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VG Köln, Urt. v. 10.12.2014 – 10 K 4302/13 – „Passentzug bei Jihadisten“

ZVR-Online Dok. Nr. 29/2014 – online seit 09.12.2014

§ 8 PassG, § 7 PAuswG

Leitsätze der Redaktion

1. Eine Klage, die eine Anschrift nicht erkennen lässt, unter der ein Kläger für das Gericht erreichbar ist, ist unzulässig.Rn. 1
2. Ein Pass kann seinem Inhaber entzogen werden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass er die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bunderepublik Deutschland gefährdet.Rn. 2
3. Bei einer Passentziehung wegen befürchteter Ausreise zur Teilnahme am bewaffneten Jihad kommen als Anknüpfungstatsachen vor allem konkrete Äußerungen des Passinhabers und seine Einbindung in einen Personenkreis von gewaltbereiten Islamisten sowie deren bisherige Aktivitäten und politische Ziele in Betracht.Rn. 3

Tatbestand

Mit Bescheid vom 13.06.2013 verfügte die Beklagte die Einziehung des Reisepasses des Klägers (Ziffer 1 der Ordnungsverfügung) und beschränkte den Geltungsbereich seines Personalausweises auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (Ziffer 2). Ferner wurde angeordnet, dass die Passentziehung und die Beschränkung des Geltungsbereichs des Personalausweises im polizeilichen Grenzfahndungsbestand gespeichert würden (Ziffer 3). Schließlich wurde die sofortige Vollziehung der Verfügung angeordnet und die Verfügung zunächst bis zum 12.06.2014 befristet (Ziffern 4 und 5).Rn. 4
In dem Bescheid wird auf ein Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) vom 05.06.2013 Bezug genommen. Diesem sei zu entnehmen, dass der Kläger seit einigen Jahren als Angehöriger der islamistisch-jihadistischen Szene in Nordrhein Westfalen bekannt sei. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG müsse die zuständige Behörde einem deutschen Staatsangehörigen den Pass versagen und könne einen ausgestellten Reisepass nach § 8 PassG entziehen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründeten, dass der Passinhaber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Aktuell lägen glaubhafte Erkenntnisse vor, dass der Kläger beabsichtige, nach Syrien auszureisen. Vor diesem Hintergrund müsse davon ausgegangen werden, dass seine Reise nach Syrien der Ausbildung und schließlich der Teilnahme am dortigen Kampf auf Seiten einer terroristischen Gruppierung dienen solle. Die Teilnahme eines deutschen Staatsbürgers an Kampfhandlungen einer Terrororganisation sei geeignet, in erheblichem Maße die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland nicht nur zu dem Staat, der das Ziel des terroristischen Anschlags sei, sondern auch innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft zu gefährden. Die Gesamtwürdigung der von den Sicherheitsbehörden übermittelten Erkenntnisse begründe den konkreten Verdacht einer bestehenden Gefährdungslage. Die Verbindung des Klägers zur islamistisch-jihadistischen Szene und die beabsichtigte Ausreise nach Syrien, um sich dort nach einer Ausbildung Kampfhandlungen anzuschließen, lasse eine Bedrohung von Menschenleben durch terroristische Handlungen konkret befürchten. Sollte der Kläger ausreisen und sein Ziel verfolgen können, an einem bewaffneten Kampf teilzunehmen, stelle dies ein erhebliches Gefährdungspotenzial für im Ausland stationierte deutsche Bundeswehrsoldaten, die Truppen verbündeter Staaten sowie die zivile Bevölkerung dar. Die Ermessensabwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers, welches die Reisefreiheit umfasse, und dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung einer Ausreise zur Unterstützung des gewaltsamen Jihad falle zulasten des Klägers aus. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit werde das Ausreiseverbot zeitlich befristet.Rn. 5
Der Bescheid wurde dem Kläger am 14.06.2013 zugestellt.Rn. 6
Mit der am 15.07.2013, einem Montag, eingegangenen Klage hat der Kläger zunächst geltend gemacht: Das Behördenzeugnis des BfV sei keine geeignete Grundlage, um ihm den Reisepass zu entziehen. Die dort aufgestellten Behauptungen seien derart vage und pauschal, dass sie nicht gerichtsverwertbar seien. Welche „aktuellen glaubhaften Erkenntnisse“ dem BfV vorlägen, bleibe im Dunkeln und auch der vermeintliche Ausreisezeitpunkt werde in keiner Weise konkretisiert. Er, der Kläger, habe nie vorgehabt, nach Syrien zu reisen, und beabsichtige dies auch aktuell nicht. Zudem fühle er sich auch nicht einer islamistisch-jihadistischen Szene zugehörig. Schließlich sei der angefochtene Bescheid auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil entgegen den dortigen Angaben keine Bundeswehrsoldaten oder Soldaten verbündeter Staaten in Syrien stationiert seien.Rn. 7
Im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 10.06.2014 die Ordnungsverfügung vom 13.06.2013 dahingehend abgeändert, dass die Befristung auf den 12.06.2015 verlängert wurde. Zur Begründung heißt es: Laut aktueller Mitteilung der Staatsschutzbehörden seien keine Anzeichen erkennbar, wonach sich der Kläger von der islamistischen Szene oder seiner damaligen Einstellung distanziert habe. Im Gegenteil sei weiterhin zu befürchten, dass er nach Syrien ausreisen und sich dort nach entsprechender Ausbildung aktiv an Kampfhandlungen beteiligen werde. Die Ausreiseuntersagung sei deshalb weiterhin aufrechtzuerhalten.Rn. 8
Dem Änderungsbescheid liegt ein neues Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 06.06.2014 zugrunde, auf das Bezug genommen wird.Rn. 9
Der Kläger hält auch das neue Behördenzeugnis für nicht gerichtsverwertbar.Rn. 10
Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13.06.2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10.06.2014 aufzuheben.
