |
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe fehlen (§ 132 VwGO). | Rn. 91 |