Skip to main content

Dr. Frank Braun*: Rezension – von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, 6. Auflage 2012

ZVR-Online Dok. Nr. 13/2015 – online seit 25.05.2015

Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.)
Grundgesetz-Kommentar in zwei Bänden
6. neubearbeitete Auflage 2012
München, Verlag C. H. Beck
2857 S. (Band 1), 1959 S. (Band 2)
299,- €
ISBN 978-3-406-58162-5

 „ … ein etablierter Grundgesetzkommentar, der längst keiner Empfehlung und eigentlich auch keiner Rezension mehr bedarf - für Kritik kein Anlass und für Lob kein Bedarf …“. (Finkelnburg, NVwZ 2003, 196 – Rezension zur 5. Auflage)Rn. 1
Damit könnte man es bewenden lassen. Die vorliegende 6. Auflage steht den Vorauflagen nicht nach. Vielmehr hat das Werk neuen Schwung gewonnen, wozu auch der ein oder andere Bearbeiterwechsel beigetragen haben mag. Es griffen ausnahmslos hochangesehene Verfassungsrechtlicher aus Wissenschaft und Praxis zur Feder. Die Umstellung auf Fußnoten (anstatt noch störender Klammer-Zitate im Text in der Vorauflage) hat eine wesentlich verbesserte Lesbarkeit zur Folge hat (darauf weisen auch Elmenhorst/Decker, ZD-Aktuell 2013, 03169 hin).Rn. 2
Dennoch darf man die Frage aufwerfen, ob die Konzeption des Werkes noch trägt. Der vorliegende Grundgesetz-Kommentar versucht die Lücke zwischen Großkommentaren, wie dem Maunz/Dürig und stets aktuellen Kurz-Kommentierungen, wie der von Jarass/Pieroth, zu schließen. Im Wesentlichen gelingt dies, wie – pars pro toto – ein Blick auf die Kommentierungen von Löwer zu Art. 9 und 10 GG zeigt.Rn. 3
Hier wird zwar der naturgemäße Mangel offenbar, den jedes Werk zeitigt, das nur in großen Abständen neu aufgelegt wird. Die Ausführungen zum Fernmeldegeheimnis leiden schon relativ kurze Zeit nach Erscheinen an einem Mangel an Aktualität. Hier verliert die im Übrigen ganz hervorragende Bearbeitung etwas an Wert: Der zeitliche Geltungsbereich des Fernmeldegeheimnisses werden zu kursorisch, Abgrenzungsfragen zum „Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ kaum und fragliche Ermittlungsmaßnahmen wie eine „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ überhaupt nicht dargestellt. Dies nimmt kein Wunder (und ist dem Autor nicht anzulasten), da diese Fragen erst nach Redaktionsschluss der Kommentierung in Rechtsprechung und Literatur vertieft diskutiert wurden. Vielleicht tut man den Herausgebern auch unrecht, den – einkalkulierten – Mangel an Aktualität gerade am Fernmeldegeheimnis zu verdeutlichen, muss doch gerade dieses Grundrecht in Anbetracht des technischen Fortschritts einer dogmatischen Frischzellenkur unterworfen werden. Das BVerfG (BVerfG, Urt. v. 27.02.2008 – 1 BvR 370/07 – BVerfGE 120, 274 – Online-Durchsuchung) hat treffend darauf hingewiesen, dass die Auslegung eines Grundrechtes aufgrund technischer Veränderungen modifiziert werden könne und müsse, wenn dadurch notwendiger Grundrechtsschutz erhalten werden kann. Im Übrigen aber vermisst man neuere Strömungen der Rechtsprechung kaum. Die besondere Durchdringung der Materie und eine Abstraktionshöhe der Darstellung, die durch dogmatische Stimmigkeit überzeugt, machen gegen vereinzelte „Moden“ der Rechtsprechung meist immun.Rn. 4
Herausragend ist die Kommentierung Löwers zur Vereinigungsfreiheit. Der Rezensent hat selbst zur Thematik geforscht und in Vorbereitung eines Publikationsvorhabens alle gängigen GG-Kommentierungen zu Art. 9 GG studiert. Die Ausführungen Löwers waren hierbei – mit Abstand – die größte Hilfe. Mag dieses Lob ganz subjektiv gefärbt sein, sind allgemeine formale Mängel des Werkes objektiv feststellbar: Das Sachverzeichnis ist, wie so häufig, wenig benutzerfreundlich konzipiert und hilft in der Sache kaum weiter. Ein Beispiel: Beim Eintrag „Online-Durchsuchung“ wird man ausschließlich auf die diesbezüglichen Ausführungen von Gubelt zu Art. 35 GG [sic!] gelotst. Es ist zwar schön und lehrreich, wenn man erfährt, in welchem Kontext eine Online-Durchsuchung zur Rechts- und Amtshilfe steht, erwartet hätte man aber dann aber doch eher einen Bezug zum Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder zum Fernmeldegeheimnis. Ebenso nervig sind die Verweise innerhalb der (im Übrigen stimmig gegliederten) Einzelkommentierungen. So wird man mit teilweise mit „Gaga“-Einträgen belästigt und zu wildem Blättern gezwungen (Beispiel Art. 9 Rn. 100: „Beitritt: - durch Art. 9 Abs. 3 gewährleistet, s.o. Stichw. ,Aufnahme‘“). Bitteschön, wer braucht das noch im 21. Jahrhundert?! Solche Lästigkeiten ließen sich vermeiden, wenn man – wie bei Produkten von Konkurrenzverlagen durchaus üblich – Käufern der Print-Version einen (kostenlosen) Online-Zugang zur Verfügung stellen würde, der eine Volltextsuche ermöglicht und Verlinkungen zu den Querverweisungen innerhalb der digitalen Fassung des Kommentars enthält. Leider hat der Beck-Verlag eine entsprechende Digitalisierung des Werkes nicht vorgesehen. Ob dies eine gute Vertriebsidee war, wird sich herausstellen.Rn. 5
Enden muss die Rezension aber mit einer unbedingten Kaufempfehlung. Der Rezensent hat fast zwei Jahre gewinnbringend mit dem v. Münch/Kunig gearbeitet (bis er sich endlich dazu durchringen konnte, die geschuldete Rezension zu verfassen). Er möchte den Kommentar nicht mehr in seinem Bücherschrank missen. Die Lektüre hat nicht nur stets in der Sache weitergeholfen, sondern war nicht selten auch ein Lesevergnügen. Wieder sei auf Löwer hingewiesen. Die Ausführungen zum Fernmeldegeheimnis mit einem Zitat von Rudolf Smend einzuleiten und die Kommentierung 70 Seiten später mit einem Hinweis auf Carl Schmitt zu schließen, ist „großes Kino“.Rn. 6
Fußnoten

* Der Autor lehrt Staats- und Verwaltungsrecht an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, FHöV NRW, Abteilung Münster.