Rn. 11
Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.
Rn. 12
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid. Mit Schriftsatz vom 26.08.2014 hat die Beklagte eine Stellungnahme des Polizeipräsidiums Bonn vom 25.08.2014 („Gerichtsverwertbare Erkenntnisse“) vorgelegt. Darin heißt es:Rn. 13
Gegen den Kläger gebe es ein Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland („Junud Al-Sham“). Im Rahmen dieses Verfahrens seien am 07.08.2014 seine Wohnung und die gesonderte Wohnung seiner nach islamischem Ritus mit ihm verheirateten Ehefrau durchsucht worden. Der Kläger habe die Wohnung aufgegeben. Der Strom sei abgestellt gewesen, Kücheneinrichtung und Mobiliar seien bis auf einen Kleiderschrank nicht vorhanden gewesen. Man habe lediglich ungeöffnete Briefe an den Kläger und seine Ehefrau gefunden. Die zweite Wohnung sei ebenfalls leer gewesen. Die leeren Wohnungen, der schon länger andauernde Aufenthalt seiner Frau und seiner Kinder in Syrien und sein eigener Aufenthalt am 11.08.2014 im bulgarischen-türkischen Grenzgebiet deuteten darauf hin, dass der Kläger sich auf der Flucht befinde. Er habe bereits vorher Kenntnis von dem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Passgesetz gehabt (dazu s. weiter unten) und habe vor dem Hintergrund des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens der Generalbundesanwaltschaft offenbar nicht die Absicht, sich einem ordentlichen Gerichtsverfahren in Deutschland zu stellen.Rn. 14
Gegen den Kläger laufe ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen eines Verstoßes gegen das Passgesetz. Den Reisepass habe er seinerzeit entgegen der streitbefangenen Ordnungsverfügung nicht der Passbehörde ausgehändigt. Der Pass sei vielmehr im Rahmen anderer polizeilicher Ermittlungen am 24.06.2014 noch im Besitz des Klägers festgestellt und aufgrund der Ordnungsverfügung sichergestellt worden. Durch die sicherstellenden Beamten sei der Kläger auf die Verlängerung der Ordnungsverfügung und das damit verbundene Ausreiseverbot hingewiesen worden. Trotz Kenntnis der verlängerten Passentziehung und der Beschränkung des Geltungsbereiches seines Personalausweises sei der Kläger am 27.06.2014 über den Flughafen Brüssel-Zaventem mit dem Ziel Istanbul/Türkei ausgereist. Von dort sei er zurückgewiesen worden und am 28.06.2014 wieder in Belgien eingetroffen. Bereits im Vorfeld dieser Ausreise sei seine Ausreiseabsicht bekannt geworden und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Unter dem Datum des 24.06.2014 sei er schriftlich zur Vernehmung vorgeladen worden, dort aber nicht erschienen. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes habe der Kläger am 11.08.2014 am bulgarischen-türkischen Grenzübergang Lessowo-Hamzabeyli erneut versucht, in die Türkei einzureisen. Am türkischen Kontrollpunkt sei ihm die Einreise erneut verweigert worden und er sei nach Bulgarien zurückgewiesen worden. Dort halte er sich nach aktuellen Erkenntnissen noch immer auf.Rn. 15
In der Vergangenheit habe es gegen den Kläger weitere Ermittlungsverfahren gegeben, u.a. wegen Verdachts der Nötigung/Bedrohung, des schweren Landfriedensbruchs, der Sachbeschädigung, des Verstoßes gegen das Waffengesetz, der gefährlichen Körperverletzung und des Leistungskreditbetrugs. Die Verfahren seien entweder eingestellt worden oder der Ausgang der Verfahren sei nicht bekannt.Rn. 16
Hintergrund der Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Nötigung und Bedrohung sowie wegen des schweren Landfriedensbruchs seien zwei Vorfälle am 31.08.2013 und am 05.05.2012 in Bonn gewesen. Am 31.08.2013 gegen 18:15 Uhr hätten sich zwei Pro-NRW-Aktivisten an einem Fußgängerüberweg in Bonn Bad Godesberg befunden, nachdem sie zuvor Flyer verteilt hätten. Einer der beiden Aktivisten habe im Mai 2012 anlässlich einer Pro-NRW-Kundgebung in Bonn eine Mohammed-Karikatur hochgehalten, die im Nachgang zu erheblichen Gewaltausschreitungen muslimischer Gegendemonstranten geführt habe. Die beiden Aktivisten seien zielgerichtet durch den später als Tatverdächtigen identifizierten Kläger und eine in seiner Begleitung befindliche unbekannte Person aufgesucht und mit den Worten angesprochen worden: „Du bist doch der, der das Plakat hochgehalten hat“...Du bist doch der, der hier die Gesellschaft aufmischen will!“, und weiter mit: „Ich erkenne dich wieder. Du mischst die Gesellschaft nicht noch mal auf...Was traust du dich, überhaupt hier hinzukommen. Wenn ich dich hier nochmal sehe und die Gesellschaft hier aufmischst, bekommst du hier richtig Ärger.“ Die beiden Pro-NRW-Aktivisten hätten die Gesamtsituation als bedrohlich betrachtet und Strafanzeige erstattet. Das Verfahren wegen Verdachts der Nötigung/Bedrohung sei am 14.01.2014 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.Rn. 17
Am 05.05.2012 habe in Bonn eine gewalttätige Gegenveranstaltung anlässlich einer Demonstration von Pro NRW stattgefunden. Im Rahmen der Gewalttätigkeiten seien insgesamt 29 Polizeibeamte zum Teil erheblich verletzt worden. Ferner sei es zu zahlreichen Sachbeschädigungen gekommen. Der Kläger habe bei der Veranstaltung eine Führungsrolle eingenommen, indem er z.B. mit einem Megaphon in der Hand Anweisungen an die Veranstaltungsteilnehmer gegeben habe, welche diese sofort befolgt und umgesetzt hätten. Der Kläger habe sich durch seine Bekleidung (militärische Tarnjacke) optisch auffällig von den anderen Teilnehmern unterschieden. Ähnlich gekleidet seien weitere Führungspersonen der Veranstaltung gewesen, mit denen der Kläger sich mehrfach besprochen und anschließend Anweisungen an die Teilnehmer gegeben habe. Der Kläger habe unmittelbar auf die Teilnehmer eingewirkt. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Bonn wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs sei am 09.11.2012 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.Rn. 18
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat auf die gerichtliche Aufforderung, die aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers mitzuteilen, ausgeführt: Der neue Sachvortrag der Beklagten könne lediglich zur Kenntnis genommen werden. Der derzeitige Aufenthaltsort des Klägers und/oder seine neue Anschrift seien ihm nicht bekannt. Das Verfahren solle aber fortgeführt werden.Rn. 19
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.Rn. 20

Entscheidungsgründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).Rn. 21
Die Klage ist unzulässig, darüber hinaus auch unbegründet.Rn. 22
Die Unzulässigkeit der Klage ergibt sich daraus, dass der Kläger trotz der an seinen Prozessbevollmächtigten gerichteten Aufforderung seine aktuelle ladungsfähige Anschrift nicht angegeben hat, sondern „untergetaucht“ ist. Die Angabe einer Anschrift, unter der ein Kläger tatsächlich für das Gericht erreichbar ist, gehört zu den gesetzlichen Mindestvoraussetzungen einer zulässigen Klage (§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO); die Anschriftenangabe ist nicht allein deshalb entbehrlich, weil der Kläger anwaltlich vertreten ist,

vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 82 Rn. 4, m.w.N.
Rn. 23
Die Mindestvoraussetzungen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO müssen nicht nur bei Klageerhebung, sondern auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – bzw. bei Verzicht auf mündliche Verhandlung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – vorliegen. Dies ist hier nicht der Fall.Rn. 24
Unabhängig davon hat die Klage aber - selbst bei unterstellter Zulässigkeit - auch in der Sache keinen Erfolg.Rn. 25
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).Rn. 26
Als Rechtsgrundlage für die in Nr. 1 des angefochtenen Bescheides verfügte Passentziehung kommt nur § 8 PassG, für die Personalausweisbeschränkung in Nr. 2 die Vorschrift des § 6 Abs. 7 PAuswG in Betracht. Zu den Voraussetzungen dieser Vorschriften hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) in einem ähnlichen Fall mit Beschluss vom 16.04.2014 – 19 B 59/14 -, juris, ausgeführt:Rn. 27
„Danach kann ein Pass dem Inhaber entzogen werden, wenn „Tatsachen bekanntwerden“, die nach § 7 Abs. 1 PassG die Passversagung rechtfertigen würden. § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG setzt tatbestandlich voraus, dass „bestimmte Tatsachen“ die Annahme begründen, dass der Passinhaber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Unter dieser Voraussetzung kann die zuständige Behörde nach § 6 Abs. 7 PAuswG auch die Ausweisbeschränkung in Nr. 2 der Ordnungsverfügung gegenüber dem Antragsteller anordnen. Im vorliegenden Fall ist die 3. Alternative des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG einschlägig (Gefährdung sonstiger erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland). Solche Belange gefährdet der Passinhaber insbesondere, wenn bestimmte Tatsachen die Prognose rechtfertigen, er werde sich im Ausland an Gewalttätigkeiten beteiligen, die geeignet sind, die auswärtigen Beziehungen oder unter besonderen Umständen auch das internationale Ansehen der Bundesrepublik zu schädigen.Rn. 28
BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 6 C 39.06 , BVerwGE 129, 142, juris, Rdn. 28 (G-8-Gipfel Genua); VGH Bad-Württ., Urteil vom 7. Dezember 2004 1 S 2218/03 , VBlBW 2005, 231, juris, Rdn. 21.Rn. 29
Der Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG setzt lediglich voraus, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die die Begründetheit der behördlichen Gefahreneinschätzung nachvollziehbar rechtfertigen. Die Anknüpfungstatsachen für die Gefahrenprognose müssen nach Zeit, Ort und Inhalt so konkret gefasst sein, dass sie einer Überprüfung im gerichtlichen Verfahren zugänglich sind. Hingegen erfordert § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG keine eindeutigen Beweise für diese Gefahreneinschätzung. Ausreichend ist eine auf Tatsachen gestützte positive Gefahrenprognose. Eine bloße Möglichkeit, eine reine Vermutung oder ein durch konkrete Tatsachen nicht belegbarer Verdacht genügen nicht, um eine konkrete Gefährdungslage im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG zu begründen.Rn. 30
Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/2726 vom 18. Februar 2000, S. 6; VG Berlin, Urteil vom 6. März 2012 23 K 59.10 , juris, Rdn. 18; VG Braunschweig, Beschluss vom 27. Oktober 2011 5 B 164/11 , juris, Rdn. 22; VG Aachen, Urteil vom 26. August 2009 8 K 637/09 , juris, Rdn. 46; entsprechend zur Passentziehung wegen Steuerflucht nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 PassG OVG Bremen, Beschluss vom 25. Januar 2013 1 B 297/12 , NordÖR 2013, 217, juris, Rdn. 5.Rn. 31
Hierin liegt eine Herabstufung des anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabs in Bezug auf die vorausgesetzte Gefährdung. Der Passversagungsgrund des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG liegt nicht erst dann vor, wenn der Betreffende Belange der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich gefährdet, sondern schon dann, wenn der begründete Verdacht einer solchen Gefährdung besteht. Diese Herabstufung ergibt sich aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG, der lediglich verlangt, dass Tatsachen „die Annahme“ einer Gefährdung im Sinne der Nr. 1 begründen, ohne dass die Gefährdung selbst vorliegen muss. Insofern führt der Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG zu einer ähnlichen Vorverlagerung des Gefährdungsschutzes wie auch der Ausschlusstatbestand des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG im Rahmen der Einbürgerung.Rn. 32
Dazu allgemein BVerwG, Beschluss vom 16. Juli 2003 6 VR 10.02 , juris, Rdn. 13 (Vereinsverbot); zu § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG: BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2011 5 B 55.10 , juris, Rdn. 3; Urteil vom 2. Dezember 2009 5 C 24.08 , BVerwGE 135, 302, juris, Rdn. 15, 18 (IGMG); Urteil vom 22. Februar 2007 5 C 20.05 , BVerwGE 128, 140, juris, Rdn. 19 f. (PKK-Selbsterklärung).Rn. 33
In diesem herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab unterscheidet sich der Passversagungstatbestand in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG ebenso wie der Ausschlusstatbestand des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG von Vereinsverboten sowie von Behauptungen in einem Verfassungsschutzbericht, für die keine Verringerung des Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingreift. Bei diesen Maßnahmen ist eine Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs insbesondere nicht wegen des sachtypischen Beweisnotstandes gerechtfertigt, in dem sich die handelnde Behörde befindet, weil der Verfassungsschutz seine Erkenntnisquellen und Arbeitsweisen schützen, Vertraulichkeitszusagen an Informanten einhalten muss und deshalb oftmals die Vorlage seiner Akten nach § 99 VwGO verweigert. Denn eine solche Beweisregel ist weder in § 99 VwGO noch an anderer Stelle der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehen.Rn. 34
BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 6 C 13.07 , BVerwGE 131, 171, juris, Rdn. 25, 29 (VS-Bericht BW 2001); Urteil vom 3. Dezember 2004 6 C 10.02 , NVwZ 2005, 1435, juris, Rdn. 16 (Vereinsverbot).Rn. 35
Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG erstreckt sich die Herabstufung des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs auf die von dieser Vorschrift vorausgesetzte Gefährdung, nicht aber auch auf die einzelnen „bestimmten Tatsachen“ im Sinne dieses Eingriffstatbestandes. Für diese Indiztatsachen verbleibt es vielmehr bei dem Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Als ausschließlich auf diese Indiztatsachen bezogen versteht der Senat die Aussage der Vorinstanz, ein geheimhaltungsbedingter Beweisnotstand führe nicht zu einer Herabstufung des Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Seite 9 unten des Beschlussabdrucks).Rn. 36
Bei einer Passentziehung wegen befürchteter Ausreise zur Teilnahme am bewaffneten Jihad kommen als Anknüpfungstatsachen vor allem konkrete Äußerungen des Passinhabers und seine Einbindung in einen Personenkreis von gewaltbereiten Islamisten sowie deren bisherige Aktivitäten und politische Ziele in Betracht (z. B. Teilnahme an regelmäßigen Zusammenkünften, bei denen Koransuren mit zentralen Leitsätzen des militanten Jihad besprochen werden; Teilnahme an einem Ausbildungscamp für Terroristen im Ausland; missglückte Ausreiseversuche; Auffinden eines USB-Speichersticks mit demokratiefeindlichen digitalisierten Büchern; eigene Äußerungen des Passinhabers über einen konkret geplanten Grenzübertritt nach Syrien mit Sprengstoffübergabe).Rn. 37
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. März 2011 5 S 22.10, 5 M 34.10 , NVwZ-RR 2011, 500, juris, Rdn. 4, 6; VG Hamburg, Beschluss vom 23. November 2012 2 E 2951/12 , juris, Rdn. 18 ff.; VG Berlin, Urteil vom 6. März 2012, a. a. O., Rdn. 18; Urteil vom 6. März 2012 23 K 58.10 , juris, Rdn. 20; VG Braunschweig, a. a. O., Rdn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2013 18 B 866/13 (Ausreiseverbot nach § 46 Abs. 2 AufenthG).“Rn. 38
Diesen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts schließt sich die Kammer an; danach liegen die gesetzlichen Voraussetzungen einer Passentziehung und Beschränkung des Personalausweises hier vor.Rn. 39
Zwar dürften die zunächst vorgelegten Behördenzeugnisse des BfV vom 05.06.2013 und vom 06.06.2014 nach dem dargelegten Maßstab nicht ausreichen, da sie keine bestimmten Tatsachen benennen, die eine gerichtliche Überprüfung ermöglichen. Durch Vorlage der Stellungnahme des Polizeipräsidiums Bonn vom 25.08.2014 hat die Beklagte aber nunmehr nach Zeit, Ort und Inhalt konkretisierte Anknüpfungstatsachen benannt, die sich insbesondere aus der Wohnungsdurchsuchung sowie aus den bekannt gewordenen Ausreiseversuchen des Klägers ergeben haben. Im Zusammenhang mit dem „Untertauchen“ des Klägers liegt darin eine auf Tatsachen gestützte positive Gefahrenprognose im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG. Die Anknüpfungstatsachen sind konkret und nachvollziehbar dargelegt; der Kläger ist dem neuen Vorbringen der Beklagten nicht mehr entgegengetreten.Rn. 40
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.Rn. 41